Warum die Verkehrsplanung für die Innenstädte nichts für schwache Nerven ist
„Ich sag’s ganz offen: Mobilitätswende ist nichts für Weicheier, das ist kein Nine-to-Five-Job“, sagt Gunnar Polzin – und er muss es wissen. Seit Ende der 1980er Jahre beschäftigt sich der heute 56-Jährige mit der Frage, wie man Verkehrswege sinnvoll gestalten kann, erst im Studium, später auch im Beruf. Nachdem er viele Jahre lang im Kieler Tiefbauamt für die Verkehrsplanung zuständig gewesen ist, wechselte er 2007 nach Kassel und 2011 in die Freie Hansestadt Bremen. Dort arbeitet Polzin aktuell als Verkehrs-Abteilungsleiter bei der Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung. Ehrenamtlich engagiert er sich zudem noch im Vorstand der AGFK, der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/Bremen. Bei der jüngsten Fachtagung des kommunalen Fahrradverbands fand Polzin drastische Worte für die hitzigen Auseinandersetzungen über die sogenannte Mobilitätswende in den Städten.
Als in Bremen beispielsweise am Wallring-Projekt in der Innenstadt gearbeitet wurde, habe es „massiven Widerstand“ der dortigen City-Initiative gegeben. Der Zusammenschluss lokaler Innenstadthändler hatte ein Problem mit der geplanten Einbahnstraßenlösung, obwohl die Parkplätze vor den Türen der Geschäfte gar nicht betroffen gewesen wären. „Wir konnten uns nach schwierigen Gesprächen einvernehmlich mit den Kollegen verständigen“, berichtet Polzin im Rundblick-Podcast, der auf der AGFK-Tagung in Bremen aufgezeichnet wurde.
„If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“
Ebenso hart pfiff der Wind durch die Straßen der Hansestadt, als die vierspurige Martinistraße in der Innenstadt umgestaltet werden sollte. Während der Corona-Zeit wollte die Stadtspitze zwei der Autospuren zurückbauen und stattdessen Platz schaffen für den Radverkehr. „Das war Krieg, das war Kampf“, erinnert sich Polzin. Der Widerstand von Teilen der Medien sei „sehr ausgeprägt“ gewesen – insbesondere die Zeitungen, die sich noch an ältere Teile der Bevölkerung wenden, hätten die Stimmung angeheizt. Aber dazu sagt der erfahrene Stadtplaner nur: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen – Wem das zu heiß ist, der darf sich damit beruflich nicht befassen.“ Insbesondere für diejenigen, die politisch in der höchsten Verantwortung stehen, sei das heikel. „Der Planer, der Mist baut, der bleibt im Job, und für die Senatorin kann das politisch das Ende bedeuten.“
Der Bericht aus Bremen ist vielleicht nicht ermutigend, doch im Saal des GOP-Bremen sitzen an diesem Tag viele, die solche Herausforderungen nicht erst seit gestern kennen. Im AGFK organisieren sich jene Kommunen, die bereits fahrradfreundlich sind – oder sich auf einem guten Weg befinden, das noch zu werden. 91 Mitgliedskommunen zählt der Verein in seinen beiden Bundesländern bereits, allerdings haben sich bisher erst 16 tatsächlich als fahrradfreundliche Kommune zertifizieren lassen. Immerhin 83 Prozent der Bevölkerung lebt laut AGFK-Auskunft in einer Kommune, die beim Verein mitmacht.
Der erste Vorsitzende des AGFK Niedersachsen/Bremen, Osnabrücks Stadtbaurat Frank Otte, sagte in seiner Begrüßung, die Fachtagung habe immer auch „therapeutische Anteile“, geteiltes Leid ist schließlich auch beim Kummer der Verkehrsplaner nur noch halbes Leid. Und um handfeste Ratschläge gehe es bei der Fachtagung auch, berichtet Otte. Den alljährlichen Höhepunkt bilden deshalb sicherlich jedes Mal die Exkursionen, bei denen die Vertreter der Kommunen die gelungenen und weniger gelungenen Ecken der gastgebenden Kommune mit Helm auf dem Kopf auf dem Rad in Augenschein nehmen können.
