22. Jan. 2024 · 
Wirtschaft

Was die Startup-Szene in Niedersachsen von Rennfahrerlegende Ayrton Senna lernen kann

Die deutsche Startup-Szene ist wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen – leider! Während viele andere Wirtschaftszweige durch die Pandemie einen Abschwung erlebten, blühte die Gründerszene auf. „Durch Corona hatten wir einen totalen Digitalisierungsschub. Das war eine positive Begleiterscheinung, die 2021 außergewöhnlich gemacht hat“, erklärt Magdalena Oehl vom Startup-Verband Deutschland. Mit fast 3200 Neugründungen und einer Investitionssumme von 17,4 Milliarden Euro erlebte die Bundesrepublik damals einen regelrechten Gründungsboom, von dem inzwischen allerdings nicht mehr viel übrig ist. 2023 gab es in Deutschland nur noch 2500 Neugründungen bei einer Startup-Finanzierung von insgesamt 6 Milliarden Euro. Den Abwärtstrend bekommen vor allem Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen zu spüren. Baden-Württemberg, Sachsen und Niedersachsen trotzdem dem Abschwung und verkürzen den Rückstand.

Quelle: Startup-Verband

Zwischen Harz und Küste haben sich im vergangenen Jahr 141 Startups neu gegründet (2022: 116). Der Rekord wurde 2021 mit niedersachsenweit 145 Neugründungen aufgestellt. „Die Fläche gewinnt – in Deutschlands Regionen schlummern große Schätze. Das zeigen die hohen Aktivitäten um forschungsstarke Gründungsstandorte“, sagt Arnas Bräutigam, Co-Founder von „Startupdetector“. Und Forschungschef Jannis Gilde vom Startup-Verband bestätigt: „Die kleineren Städte werden wichtiger. Dass wir bei den Startup-Neugründungen dezentraler werden und die regionalen Stärken besser ausspielen können, ist eine positive Nachricht.“

Quelle: Startup-Verband

Am platten Land geht diese Entwicklung allerdings vorbei. „Die Fläche wird zwar stärker, aber gerade ländlich geprägte Regionen tun sich bei der Entwicklung von Startup-Ökosystemen schwer“, sagt Gilde und rechnet vor: „296 von 400 Landkreis und kreisfreie Städte in Deutschland haben weniger als fünf Startups gegründet. Da ist noch viel Potenzial vorhanden.“ Auch in Niedersachsen gibt es abseits der Unistädte kaum Startup-Aktivitäten zu verzeichnen. Etwa jeder vierte Kreis erlebte 2023 überhaupt keine Neugründung, auch die kreisfreien Städte Wolfsburg und Salzgitter nicht. Startup-Hochburgen sind die Region Hannover (35 Neugründungen), Stadt und Landkreis Osnabrück (zusammen 14 Neugründungen) sowie die Städte Braunschweig (13) und Göttingen (12).

Quelle: Startup-Verband

„Es braucht eine gewisse Menge an Startups in den Regionen, um überhaupt ein Ökosystem entstehen zu lassen“, sagt Gilde. „Wenn man erstmal den Mut gefasst hat, kann man auch auf dem Land sehr gut ein Startup gründen. Ohne Vorbilder ist es viel unwahrscheinlicher, dass man diesen Weg geht“, ergänzt Bräutigam. Für die beiden Experten sind neben dem Austausch unter Jungunternehmern, auch die Beratung und Begleitung durch Startup-Zentren sowie die öffentliche Förderung ganz zentrale Gründungsvoraussetzungen. „Durch die Anwesenheit von Förderprogrammen bringen viele Jungunternehmer überhaupt erst den Mut dazu auf, ein Startup zu gründen“, betont Bräutigam. In Niedersachsen gibt es zehn vom Land geförderte Startup-Zentren. Die Einrichtungen in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück helfen den Jungunternehmen mit Räumlichkeiten, Kontakten und Beratung weiter.

