Tierwohl: In Niedersachsen steht der Nachfolger der Ringelschwanzprämie in den Startlöchern
Die sogenannte „Ringelschwanzprämie“ zählt zu den ganz besonderen Kuriositäten aus dem Bereich der Agrarförderung. Denn auf den ersten Blick wird den Landwirten mit diesem Förderinstrument Geld gezahlt, damit sie etwas unterlassen, was ihnen ohnehin seit Jahrzehnten verboten ist: den Ferkeln routinemäßig ihre kleinen Ringelschwänzchen abzuschneiden. Für den Laien mag es unverständlich erscheinen, dass das Kupieren aktuell zwar verboten ist, aber dennoch praktiziert werden kann.
Grund dafür sind Ausnahmeregelungen im Tierschutzrecht: Immer dann, wenn der Landwirt gut begründen kann, warum es nicht anders geht, und zeitgleich einen Plan auflegt, wie es auf längere Sicht vermieden werden kann, kann die umstrittene Praxis doch erlaubt werden. Ein Problem ist, dass sich die Tiere unter Stress oder aus Langeweile gegenseitig verletzen und dabei vor allem dem Nachbarn an den Schwanz gehen. „Vor allem in den bestehenden Haltungssystemen ist es den Betriebsleitern leider noch nicht flächendeckend möglich, ein durch komplexe Ursachen bedingtes Schwanzbeißen vollständig zu verhindern“, erklärt dazu das niedersächsische Agrarministerium. „Hierfür sind eine intensive Beobachtung der Einzeltiere, mehr Platz im Stall, unterschiedliche Beschäftigungsmaterialien und ein schnelles Eingreifen notwendig, sollte Schwanzbeißen doch auftreten.“
Nicht nur, weil man im niedersächsischen Agrarministerium wohl um das schlechte Image der „Ringelschwanzprämie“ in der Bevölkerung wusste, hat man sich nun einen anderen Namen ausgedacht. Auch um die EU zu besänftigen, die wenig von dem vorherigen Förderprogramm hielt, hat man die „Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung der besonders tiergerechten Haltung von Schweinen“ entwickelt, kurz: „Richtlinien Tierwohl Schwein“. Im Vordergrund steht dabei nun nicht mehr, dass das Kupieren der Schwänze unterbunden wird – gleichwohl soll es den Landwirten leichter gemacht werden, dieses Ziel umzusetzen. In den Vordergrund rücken jetzt die Vorgaben zu den Haltungsformen, und mehr Geld soll es auch geben. Die Agrarpolitiker des Landtags zeigten sich in der jüngsten Sitzung des Agrarausschusses regelrecht begeistert von diesem neuen Programm.
Damit es keine Probleme mit den europäischen Beihilfevorgaben gibt, hat man im Agrarministerium die Haltungsbedingungen, die jeweils Grundlage für die Förderung sind, deutlich über dem gesetzlichen Standard angesetzt. Doch ansonsten bemüht man sich, das Angebot betont niedrigschwellig auszugestalten, damit möglichst viele und auch konventionelle Schweinehalter die Förderung annehmen. Für Mastschweine, Sauen und Ferkel hat man dazu drei Bereiche genannt, aus denen die Landwirte auswählen können: Sie können ihren Tieren mehr Platz einräumen, Zugang zu Beschäftigungsmaterial beschaffen oder verschiedene Klimabereiche anbieten.
Zudem bietet das Agrarministerium nun eine, wie sie es nennen, „Premiumförderung“. Die soll etwa greifen, wenn den Tieren Zugang zum Außenbereich gewährt wird. Gekrönt wird das Programm durch eine Basisförderung, die bei Sauen 515 Euro pro Tier und Jahr beträgt, bei Mastschweinen 21 Euro und bei Ferkeln 9 Euro, wobei davon ausgegangen wird, dass pro Jahr drei Rutschen von Mastschweinen und acht Durchgänge von Ferkeln einen Betrieb durchlaufen können. Wird den Sauen dann Auslauf gewährt, gibt es 150 Euro obendrauf, bei Mastschweinen sind es zusätzliche 37 Euro und bei Ferkeln noch einmal 8 Euro. Wird bei den Saugferkeln zudem auf das Schleifen der Zähne verzichtet und andere Tierwohlmaßnahmen durchgeführt, gibt es noch einmal 91 Euro für die Nutztierbetriebe.
