
Bis 2045 muss der gesamte Gebäudesektor klimaneutral sein. Doch der überwiegende Teil der Wohnhäuser in Deutschland stammt noch aus einer Zeit ohne jegliche Umweltstandards. „Die Dekarbonisierung des Bestands wird die größte Herausforderung der Wohnungswirtschaft sein“, sagt Susanne Schmitt, Direktorin des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (vdw) in Niedersachsen. Beim vdw-Jahresauftakt in Hannover sagte Schmitt aber auch, dass der soziale Anspruch unter dem Klimaschutzgedanken nicht verloren gehen darf. Wohnraum müsse bezahlbar bleiben. Doch ohne öffentliche Unterstützung werde die im vdw organisierte, sozialorientierte Wohnungswirtschaft ihr derzeitiges Mietniveau von durchschnittlich 6,04 Euro pro Quadratmeter nicht halten können. „Wir brauchen eine bessere Förderung von klimagerechtem Neubau und bei klimagerechter Sanierung“, stellte die Verbandsdirektorin klar. Gleichzeitig müssten aber auch die Regularien verbessert werden, denn Bestandssanierung stehe derzeit vor riesigen bürokratischen Hürden. Wie groß die Herausforderungen sind, machten Gundlach-Geschäftsführerin Nadine Otto und Hans-Dieter Brand von der „Neuland Wohnungsgesellschaft“ an zwei aktuellen Beispielen deutlich.
„Don Camillo und Peppone“ heißen die beiden Hochhäuser in Wolfsburg-Detmerode, die 2015 in den Besitz der kommunalen Wohnungsgesellschaft Neuland gewechselt sind. Der vor allem politisch motivierte Immobiliendeal, der insgesamt 805 Wohnungen der „Berlinovo“ umfasste, hatte allerdings seine Tücken. „Der Vorbesitzer hatte nicht besonders tief in die Gebäude hineingeguckt“, berichtet Neuland-Geschäftsführer Hans-Dieter Brand. Sein Unternehmen habe sich bei den beiden Wohntürmen aus den 1960-er Jahren deswegen die Frage stellen müssen: Neubau oder Sanierung? Dass ein Neubau rund 15.000 Tonnen CO2 verbraucht hätte, während die Sanierung bei nur 3300 Tonnen lag, machte bei diesen Überlegungen einen entscheidenden Unterschied. „Das ist schon eine eklatante Einsparung an grauer Energie“, sagt Brand. Graue Energie bezeichnet die Energie, die bei der Herstellung der Baumaterialien verbraucht wird und die größte Hebelwirkung beim Klimaschutz hat. Experten gehen davon aus, dass elf Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei der Baustoffherstellung freigesetzt werden.

Das Argument Klimaschutz allein habe Brand seinem Aufsichtsrat aber nicht als Sanierungsgrund vorlegen wollen. „Es musste auch ein Entwurf her, wo man sagt: Wow! Das ist wirklich was tolles“, erzählt der Architekt. Diesen Entwurf habe ihm dann ein alter Studienkollege aus Vancouver geliefert, der nach einer ersten Google-Street-View-Analyse der Wolfsburger Baukultur zu folgender Einschätzung gekommen sei: „Ihr seid der größte Automobilstandort der Welt, aber wenn ich eure Gebäude sehe … die sehen alle scheiße aus.“ Das neue, futuristische Design des Kanadiers Chris Doray würde aus den beiden Zweckbauten ein echtes Wahrzeichen für Wolfsburg machen. Doch auch im dritten Jahr der Sanierung ist davon noch nichts zu erkennen. „Wir sind inzwischen bei einem Zeitverzug von fast zwei Jahren“, berichtet der Neuland-Geschäftsführer und macht dafür die Bürokratie verantwortlich. „Das Loslegen wurde schon durch das Thema Statik ausgebremst“, erzählt Brand. Bei der Windlastrechnung sei der 23-stöckige Don Camillo glatt durchgefallen. „Der Prüfstatiker sagte: Das Gebäude steht eigentlich gar nicht. Aber das Gebäude steht seit über 50 Jahren ohne Risse.“ Seitdem musste die Neuland viel Geld, Kraft und Zeit darin investieren, die Statik des Altbaus an die heute gültigen Normen anzupassen. Allein die Verstärkung der Türstürze verursachte monatelange Verzögerungen und Zusatzkosten im siebenstelligen Bereich. Auch die Anbringung der neuen Balkone, die in die Fassade integriert werden, gestaltet sich umständlicher als gedacht.

