Marshallplan, das Wort klingt vielleicht etwas überdimensioniert, schließlich flossen beim historischen Vorbild nach dem Zweiten Weltkrieg – wertbereinigt – mehr als 140 Milliarden US-Dollar in die völlig zerstörten Staaten Europas. Ganz so schlecht geht es dem Einzelhandel in der Corona-Krise dann vielleicht doch nicht. Und dennoch sprechen Kommunalpolitiker von einem Marshallplan, mit dem man den Einzelhandel wieder auf Vordermann bringen müsse. Unter ihnen ist Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth (SPD). Er warnte vor Insolvenzen und Betriebsaufgaben, „die letztlich auch Auswirkungen auf die Entwicklung und Finanzlage der Städte hätten“. Selbst eine Wiedereröffnung der Läden sei nicht zeitgleich ein Ende der kritischen Situation. Auch für Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) ist ein „umgehendes Gegensteuern von staatlicher Seite“ erforderlich, wenn man eine massenhafte Schließung von Einzelhandel und Gastronomie in den Innenstädten verhindern wolle.

Auch Hendrik Schmitt, Hauptgeschäftsführer bei der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen (IHKN), kann mit dem Begriff Marshallplan nicht ganz so viel anfangen. Es sei sinnvoller, den schon bestehenden Förder-Baukasten nachzuschärfen, sagt Schmitt im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Im Auge hat er dabei zum Beispiel die Bundestädtebauförderung. Bisher liegt hier der Genehmigungszeitraum laut Schmitt zwischen zwei und drei Jahren. In der Vergangenheit sei das kein großes Problem gewesen, in der jetzigen Situation werde es aber schwierig. Deshalb plädiert Schmitt dafür, bei der Städtebauförderung schneller und auch kleinteiliger zu werden. „Geld allein reicht ohnehin nicht aus, es braucht vor allem eine gute Strategie“, meint Schmitt.

So eine Strategie ist auch deshalb nötig, weil die Krise des stationären Einzelhandels nicht erst mit dem Auftreten des Corona-Virus beginnt. Erhebungen der IHK Stade belegen, dass die Zahl der Einzelhändler bereits zwischen 2008 und 2018 nahezu kontinuierlich gesunken ist. Im Jahr 2008 gab es in Niedersachsen noch rund 44.500 Einzelhändler, 2018 waren es nur noch etwas mehr als 38.000. Besonders erstaunlich ist der Rückgang, weil er vor allem in einer Phase stattfand, in der die Wirtschaft auf Hochtouren lief, und in der in den Städten auch neue Angebote entstanden. Wer kannte vor zehn oder 15 Jahren schon so viele lokale Kaffeeröstereien mit kleinen Ladengeschäften in den Innenstädten? Dennoch sank die Gesamtzahl der Händler. Die Kunden konsumierten zwar gerne, aber nicht zwingend in den stationären Geschäften. Diese Entwicklung hat sich in der Corona-Krise nun noch einmal zum Vorteil des Online-Handels verstärkt. Die Beschreibung der Krise als Brandbeschleuniger wird dabei so häufig genutzt, dass man sie kaum noch hören kann. Richtig ist sie dennoch.

Die Industrie- und Handelskammer Niedersachsen hat aufgrund der langjährigen Entwicklung ein Positionspapier erarbeitet, in dem es nicht um die kurzfristigen Folgen der Lockdown-Maßnahmen geht, sondern um Perspektiven für die Zukunft der Innenstädte. Und die müssen künftig nicht mehr unbedingt so aussehen, wie man sie heute kennt. Warum auch? Es gab Zeiten, in denen die Innenstadt nicht automatisch von Einkaufsstraßen dominiert wurde. Die erste deutsche Einkaufsmeile entstand erst 1953, damals wurde die Treppenstraße in Kassel autofrei. Auch sie hat heute mit Ladenschließungen zu kämpfen. Zurück zu den Ursprüngen, könnte eine von vielen Lösungen sein. Das wäre dann eine Innenstadt, in der man nicht nur einkaufen kann, sondern in der auch wieder mehr gewohnt wird. Vielleicht ist eine Schule dort oder kleine grüne Biotope, das sogenannte „Urban Gardening“, mitten in der Stadt. Auch Logistik könnte wieder eine größere Rolle spielen, die Warenlager müssen nicht mehr zwingend auf der grünen Wiese vor den Städten stehen, sie können auch wieder in die Innenstädte rücken. Platz genug ist da, in Hannover zum Beispiel stehen gerade fünf Etagen des geschlossenen Karstadt-Kaufhauses leer.

Je nach Innenstadt gibt es viele Varianten und Lösungsansätze. „Es gibt kein Richtig oder Falsch“, meint IHKN-Chef Schmitt. Wichtig sei aber, die Entwicklung der Innenstädte zu professionalisieren. Ähnlich wie bei Einkaufszentren schwebt der IHKN dabei ein „Center-Manager“ vor, bei dem zum Beispiel die Themen Geschäftsbelegungen, Grünanlagen, Verkehrsanbindung zusammenlaufen. Gerade in kleineren Kommunen sei ein professionelles Management für die Zukunft wichtig, so Schmitt. In der Idealvorstellung vernetzen sich die „Zentren-Manager“ auch untereinander, können voneinander lernen. Von heute auf morgen wird es allerdings nicht gehen. „Es wird ein sehr langer Prozess“, sagt Schmitt.