Umgesetzt werden muss die fahrradfreundliche Gestaltung stets vor Ort, doch auch die Landesebene hat den Radverkehr fest im Blick. Schließlich geht es dabei nicht zuletzt auch darum, die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen: Steigen mehr Menschen auf das Fahrrad um, ist das gut für die CO2-Bilanz. Im Koalitionsvertrag hat Niedersachsens rot-grüne Landesregierung festgehalten, den Anteil des Radverkehrs von 15 auf 25 Prozent bis 2030 zu steigern, um den Titel als Fahrradland Nummer 1 zu verteidigen. Doch dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Das Land hat sich zumindest an einigen Stellen auf den Weg gemacht, fordert eine fahrradfreundliche Reform der Straßenverkehrsordnung, startete eine Kampagne zur Radverkehrssicherheit, erarbeitet ein Muster-Radverkehrskonzept, hält die Radwege an den Bundes- und Landesstraßen in Schuss oder baut sie aus und entwickelt derzeit ein Radwegekataster, denn: „Daten sind die Grundlage jeder Planung“, wie es in einer neuen Broschüre des AGFK Niedersachsen/Bremen sowie des Landes Niedersachsen und der Freien Hansestadt Bremen heißt.
Die Titelseite dieses Prospekts ziert zudem das, was auch dem Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, Frank Doods, ein besonderes Anliegen ist: ein modernes Fahrradparkhaus. In Osnabrück, bei AGFK-Chef Otte gibt es so eins und neuerdings auch in Wunstorf, in der Region Hannover. Der futuristisch anmutende Bau ist ein Anziehungspunkt für viele Radverkehrsplaner, denn es bietet etwas, das gerade Pendler dringend brauchen, wie auch Doods weiß: „Man muss Strukturen schaffen, wo ich ein hochwertiges Fahrrad auch geschützt unterstellen kann. Das möchte ich am Ende des Arbeitstages nicht zugeschneit finden, das möchte ich auch sicher abgestellt haben, damit ich es abends überhaupt noch vorfinde.“
Aber kann das Land auch etwas unternehmen, wenn die Mobilitätswende vor Ort zum Politikum wird? In der Landeshauptstadt kann Staatssekretär Doods quasi vor dem eigenen Bürofenster beobachten, wo die Fronten verlaufen. Auch ist das Neue Rathaus nicht weit von seinem Dienstsitz entfernt. Dort hat – zumindest vordergründig – der Streit über die Umgestaltung der Innenstadt zum Bruch der grün-roten Koalition geführt. Er sagt: „Ich glaube, wir können in unserer Rolle ganz gut ein Gesprächspartner sein in so einer Situation – das haben wir in diesem Fall auch ganz konkret angeboten.“ Ziel dieser Gespräche sei es nun, insbesondere die Verbindungen zu den überörtlichen Verkehren aufzuzeigen, denn Hannover plant den Verkehr schließlich auch nicht nur für die Bewohner der Innenstadt allein. „Aber der Punkt bleibt: Das sind Dinge, da ist das Land auch nicht immer der richtige Ratgeber, sondern das sind die Diskurse, die auch dort geführt werden müssen, wo sie hingehören und politisch verantwortet werden müssen – und das ist die Landeshauptstadt.“
Für die Kommunalpolitiker im Neuen Rathaus ist der Prozess jedenfalls noch lange nicht vorbei. Bremens Verkehrs-Abteilungsleiter Polzin weiß, dass die Änderung von Verkehrswegen etwas ist, das normale Legislaturperioden weit überdauert. „Das sind lange Prozesse, die dauern über Jahrzehnte, weil Infrastrukturplanung, Bauschaffung, Planfeststellung, Klagen auch bei Radverkehrsanlagen ein langer, langer Weg sind“, sagt Polzin und konkretisiert: „Es ist keine Sache für drei bis fünf Jahre, sondern eher für 15 bis 20 Jahre. Und die ganze Wirkung der Infrastruktur tritt ja erst ein, wenn sich das Verhalten ändert. Was nützt mir der Straßenrückbau, oder das veränderte Verhalten der Stadtbewohner, wenn die Umlandbewohner sagen: Prima, haben wir mehr Platz um mit dem Auto in die Stadt zu fahren.“
Dieser Artikel erschien am 13.05.2024 in der Ausgabe #086.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
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