Als Niedersachsens Agrarministerium im Februar eine neue Gebietskulisse für die besonders nitratbelasteten Regionen des Landes ausgewiesen hat, stand bereits fest, dass man die entsprechende Landesdüngeverordnung zeitnah ein weiteres Mal wird überarbeiten müssen.

Mit 9494 Quadratkilometern erscheinen auf der aktuellen Karte rund 20 Prozent der Landesfläche als sogenannte „rote Gebiete“; von der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist derzeit mit 21 Prozent anteilig etwas mehr Fläche betroffen. In absoluten Zahlen geht es um 606.329 Hektar Agrarflächen, auf denen nun bestimmte Restriktionen für die Landwirte gelten.
Im Vergleich zur vorherigen Gebietskulisse ist die Fläche zwar um ein Sechstel kleiner geworden – doch schon jetzt muss davon ausgegangen werden, dass die kommende Landesdüngeverordnung wieder ein sehr viel größeres Areal festschreiben muss. Wie viel größer die Fläche der „roten Gebiete“ wird, darauf will sich derzeit noch niemand festlegen. Die Experten aus Agrar- und Umweltministerium sagen nur vieldeutig: größer.
Grund für kurzfristige Neuausweisung der „roten Gebiete“ ist der seit Jahren mäandernde Rechtsstreit mit der Europäischen Union, der in der vergangenen Woche nun zwar beigelegt werden konnte, aber Deutschland zuvor zu erheblichen Verschärfungen im Düngerecht gezwungen hatte. Die Bundesrepublik hinkte deutlich hinterher bei der EU-konformen Umsetzung der Nitratrichtlinie, die Anfang der 1990er-Jahre beschlossen wurde, um die Qualität des Grundwassers zu schützen. Nährstoffeinträge, die insbesondere von Landwirten durch eine übermäßige Düngung ihrer Felder verursacht werden, stellen eine Gefahr für die Gewässergüte dar. Deshalb müssen die EU-Mitgliedstaaten regelmäßig Messungen im Grundwasser vornehmen, und Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter festgestellt wird.
Gestritten wurde mit der EU seitdem über die korrekte Ermittlung der Messwerte sowie die geeigneten Schritte, die gegen die übermäßige Nährstoffbelastung helfen sollen. Zuletzt erhöhte die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“, assistiert durch den Europäischen Gerichtshof, den Druck auf die Bundesrepublik. Wenn Länder wie Niedersachsen nicht nachsteuerten, drohte das Vertragsverletzungsverfahren weiter zu eskalieren und Millionenstrafen zu verursachen. Die Kommission hat nun zwar das Verfahren eingestellt, die Maßnahmen müssen aber selbstverständlich dennoch umgesetzt werden.

Dass Niedersachsen in diesem Jahr zweimal kurz hintereinander die „roten Gebiete“ ausweisen muss, hängt mit neuen Vorgaben aus dem August 2022 zusammen. Andere Bundesländer haben diese Neuerungen aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift bereits umgesetzt, Niedersachsen hat sich hier allerdings für ein zweistufiges Verfahren entschieden. Dabei geht es im Wesentlichen um ein chemisches Verfahren, das sich unter bestimmten Umständen in Grundwasserkörpern vollziehen kann und künftig bei der Bestimmung der Nitratbelastung berücksichtigt werden muss. So hat man schon vor längerer Zeit festgestellt, dass der gemessene Nitratwert im Grundwasser nicht zwingend dem tatsächlichen Nitrateintrag entsprechen muss – sondern niedriger ausfällt.

Dazu kommt es, wenn innerhalb des Grundwasserkörpers eine sogenannte Denitrifikation stattgefunden hat. Dabei bauen Mikroorganismen in mehreren Teilschritten das Nitrat zuerst zu Nitrit, dann Stickstoffmonoxid, Lachgas und schließlich zu molekularem Stickstoff ab. Diese Prozesse im Grundwasserkörper sind allerdings endlich. Möchte die EU nun die Summe aus dem gemessenen und dem errechneten Nitratgehalt haben, ist das auch so etwas wie der Blick in die Zukunft: Wenn die Abbauprozesse einmal nicht mehr vonstattengehen, steigt die Nitratbelastung bei gleichbleibender Zufuhr von oben plötzlich deutlich an.

