Warum Hannover und die Industrie 4.0 dasselbe Problem haben
Die Digitalisierung hat das Leben an vielen Stellen leichter gemacht. Wir können auf dem Handy erkennen, dass der Zug Verspätung hat. Im Auto muss man nicht mehr in der Karte blättern, um den Weg zu finden. Und das Einkaufen und unsere Bankgeschäfte erledigen wir inzwischen vom heimischen Sofa aus. In der Arbeitswelt dagegen herrscht zum Teil noch Unsicherheit, wohin die Digitalisierung führen und wie sich das auf die Suche nach Fachkräften auswirken wird. Darüber haben Experten vor mehr als 200 Besuchern auf dem Fachkräftekongress in Hannover diskutiert.
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Dort wurde unter anderem deutlich, dass sich auch die Unternehmen selbst verändern müssen. „Wir werden im Wettbewerb um Fachkräfte auch gerade im Unternehmen Strukturen schaffen müssen, um attraktiv zu sein, um die am Markt begehrten Fachkräfte zu gewinnen“, schreibt Wirtschaftsminister Olaf Lies den Unternehmen ins Stammbuch. Viele Unternehmen haben diese Strukturen schon geschaffen. Das Credo von Peter Leppelt, Geschäftsführer der Datenschutzfirma Praemandatum, lautet: Keine Angst vor der Freiheit. In seinem Unternehmen hätten die Mitarbeiter ein extrem hohes Maß an Eigenverantwortung, und diese könne man ihnen auch zutrauen.
Damit ist Leppelt mit seinem Unternehmen laut Niedersachsenmetall-Geschäftsführer Volker Schmidt auf dem völlig richtigen Weg. „Der Trend wird eindeutig mehr Autonomie und mehr Selbständigkeit für die Mitarbeiter sein. Es geht im Wettbewerb der Fachkräfte auch darum, die kreativen Mitarbeiter zu gewinnen“, meint Schmidt. Genau deshalb hat die Firma Sennheiser am Sitz des Unternehmens in der Wedemark den Innovation Campus geschaffen. Auf rund 7.000 Quadratmetern gibt es Raum für teamübergreifende Projektarbeit. Im Erdgeschoss gibt es sogar ein Theater. „Unser Ziel war, dass sich die Mitarbeiter auf dem Campus wohlfühlen und dadurch kreativ werden“, erklärt Projektleiter Axel Schmidt. Dafür seien auch Freiräume wichtig und Fehler müssten zugelassen werden.
Wenn Sie jeden Schwachsinn digitalisieren, haben sie am Ende jede Menge digitalen Schwachsinn
Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, aber sie bietet auch große Chancen. Das wird beim Fachkräftekongress immer wieder deutlich. „Mit Digitalisierung geht oft die Befürchtung vor Jobverlusten im großen Stil einher“, sagt Volker Schmidt. „Vielmehr werden wir aber insbesondere in den industrieaffinen Bereichen eher mit einem Tätigkeitswandel innerhalb des Jobs zu tun bekommen. Das beständige Lernen am Arbeitsplatz wird dabei essentiell.“ Für die Unternehmen bedeutet das: der Faktor Weiterbildung wird in Zukunft noch wichtiger.
Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, hält zu große Sorgen vor Jobverlusten durch die Digitalisierung nicht für angebracht. Er präsentiert eine Umfrage, nach der die überwiegende Mehrheit der Unternehmer für die Zukunft von einer stabilen oder sogar höheren Mitarbeiterzahl ausgeht. „Es gibt eher positive Signale, was die Beschäftigung angeht. Die Flexibilität der dualen Ausbildung ist dabei auch ein wichtiger und positiver Faktor“, erklärt der iw Köln-Direktor. „Länder, die sich bei den Mitarbeitern dagegen zwischen ungelernt und Hochschulausbildung bewegen, werden Probleme bekommen.“ Man müsse aber das Thema Digitalisierung und vor allem Industrie 4.0 noch stärker erklären. „Industrie 4.0 ist wie die Stadt Hannover“, so Hüther. Hannover sei hierzulande völlig unterbewertet. Und in den USA wisse niemand, was überhaupt Industrie 4.0 sein. „Man muss die Imagefrage ernst nehmen, weil es in der Vermittlung nach außen ein zentrales Thema ist“, so Hüther.
Zugleich warnt der Wirtschaftsforscher, neben der Digitalisierung die demographische Entwicklung aus dem Blick zu verlieren. Dabei nehme er in den Wahlprogrammen sämtlicher Parteien Verantwortungslosigkeit wahr. „Das wird die letzte Legislaturperiode, in der es in Deutschland demographisch noch geschmeidig vonstattengeht. Wir werden älter und diverser.“ Für Hüther ist das ein zentrales Thema. „Dadurch verschwinden sehr zügig Menschen und damit auch Arbeitsvolumen in einer Größenordnung, der man sich stellen muss. Auch Niedersachsen ist von dieser Dynamik betroffen.“ Erheblich Nachwuchsprobleme werde es gerade in den naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern geben.
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Die Politik nehme den demographischen Wandel durchaus ernst, sagt dagegen Wirtschaftsminister Olaf Lies. Allerdings schreite die Digitalisierung in einem Tempo voran, das mit anderen technologischen und industriellen Entwicklungen vergangener Jahrhunderte gar nicht zu vergleichen sei. Und hinzu komme noch der demographische Wandel. „Vielleicht gehen wir beide Themeb aber zu stark einzeln an, wir müsse sie in Einklang bringen“, so Lies. So müsse man sich nicht auf den Fachkräftemangel in Branchen fokussieren, die aufgrund der Digitalisierung künftig weniger Bedarf haben werden. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel in den Pflegeberufen, gebe es ganz andere Herausforderungen in Bezug auf Fachkräfte. „Wir müssen die Herausforderungen der Digitalisierung und der Demographie auf eine Ebene ziehen“, meint Lies.
Am Ende muss man es mit der Digitalisierung aber auch nicht übertreiben. Darauf macht Andreas Röders, Geschäftsführer des gleichnamigen Industrieunternehmens in Soltau aufmerksam: „Wenn Sie jeden Schwachsinn digitalisieren, haben sie am Ende jede Menge digitalen Schwachsinn.“ (MB.)