„Wir hoffen sehr, dass der Bund uns diese Maßnahmen durchführen lässt.“
Das Antragsverfahren läuft bereits, obwohl noch nicht ganz sicher ist, dass die „Ringelschwanzprämie“, die so nicht mehr genannt werden soll, auch tatsächlich in Kraft treten kann. Noch ist die Richtlinie als Entwurf deklariert, bei der im Idealfall bald nur noch das Datum des Inkrafttretens ergänzt werden muss. „Letzte technische Abstimmungen laufen noch in der landesinternen Ressortbeteiligung und sollen in den nächsten Wochen abgeschlossen werden“, erläutert dazu eine Ministeriumssprecherin auf Rundblick-Anfrage.
Die EU hat den nationalen GAP-Strategieplan das Förderprogramm bereits gebilligt. Problematisch könnte allerdings sein, dass der Bund eine vergleichbare Förderung anbietet, wenngleich mit deutlich geringeren Fördersätzen, wie die zuständige Referatsleiterin aus dem Landesagrarministerium, Iris Daseking, in der Sitzung des Landtags-Agrarausschusses dargelegt hat. Teilweise erhielten die Landwirte über das Bundesprogramm nur ein Drittel oder sogar nur ein Viertel von dem, was in Niedersachsen gezahlt werden soll. „Wir hoffen sehr, dass der Bund uns diese Maßnahmen durchführen lässt“, erklärte Daseking.
32,6 Millionen Euro für tierwohlgerechte Schweinehaltung
Insgesamt stehen für die Förderung der tierwohlgerechten Schweinehaltung in Niedersachsen für die neue Förderperiode 32,6 Millionen Euro über die ELER-Förderung der EU zur Verfügung, was laut Daseking voraussichtlich „ziemlich sicher“ ausreichen sollte. Die Erfahrung mit der „Ringelschwanzprämie“ habe gelehrt, dass die Landwirte nur sehr zögerlich auf diesen Weg einschwenken. Die Tierwohl-Referatsleiterin geht davon aus, dass dieses Vorgänger-Instrument ohnehin nur maximal zehn Prozent der Schweinehalter in Niedersachsen erreicht habe.
Zudem rät sie den Betrieben, vorsichtig an das Vorhaben heranzugehen und vielleicht zunächst mit einem Stall an dem Programm teilzunehmen. „Alle geförderten Tiere müssen unkupiert sein“, betonte sie noch einmal gegenüber den Agrarpolitikern des Landtags. Wer mitmachen möchte, sei zudem dazu verpflichtet, sich vorab beraten zu lassen. Auch wird jeder Betrieb kontrolliert und muss tagesgenaue Aufzeichnungen vorlegen können. Dabei muss dargelegt werden können, dass die Schwänze der Tiere „intakt und unversehrt“ sind – zumindest bei 70 Prozent der Schweine und 80 Prozent der Ferkel.
Dass auch in konventionellen Schweinehaltungen ausschließlich unkupierte Tiere eingestallt werden können, davon hat sich Agrarministerin Miriam Staudte (Grüne) kürzlich persönlich überzeugt. Am vergangenen Freitag besuchte sie den Schweinestall der Familie Harleß in Schwienau und hat sich mit der Betreiberfamilie über die notwendigen Haltungsbedingungen ausgetauscht.
„Von den Erfahrungen der Familie Harleß können viele schweinehaltende Betriebe profitieren“, sagte die Ministerin im Anschluss. Sie nahm dabei von ihrem Besuch die Erkenntnis mit, dass diejenigen, die auf das Kupieren der Ringelschwänze verzichten, eine sehr sorgfältige Tierbeobachtung betreiben und schnell reagieren müssen. „Am Ende kommt das den Schweinen zugute. Der Ringelschwanz ist ein wichtiger Indikator für den Gesundheitszustand des Tieres. Das heißt, am Ringelschwanz kann man erkennen, ob es den Tieren gut geht“, sagte die Ministerin.
Doch das wohl schwerwiegendste Hindernis für die bereitwilligen Landwirte dürfte wohl in den bau- und emissionsrechtlichen Vorgaben bestehen. „Rund zehn Prozent der Antragsteller springen erfahrungsgemäß noch ab, weil sie die bauliche Umsetzung nicht rechtzeitig hinbekommen werden“, sagte Daseking im Ausschuss. „Es wird nicht an jedem Standort gelingen. Es gibt einfach Orte, an denen die Belastung durch Emissionen schon so hoch ist, dass es nicht geht.“ Daran können dann auch noch so viele EU-Millionen nichts ändern: Wenn sich in Deutschland wirklich etwas an der Nutztierhaltung ändern soll, müssen endlich auch die Vorgaben beim Bau erneuert werden.
Dieser Artikel erschien am 27.04.2023 in der Ausgabe #077.
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