Um zu ermitteln, ob diese Abbauprozesse in einem Grundwasserkörper ablaufen, wenden die Mitarbeiter des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) derzeit die sogenannte Stickstoff-Argon-Methode an. Bei dieser Methode wird die Konzentration des Edelgases Argon an der jeweiligen Messstelle ins Verhältnis gesetzt zur Stickstoff-Konzentration an jenem Punkt. Als Vergleichswert kann dabei das Stickstoff-Argon-Verhältnis in Bodennähe herangezogen werden. Da sich die Argon-Konzentration nicht durch Abbauprozesse verändert, dient dieser Wert als stabile Vergleichsgröße.
Weicht das Verhältnis von Stickstoff zu Argon im Grundwasserkörper nun erheblich von jenem an der Oberfläche ab, kann davon ausgegangen werden, dass eine Denitrifikation stattgefunden hat. Anhand des Ausmaßes der Abweichung können die Fachleute nun ermitteln, wie viel Nitrat tatsächlich in den Grundwasserkörper eingetreten ist. Das kann schlussendlich dazu führen, dass bestimmte Messpunkte, die vorher unterhalb der 50-Milligramm-Grenze gelegen haben, nach der Nachberechnung oberhalb des Schwellenwertes liegen und die Gebiete oberhalb dieses Messpunktes ab Sommer doch als „rote Gebiete“ ausgewiesen werden müssen.
Die niedersächsische Landespolitik drängt derweil darauf, bei der Ausweisung der „roten Gebiete“ nicht mehr Betriebe als unbedingt nötig mit strengen Auflagen zu versehen. Aktuell sind jene Landwirte, die Äcker innerhalb des rot markierten Areals bewirtschaften, laut Bundesdüngeverordnung dazu verpflichtet, ihren jährlichen Stickstoff-Düngebedarf um 20 Prozent zu verringern; je Schlag gilt eine Stickstoff-Obergrenze von 170 Kilogramm je Hektar; verschiedene Sperrfristen sind ausgeweitet und es gelten Einschränkungen beim Düngemitteleinsatz bei der Herbstdüngung und beim Grünland; zudem sind sie verpflichtet, Zwischenfrüchte anzubauen, wenn sie im nächsten Sommer wieder Stickstoff einsetzen wollen.

Laut Landesdüngeverordnung kommen zudem noch zusätzliche Messungen sowie die Vorgabe hinzu, Wirtschaftsdünger und Gärreste innerhalb einer Stunde einzuarbeiten. Die von der Landesverordnung betroffenen Betriebe sind außerdem verpflichtet, ihren Düngemitteleinsatz zu melden. Eigentlich möchte man in Niedersachsen dahinkommen, dass die strengen Regeln überhaupt nur für jene Landwirte gelten sollen, die nicht ordnungsgemäß gedüngt haben. Man möchte die Perspektive umdrehen und nicht die Werte aus dem Grundwasser zur Beurteilung heranziehen, sondern auf die Verursacher schauen. Weil es viele Jahre dauern kann, bis Einträge vom Acker im Grundwasser landen, kann es mitunter sein, dass die Landwirte von heute für die übermäßige Düngung durch ihre Vorgänger zahlen müssen.
Doch die EU hat festgelegt, dass für die Ausweisung der „roten Gebiete“ einzig die Messwerte aus den Grundwasserkörpern herangezogen werden dürfen. Ein weiterer Ansatz, mithilfe dessen die Fläche der „roten Gebiete“ auf fachliche Weise verringert werden könnte, betrifft deshalb das Messstellennetz selbst. Aktuell stützen sich der NLWKN und das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) auf Daten von 981 Grundwassermessstellen, bei denen ein einziger Messpunkt mit einer Grenzwertüberschreitung einen ganzen Grundwasserkörper rot färbt. Rechnerisch erfüllt Niedersachsen damit die Vorgabe, eine Messstelle auf 50 Quadratkilometer Landesfläche zu haben.
In Zukunft soll aber das sogenannte geostatistische Regionalisierungsverfahren angewendet werden, das ein deutlich differenzierteres Bild zulässt. Dazu werden allerdings deutlich mehr Messpunkte benötigt. Und auch für die mathematischen Methoden, die bis dahin zur Anwendung kommen, gilt: je mehr Messstellen, desto besser. Derzeit ermittelt der NLWKN noch, an welchen Stellen das Netz ausgeweitet werden sollte.
Auf Rundblick-Anfrage teilte das zuständige Umweltministerium mit, dass im vergangenen Jahr insgesamt 26 neue Messstellen gebaut wurden, in diesem Jahr waren es bislang 43, und 25 weitere sind in der Planung. Aktuell gehe man davon aus, dass insgesamt etwa 1850 Grundwassermessstellen benötigt werden, um die Regionalisierung nach EU-Vorgaben durchführen zu können. Nicht alle davon müssen neu gebohrt werden, teilweise prüft das Land auch, ob auf andere bereits vorhandene Messstellen zurückgegriffen werden kann. Das Gros der Bohrungen liegt allerdings noch in der Zukunft.