„Wenn mich jemand fragen würde: Würden Sie das wieder machen? Da würde ich sagen: Nein“, lautet Brands Fazit. Eine solche Megasanierung habe einfach zu viele Unwägbarkeiten, die durch die Gesetzes- und Verordnungslage noch verschärft würden. „Alle Eventualitäten vorherzusagen ist einfach nicht möglich. Viele Dinge erkennt man erst, wenn die Planungen weit fortgeschritten sind“, sagt der Wolfsburger und bemängelt auch die fehlenden finanziellen Anreize bei einer Sanierung: „Das starke Einsparen von grauer Energie wird derzeit in der Förderkulisse nicht goutiert und der Mehrverbrauch beim Neubau wird nicht sanktioniert.“ Weil die Wohntürme auf KfW-55-Standard gebracht werden, gab es zwar 10 Millionen Euro Förderung von Kreditanstalt für Wiederaufbau. „Die haben wir inzwischen aber locker verbaut“, sagt Brand. Wenn seine Wohnungsgesellschaft nicht schon 2017 einen Kredit über 75 Millionen Euro bei einer Vollfinanzierung über 30 Jahre aufgenommen hätte, sähe es jetzt düster aus. Brand: „Nach den heutigen Bedingungen wären wir komplett tot.“ Nach diesem Erfahrungsbericht von Brand fragte Moderator und vdw-Referent Hiram Kahler die anwesenden Wohnungsbauunternehmer: „Hat noch jemand Häuser, die in dieser Art saniert werden müssen?“ – „Jetzt nicht mehr“, war die einzige Rückmeldung aus dem Publikum.
„Nach dem Vortrag von Herrn Brand ist auch meine Motivation etwas gesunken“, meint Nadine Otto. Die Geschäftsführerin von „Gundlach Bau“ aus Hannover plant mit ihrem Unternehmen derzeit die klimafreundliche Sanierung eines kompletten Wohnquartiers. „Klimaumbau Seelhorst“ (KUS) heißt das Projekt im gleichnamigen Stadtteil, das derzeit 133 Wohnungen umfasst. Geplant sind unter anderem die Schaffung von 70 neuen Wohnungen durch Aufstockungen, Photovoltaik auf den Dächern, neue Gebäudedämmungen und Fenster sowie der Einbau von Aufzügen und Wärmepumpen. „Wir nehmen uns ganz viel vor, die Frage ist aber immer: Wie viel davon können wir wirtschaftlich umsetzen“, sagt Otto. Das Familienunternehmen schätzt die Gesamtkosten für das Projekt derzeit auf 47 Millionen Euro, wobei noch unklar ist, welche Förderungen bei der klimafreundlichen Sanierung greifen werden. Denn erst dadurch werde das Projekt am Ende wirtschaftlich, stellt die gelernte Kauffrau fest. Die Finanzierung sei aber derzeit nicht das größte Problem, sondern vielmehr die Planungsdauer. „Wir haben 2020 angefangen, realistisch zu planen“, berichtet Otto. 2025 soll der Umbau starten, für 2030 ist die Fertigstellung geplant. Aufgrund von Streitigkeiten um die Anzahl der Stellplätze, die seit September 2021 andauern, gebe es aber immer noch keine Rechtsgrundlage für die Sanierung.

„Wir kommen im Bebauungsplan-Verfahren nicht weiter, weil dieser Konflikt nicht gelöst ist“, sagt die Gundlach-Co-Chefin. Das Unternehmen möchte den Stellplatzschlüssel auf 0,36 Stellflächen pro Wohnung senken, damit auch noch genügend Fläche für eine grüne und attraktive Außenraumgestaltung da ist. „Wenn wir den aktuell gültigen Stellplatzschlüssel von 0,9 berücksichtigen, sind am Ende alle Gartenflächen versiegelt.“ Die Stadt Hannover wolle sich auf die Parkflächenreduzierung aber nicht einlassen. „Das zu diskutieren, ist kein Spaß. Da braucht man ein sehr gut durchdachtes Mobilitätskonzept“, sagt Otto. Dass das Quartier keinen Stadtbahnanschluss hat, sondern nur eine Busanbindung, macht die Sache nicht einfacher. Eine weitere Hürde bei der Freiflächengestaltung ist der Brandschutz. „Für die Rettungswege müsste man 30 Prozent des alten Baumbestands fällen“, berichtet Otto.

Auf die Quartiersbewohner kommt wohl eine Mieterhöhung von 1,50 Euro pro Quadratmeter zu, wobei die Mietkosten laut Gundlach derzeit bei 8,63 Euro pro Quadratmeter liegen. Bei einigen Bewohnern stoße das auf Verdruss. Im Mieterdialog habe es ferner Kritik am erwarteten Baulärm und dem Verlust an Stauraum gegeben, der durch die Gebäudeaufstockung entsteht. Außerdem hätten viele Mieter kein Interesse daran, dass noch mehr Bewohner ins Quartier einziehen. „Je mehr Projekt an das persönliche Befinden heranrückt, umso kleiner wird das Verständnis“, stellte die Gundlach-Geschäftsführerin fest. Aber nicht nur die Mieter möchten gerne ein Wörtchen mitreden, auch von öffentlicher und behördlicher Seite ist das Interesse groß. „Es gibt unglaublich viele Beteiligte und nur ganz wenige davon haben die gleichen Ziele“, stöhnt Otto.
Die wichtigste Lehre, die sie aus der ganzen Sache zieht, lautet: „Wir brauchen eine andere Akzeptanz von Nachverdichtung und eine Priorisierung der Anforderungen.“ Bei den derzeitigen bürokratischen Hürden und Planungszeiten hält sie es für ausgeschlossen, dass der Gebäudesektor die an ihn gesteckten Klimaziele erreichen kann. „Wir hoffen ganz stark auf eine Umbauordnung“, sagt Otto und bezieht sich damit auf ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von SPD und Grünen. „Um unseren Fokus auf Bestandssanierungen abzusichern, werden wir die Niedersächsische Bauordnung (NBauO) um eine Umbauordnung ergänzen“, heißt es dort. Ziel ist es, dass Umbauten und Aufstockungen von Wohngebäuden erleichtert werden sollen. Insbesondere die Stellplatzproblematik will Rot-Grün entschärfen. „Bei Umnutzung, Aufstockung und Umbauten sowie bei Nachverdichtung entfällt der Zwang zur Herstellung von Pkw-Stellplätzen“, lautet das Ziel der Landesregierung.