„Warum kann man ehrenamtliche Tätigkeit nicht auf die Rente anrechnen?“
Hannes Wendler ist hauptamtlicher Vorstand des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen der Johanniter- Unfallhilfe. Im Gespräch mit Isabel Christian erklärt er, warum zum Ehrenamt mehr gehört als hin und wieder ein paar Sandsäcke zu schleppen, und was die Politik jetzt tun muss, um das Interesse an freiwilligem Engagement aufrecht zu halten.
Rundblick: Herr Wendler, 2016 haben die Johanniter mit „Helden, bitte melden!“ eine Werbekampagne gestartet, um neue Mitglieder zu gewinnen. Aber verfängt das Prinzip Ehrenamt denn überhaupt noch in einer Gesellschaft, in der die meisten von Termin zu Termin hetzen und selbst das Familienleben durchgetaktet ist?
Wendler: Auf jeden Fall! Die Kampagne läuft sogar so gut, dass wir beschlossen haben, sie zu verlängern. Eigentlich war sie nur für ein Jahr geplant gewesen. Aber wir kriegen immer noch sehr viele Anfragen für eine ehrenamtliche Mitarbeit bei uns. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Helferzuwachs nahezu verdreifacht. Sind zuvor pro Jahr etwa drei bis vier Prozent neue aktive ehrenamtliche Mitglieder dazugekommen, waren es im vergangenen Dezember elf Prozent.
Flüchtlingskrise hat den Kreis der Helfer erweitert
Rundblick: Aber kurz vor der Kampagne hatte auch die Flüchtlingsbewegung ihren Höhepunkt, bei der viele Menschen gemerkt haben, dass sie hin und wieder gern mal mit anpacken würden. Ist es da nicht zu kurz gegriffen, den Helferzuwachs der Kampagne zuzuschreiben?
Wendler: Das tun wir auch nicht allein, denn die Flüchtlingskrise hat den Kreis erweitert. Durch sie haben wir Freiwillige kennengelernt, die wir über unsere klassische Arbeit gar nicht mehr erreichen können. Die Herausforderung ist jetzt allerdings, diese Interessierten zu halten. Denn der Trend geht zu einem kurz- bis mittelfristigen Engagement. Die meisten sind bereit, sich bei Projekten einzubringen oder bei Hochwasser Sandsäcke zu schleppen, doch ein Engagement über einen langen Zeitraum, das können sich heute weniger Menschen vorstellen als noch vor zehn Jahren. Das hängt natürlich mit der Kurzlebigkeit und Flexibilität zusammen, die viele heutzutage von ihrem Leben erwarten. Eine lange, zeitintensive Bindung an einen Verein passt da nicht mehr so recht hinein. Das stellt uns wiederum vor die Frage, wie wir unsere verschiedenen Tätigkeiten so ausbauen können, dass für alle was dabei ist. Daran arbeiten wir gerade in der Johanniter-Akademie.
Rundblick: Aber warum setzen die meisten Aufgaben in Verbänden wie den Johannitern überhaupt ein Engagement von mindestens mehreren Jahren voraus?
Wendler: Weil die Ehrenamtlichen für die meisten Tätigkeiten erst qualifiziert werden müssen, und das braucht Zeit. Viele Leute machen sich nicht klar, was zu diesen Aufgaben eigentlich alles an Know-how gehört. Und dabei geht es nicht mal um sehr aufwändige Tätigkeiten wie Notfallsanitäter oder Logistiker. Wir bekommen zum Beispiel unglaublich viele Anfragen von Hundehaltern, die sich bei uns als Rettungshundeführer engagieren wollen. Wenn sie dann aber erfahren, dass man sich dazu zwei Jahre lang ausbilden lassen muss, winken viele ab. Genauso ist es etwa mit der Ad-hoc-Betreuung vieler Menschen. Wenn bei einem Sturm wie Anfang des Jahres der Bahnverkehr eingestellt wird und wir ein Versorgungszelt für die Reisenden einrichten, kann da nicht jemand in der Feldküche am Herd stehen, der sonst nur zu Hause kocht. Das muss jemand machen, der sich mit den gesetzlichen Hygienebestimmungen auskennt und darin ausgebildet wurde, effizient für viele Personen zu kochen. Aber das können Interessierte alles bei uns lernen.