Das Ende der Null-Zins-Politik hinterlässt in der Startup-Szene tiefe Spuren. „2021 war extrem viel Kapital auf dem Markt. Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung hat die Assetklasse ‚Wagniskapital‘ für Investoren wieder unattraktiver gemacht“, weiß die Startup-Verband-Vizevorsitzende Magdalena Oehl. Die Mitgründerin und Geschäftsführerin des Jobportals „Talent-Rocket“ verfällt deswegen aber nicht in Alarmstimmung. „Die Gründer wissen, dass es schwieriger und teurer ist, Geld zu bekommen. Deswegen denken sie wieder mehr in profitablen Geschäftsmodellen“, sagt Oehl und ergänzt: „Startups können sich auch schnell im Mittelstand entwickeln.“

Magdalena Oehl | Foto: Startup-Verband

Dass viele etablierte Unternehmen vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Transformation gerade Schwierigkeiten haben, sieht die Unternehmen als Chance für die Startups. „Du kannst bei Sonnenschein keine 15 Autos überholen – aber bei Regen schon“, zitiert sie die Rennfahrerlegende Ayrton Senna. Deutschland müsse gerade jetzt einen stärkeren Gründer- und Unternehmergeist entwickeln. „Wenn wir mehr Kapital verfügbar machen und Firmenausgründungen aus der Forschung fördern, wird unsere Volkswirtschaft noch stärker von der innovativen Kraft ihrer Startups profitieren“, ist sich Oehl sicher.

Im Regen überholt sich's besser: Das wusste schon Formel-1-Legende Ayrton Senna. Aber diese Weisheit lässt sich auch auf die Wirtschaft anwenden. | Foto: mit KI generiert/Link

Ganz ähnlich bewertet das Prüfungs- und Beratungsunternehmen „Ernst & Young“ (EY) die Lage. „Um auch in diesen schwierigen Zeiten an frisches Kapital zu kommen, reichen für Jungunternehmen gute Ideen allein nicht mehr aus. Solide und gut durchdachte Geschäftsmodelle in Verbindung mit realistischen Umsatzprognosen und der Aussicht auf Profitabilität sind in den Augen der Geldgeber aktuell das A und O“, sagt Thomas Prüver bei der Vorstellung des EY-Startup-Barometers 2023. Für Prüver hat die derzeitige Finanzierungsflaute sogar etwas Gutes: „Die Startups, die heute entstehen, wachsen und frisches Geld erhalten, haben die erste Bewährungsprobe schon bestanden und sich als widerstandsfähig erwiesen.“ Außerdem hätten mehrere Jungunternehmen gezeigt, dass Mega-Investitionen immer noch möglich sind. So habe die KI-Schmiede „Aleph Alpha“ aus Baden-Württemberg im vergangenen Jahr rund 463 Millionen Euro an Risiko eingesammelt. Startups mit dem Schwerpunkt „Künstliche Intelligenz“ (KI) konnten ihre Investitionen insgesamt steigern.

Thomas Prüver | Foto: EY

Nicht alle Bereiche seien von der Finanzierungskrise betroffen. „Einige, wenn auch wenige, konnten sich auch in der angespannten Marktlage stabil am Markt behaupten und Investoren überzeugen“, sagt Prüver. So hätten sich etwa die Energie-Startups und der Bereich E-Commerce als stabil erwiesen. Zu den Verlierern gehören dagegen die Bereiche Mobilität, Finanztechnologie und Gesundheit. Der EY-Experte ist jedoch zuversichtlich. „Einiges spricht dafür, dass die Talsohle bei der Startup-Finanzierung inzwischen erreicht ist und es in absehbarer Zeit wieder aufwärts geht“, sagt Prüver. Das Startup-Ökosystem hierzulande sei dabei, sich neu zu sortieren und könne gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen. Eine Marktbereinigung hat laut „Startupdetector“-CEO Bräutigam bereits stattgefunden: „2023 hatte eine Rekordanzahl an Insolvenzen: 297 Startups sind wirklich mit einem harten Knall aus dem Markt ausgestiegen. Das sind deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Dazu kommen die stillen Geschäftsaufgaben.“

Dieser Artikel erschien am 23.1.2024 in Ausgabe #12.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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