Wenn gespart wird, dann wird in Deutschland an der Ästhetik gespart.
Die derzeitigen Schulgebäude sind für Ramseger aus der Zeit gefallen. Es seien die Schulen des Industriezeitalters. Frontale Belehrung, rechteckige Klassenzimmer seien damals das Maß der Dinge gewesen. Die Klassenzimmer seien ein Abbild der Vorstellung vom Lernen in einer Gesellschaft in einer bestimmten Zeit. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute sind auch Teamfähigkeit und Kreativität gefragt. Das bilden die schuhschachtel-artigen Klassenräume nicht mehr ab. Der Professor zeigt eine Schule im US-Bundesstaat Oregon, in der es überhaupt keine Klassenzimmer mehr gibt. Stattdessen gibt es „Funktionsflächen“: Rückzugsecken zum Lesen und Lernen, Flächen für Gruppenarbeit, Therapieräume für Inklusionskinder. Die Lehrer müssten sich umstellen: vom „Ich und meine Klasse“ zum „Wir und meine Fläche“.
Die vielen Glaswände irritierten die Lehrer häufig zu Beginn noch. „Oft hängen sie zuerst die Scheiben noch mit Plakaten voll, um damit wieder abgeschlossene Räume zu schaffen. Es dauert etwa ein Jahr, bis sich Lehrkräfte daran gewöhnt haben“, berichtet Ramseger. Er räumt ein, dass man für die neuen Konzepte 25 Prozent mehr Fläche benötige. Zugleich gebe es in den Bauten aber auch Flächengewinne, weil man keine Flure mehr benötige. Der Bildungsexperte plädiert dafür, Schule zum Teil eines lokalen Bildungszentrums zu machen, mit Mensa und Stadtteilbibliothek. Der Schule kommt Ramseger zufolge heute eine besondere Bedeutung zu. „Die Schule ist die neue Kirche. Es gibt keine andere Institution mehr, die alle Menschen pflichtmäßig zusammenführt.“
Warum müssen Flure immer gerade sein?
Ramseger wünscht sich mehr „Wohlfühlarchitektur“. Das Wohlfühlen sei eine Voraussetzung für den Lernerfolg. Der Staat müsse deshalb in „lernförderndes Ambiente und Ästhetik“ investieren. Das muss in bereits bestehenden Schulen gar nicht teuer sein. Entscheidend sei, dass man Schüler und Lehrkräfte einbeziehe. Man müsse ihnen die Identifikation mit der Schule ermöglichen. „Da haben wir schon einen kleinen Nachholbedarf bei unseren Schulgebäuden“, sagt er süffisant. Als positives Beispiel zeigt er Bilder der Räumlichkeiten der Erika-Mann-Grundschule im Berliner Bezirk Wedding. In der „theaterbetonten“ Grundschule, wie sich die Lehranstalt selbst nennt, hatten die Schüler zusammen mit Architekten die Neugestaltung ihrer Räume übernommen. Wechselnde Bilderausstellungen, spiegelnde Flure und Garderoben in Form von Dracheneiern machen die Schule jetzt unverwechselbar und heben die Räume deutlich von 08/15-Klassenzimmern ab. Überhaupt: Flure. „Warum müssen die eigentlich immer gerade sein?“, fragt Ramseger. Kurven machten das Leben doch erst interessant. „Kurven sind aber auch teuer“, flüstert eine Architektin kaum hörbar.Möchten Sie den Inhalt von www.facebook.com laden?
Fehlende finanzielle Mittel können bei der Verwirklichung der schönen neuen Schularchitektur ein Hindernis sein. Aber auch fehlende Kreativität und Wurschtigkeit bei Baubehörden und Architekten. Das muss Ramseger gerade schmerzlich in Berlin erfahren. Dort hatte er sich in der 70-köpfigen Arbeitsgruppe Schulraumqualität engagiert. Das Ziel war, die besten Schulen der Welt zu bauen. Kleiner geht es in Berlin nicht. Das Ergebnis war dann allerdings auch typisch Berlin. Der Gewinnerentwurf eines Berliner Architektenbüros ist für Ramseger „ein Betonklotz mit dem Charme eines Parkhauses aus den 60er Jahren“. Kein Wunder: Berlin ist zu arm, um Schulgebäude zu bauen, die sexy sind. Die Stadt ächzt unter dem massiven Zuzug und muss in den nächsten zehn Jahren mehr als 60 Schulgebäude bauen.
Und so hat sich die unterbesetzte Berliner Verwaltung zum Ziel gesetzt, einfach dasselbe Betonkasten-Modell so oft wie möglich an verschiedenen Orten zu bauen, weil dann nur ein Genehmigungsverfahren nötig ist. Doch laut Ramseger scheiterte es nicht nur am Geld. Schon die Entwürfe hätten sich bereits durch „furchterregende Einfallslosigkeit ausgezeichnet“, stöhnt er, ausgerechnet vor den Zuhörern der Architektenkammer. „Von 15 Wettbewerbsentwürfen waren 14 eckige Schachteln. Wir machen die Fehler der 60er Jahre erneut. “
Alleine vier Richtlinien für Schultoiletten
Und die Realität in Niedersachsen? Man sei bei der Bedarfsplanung im bundesweiten Vergleich zumindest gefühlt Schlusslicht, heißt es bei der Architektenkammer. Die Schulbauhandreichung sei im Jahr 2002 außer Kraft gesetzt worden. Man orientiere sich an einem Text von 1988. Seit 30 Jahren gebe es nichts, das an die Gegebenheiten angepasst wurde. Stattdessen gebe es auch bei Schulgebäuden einen Wildwuchs an Vorschriften, alleine vier Richtlinien, wie sich Schultoiletten bemessen sollten. Das Kultusministerium verweist auf die Verantwortung der Schulträger, wenn es um die Gestaltung der Schulanlagen geht. Zur Unterstützung bei Neu- und Umbauten gebe es Beratungsteams in der Landesschulbehörde, die zum Beispiel über Expertise in Fragen der Inklusion oder der Ganztagsbeschulung verfügten.Lesen Sie auch: 11-Punkte-Plan: Tonne will Lehrer zügig von Aufgaben entlasten Landeselternrat kritisiert Schulausfälle wegen defekter Heizungen
Ein großer Wurf beim Schulneubau ist in Niedersachsen nicht zu erwarten. Dabei könnte manches auch ohne einen großen Wurf so einfach sein. So fordert Ramseger zum Beispiel 20 Steckdosen in einem Klassenraum. Irgendwie müssen Smartphones und Tablets schließlich laden. Und auch den Warmwasser-Anschluss, der für Schulen nicht vorgesehen ist, fordert der FU-Professor ein. Wo sollen sich die Kinder die Hände waschen? Ein Boiler unter dem Waschbecken kostet im Baumarkt 100 Euro. Das müsse doch wohl noch möglich sein.