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Rundblick: Um das langfristige Engagement attraktiver zu machen, fordern Sie deshalb von der Politik Bonusleistungen für Ehrenamtliche, die jahrelang in einem Verein aktiv waren. Etwa durch zusätzliche Rentenpunkte oder eine bessere Position bei der Studienplatzvergabe.
Wendler: Wir wollen, dass Gesellschaft und Politik dem Ehrenamt mehr Anerkennung zollen. Plaketten und Dankesreden sind schön, doch sie sind ein Lob mit kurzer Wirkung. Zuwendungen wie beispielsweise die Anrechnung eines mehr als zehnjährigen Ehrenamts auf die Rente sind ein dauerhaftes Signal, dass das Ehrenamt in unserer Gesellschaft gewollt ist. Immerhin engagieren sich im Ehrenamt Menschen aus allen sozialen Schichten. Natürlich wissen wir, dass wir damit ein großes Rad drehen und das nicht von heute auf morgen umsetzbar ist. Aber man kann auf jeder politischen Ebene Maßnahmen treffen, um ehrenamtliches Engagement zu würdigen. Dabei geht es nicht um den großen monetären Vorteil, Ehrenamtliche freuen sich auch über Kleinigkeiten. In den meisten niedersächsischen Landkreisen gibt es zum Beispiel eine Ehrenamtskarte, mit der die Besitzer in verschiedenen Kultureinrichtungen Rabatt bekommen. Das ist finanziell nicht der große Sprung, aber es ist eine dauerhafte Geste der Dankbarkeit.
Müssen Ausrüstung öfter nachkaufen
Rundblick: Um Geld geht es aber in der anderen Forderung, die Sie an die Politik stellen. Sie soll ihren Anteil an den Vorhaltekosten wieder steigern. Was genau ist damit gemeint?
Wendler: In der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, dass der Staat die Unterbringung und Betreuung von vielen Menschen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr vernachlässigt hat. Diesen Bereich haben mittlerweile die Hilfsorganisationen übernommen. An der Materialbeschaffung, sprich: Rettungswagen, medizinische Ausstattung und so weiter, beteiligt sich der Staat, aber nur anteilig, weil er davon ausgeht, dass wir durch Spenden genug Geld einnehmen, um den Rest zu bezahlen. Das ist aber der falsche Weg, denn das System aufrecht zu erhalten wird für uns immer schwieriger. Die fortschreitende Technik und Digitalisierung verändern immer schneller den Stand der Ausstattung. Was für uns bedeutet, dass wir immer öfter nachkaufen müssen. Schließlich dürfen wir nicht mit veraltetem Gerät ankommen, wenn wir mit hauptamtlichen Partnern wie der Berufsfeuerwehr zusammenarbeiten und in der Notfallversorgung dasselbe wie sie leisten müssen. Darüber hinaus brauchen wir immer öfter Profis für Schulungen. Denn die moderne Technik zu warten und mit ihr zu üben, das kann sich kein Ehrenamtlicher mal so eben beibringen und abends in seinem Ortsverband schulen. Dazu braucht man mittlerweile Experten und die kosten Geld.
Rundblick: Im vergangenen Jahr wurde erst ein Katastrophenschutzgesetz verabschiedet, das auch die Arbeit der Hilfsorganisationen verbessern soll. Was muss darüber hinaus noch passieren?
Wendler: Das Katastrophenschutzgesetz ist schon ein Schritt in die richtige Richtung. Aber da gibt es noch Stellschrauben, an denen man drehen sollte. Zum einen muss die Quantität der staatlichen Vorhaltung wieder steigen. Es müssen mehr Rettungswagen, mehr Personal, mehr technisches Gerät angeschafft werden oder zumindest die Mittel dafür bereitgestellt. Darüber hinaus wäre es für uns Hilfsorganisationen besser, wenn wir eine Finanzierung für das Grundgerüst bekämen, sodass wir unsere Basisausstattung auf dem neusten Stand halten können. Unsere Eigenmittel können wir dann dazu verwenden, den passenden Rahmen für ehrenamtliches Engagement zu schaffen, damit sich auch in Zukunft Menschen auf diesem Wege für einander einsetzen können – und auch wollen!