Warum wir kein Schulfach Programmieren brauchen
Darum geht es: Jeder zehnte Jugendliche in Deutschland im Alter zwischen 10 und 18 Jahren kann programmieren. Das hat der Digitalverband Bitkom ausrechnen und plädiert für das Schulfach Programmieren. Ein Kommentar von Martin Brüning.
In den nächsten zwanzig Jahren könnte die Hälfte aller Aufgaben von Maschinen oder Computern erledigt werden, schätzt Bitkom-Präsident Achim Berg. Davon seien alle Branchen betroffen. Der Verband fordert, die Arbeitskräfte von morgen darauf besser vorzubereiten, in dem sie bereits in der Schule das Programmieren lernen. Die Forderung ist nicht neu, sondern wird bereits seit mehreren Jahren immer wieder diskutiert. Überhaupt sind viele mit Forderungen nach neuen Schulfächern häufig auffällig schnell bei der Hand. Neben dem Programmieren geht es auch immer wieder um das Fach Ernährung, Finanzen oder auch Wirtschaft, weil wir angeblich zumeist ökonomische Analphabeten sind – sagen zumindest Ökonomen.
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Wenn unsere Kindern aber in den Schulen jetzt lernen sollen, wie man programmiert, besser isst, mit Geld umgeht und eine Unternehmensbilanz richtig liest, fehlt Zeit für die wichtigen Grundlagen, die nach wie vor der entscheidende Bestandteil einer guten und breiten Bildung sein sollten. Schwächen in den Grundlagen Lesen, Schreiben und Rechnen werden bereits heute immer wieder festgestellt und beklagt. Statt sich aber kritisch damit auseinanderzusetzen, wie man das Grundlagenwissen der Schüler stärken kann, wird mit jeder neuen Forderung eine neue Schulfach-Idee durchs bildungspolitische Dorf getrieben.
Es wäre natürlich zu begrüßen, wenn sich interessierte Kinder in AGs in den Schulen mit dem Programmieren beschäftigen. Und vielleicht wird es für den einen oder anderen ja sogar die Grundlage für eine berufliche Zukunft sein. Das bedeutet aber nicht, dass es ein Pflicht-Schulfach für 30 Schüler in der Klasse werden muss – wo sollten auch all die IT-Lehrer plötzlich herkommen? Die Schule ist kein Ausbildungsbetrieb für einzelne Branchen.
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Ja, das Berufsleben unserer Kinder wird sich möglicherweise deutlich von unseren beruflichen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte unterscheiden. Die Frage ist jetzt, wie wir unsere Kinder am besten darauf vorbereiten. „Wer programmieren kann, kann programmieren – was aber dringend und immer schmerzlicher fehlt, ist ein Verständnis der Zusammenhänge einer digital vernetzten Welt und nicht ihrer kleinsten Bausteine“, schreibt der Autor und Journalist Sascha Lobo. Die Fähigkeit des Programmierens allein wird unseren Kindern nicht den Weg in die Zukunft weisen. Bereits heute sind wichtige und wirtschaftlich erfolgreiche Persönlichkeiten der Digitalunternehmen nicht zwingend Programmierer. Was sie auszeichnet, ist häufig eine breite Bildung, die sie genossen haben und die sie befähigt, intellektuell über den Tellerrand zu schauen.
Das Programmieren selbst wird wie bisher ein Teilbereich der künftigen Berufswelt sein. Richtig ist, dass es nicht mehr in die „Nerd-Ecke“ unserer Jugend gehört und künftig einen größeren Platz einnehmen wird. Das macht es aber nicht automatisch zu einem neuen Pflichtfach in den Schulen. Für die Schüler gilt: Ruhe bewahren und erst einmal die Hausaufgaben in Deutsch, Englisch und Mathe erledigen. Das ist schon einmal eine gute Vorbereitung für die Zeit nach der Schule.
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