11. März 2022 · 
Kommentar

Was ist noch wahr? Corona-Leugner schädigen den Diskurs um die Realität

Die Sonne dreht sich um die Erde. Diese Aussage galt viele Jahrhunderte lang als wahr. Erst die Wissenschaft brachte diese Annahme ins Wanken. Durch ihre Argumente. Doch was hätte der Astronom Nikolaus Kopernikus gemacht, wenn niemand auf ihn gehört hätte? Da stellt er seine neuveröffentlichte Schrift vor, als sich plötzlich ein junger Mann mit einem überlegenen Lächeln auf dem Gesicht vor ihm aufbaut und den Kopf schüttelt: „Das ganze stimmt doch nicht.“ Kopernikus ist kurz irritiert, aber - ganz Wissenschaftler - erklärt er noch einmal ganz geduldig seine Erkenntnisse. Bei seinen Ausführungen achtet er dieses Mal ganz besonders darauf, es für einen Laien so simpel wie möglich zu erklären. Doch der Mann schüttelt erneut den Kopf und meint: „Deine Fakten sind falsch.“ Und mit diesen Worten lässt er den sprachlosen Kopernikus stehen.

Zwei Jahre Corona: Kommentar von Audrey-Lynn Struck I Foto: Henning Scheffen, Canva

Genauso agieren die Querdenker, die laut skandierend in der Stadt „spazieren gehen“ oder Facebook und Twitter mit ihrer Schwurbelei überfluten. Diskutieren wollen sie hier wie dort nicht. Statt nach der Wahrheit suchen sie nach Gleichgesinnten. Es ist wie bei einem Räuber-und-Gendarm-Spiel, wenn einer der Räuber die ganze Zeit neben einem Baum steht und „Klippo“ brüllt. „Deine Fakten sind falsch“ ist das Klippo der Corona-Leugner, und wir sind die Gendarmen als die Spielverderber, die sie darauf aufmerksam machen, dass sie gerade grundlegend gegen die Regeln verstoßen. Die Diskussionsregeln. Jeglicher Diskurs wird im Keim erstickt, wenn bereits Fakten als Unwahrheiten abgetan werden. Dabei streiten Querdenker eigentlich gar nicht um die Wahrheit, es geht vielmehr um Überzeugungen.


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Der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche sagte einst: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.“ Genau das ist der Knackpunkt. Durch wiederkehrende Erfahrungen haben sich die Corona-Leugner eine Meinung gebildet, durch aus ihrer Sicht überzeugende Argumente wurde sie zur Glaubensüberzeugung. Und die kann nur schwer verändert werden. Erst recht, wenn es zum neuen Lebensinhalt wird, gegen das angeblich „perfide System von Bill Gates“ vorzugehen. Das Internet kreiert den Verschwörungstheoretikern eine alternative Realität, Social Media vermittelt ihnen ein Gefühl von Gemeinschaft. Dabei sind sie mit ihrer Ansicht ziemlich allein. Nur dem Algorithmus und den damit einhergehenden Filterblasen ist es zu verdanken, dass sie permanent Argumente hören, die ihre Position untermauern. Nur weil ihre Kommentare uns triggern, werden sie uns überhaupt angezeigt: Damit wir länger auf der Plattform bleiben.

„Wissenschaftler werden verstärkt der Lüge bezichtigt und auch wir Medien sehen uns stärker denn je mit dem Vorwurf konfrontiert, Unwahrheiten zu verbreiten.“

Dabei sind Verschwörungstheoretiker und Querdenker, die gerade der Politik und den Medien misstrauen, eigentlich nichts neues. Bereits 2014 wurde „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres gewählt. Während Donald Trump dann 2017 ins Weiße Haus einzog, fielen die Begriffe „Fake News“ und „alternative Fakten“ wie ein Hornissenschwarm in unseren Sprachgebrauch ein. Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess jedoch auf ein neues Level gehoben. Wissenschaftler werden verstärkt der Lüge bezichtigt und auch wir Medien sehen uns stärker denn je mit dem Vorwurf konfrontiert, Unwahrheiten zu verbreiten. Zeitgleich schreiben immer mehr selbsternannte, dem Beruf aber in Wirklichkeit sehr ferne Journalisten online über „die richtige Wahrheit“.

Kennen Sie die Redewendung „Lügen wie gedruckt“? Sie soll bereits aus dem 15. Jahrhundert stammen. Als Johannes Gutenberg in dieser Zeit den Buchdruck erfand, waren die Menschen erst einmal skeptisch. Jahrhundertelang wurden Nachrichten und Geschichten mündlich weitergegeben. Die Mimik und Gestik trugen entscheidend zur Glaubwürdigkeit einer Geschichte bei. Und plötzlich sollte man den Worten auf einem Papier Glauben schenken. Vielleicht werden aus der Corona-Pandemie auch einige Redewendungen entstehen. Und in 100 Jahren sagen Eltern dann zu ihren Kindern: „Du bist mir auch so ein kleiner Corona-Leugner.“ Was sie damit meinen? Hör auf zu schreien und schalt deinen Kopf an.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #047.
Audrey-Lynn Struck
AutorAudrey-Lynn Struck

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