Der Kampf gegen die Nazi-Kennzeichen
Vorsicht ist geboten im Straßenverkehr: Man könnte Fahrzeugen begegnen, die gefährliche Autokennzeichen tragen. Die Koalition aus SPD und CDU im Landtag verfolgt allen Ernstes den Plan, bestimmte Buchstaben- und Zahlenkombinationen auf diesen Schildern, die Assoziationen an die Zeit des Nationalsozialismus wecken könnten, zu verbieten. So würde das Land klare Kante „gegen Rechts“ zeigen, heißt es vor allem aus der SPD, einige Kennzeichen seien „sittenwidrig“. Die CDU folgt dem still aus Koalitionstreue, vermutlich in der Erwartung, in anderen Fragen dann ein Entgegenkommen der SPD zu erhalten.
Kennzeichen im Visier des Verfassungsschutzes
Tatsache ist: Bestimmte Kombinationen sind bereits bundesweit verboten, so KZ, SS, SA, HJ oder in Niedersachsen auch NS. Tatsache ist auch: Pfiffige Rechtsextremisten haben bisher trotzdem einen Weg gefunden, dennoch ihre Nähe zum Nationalsozialismus zu bekunden, sie nehmen einfach andere Zeichen und Codes. Eine mittlere dreistellige Zahl von Autohaltern bundesweit nutzt nach Mitteilung der Landesregierung beispielsweise die Zahl „88“. Das steht für den achten Buchstaben im Alphabet, das H, und damit für „HH“ als Abkürzung für „Heil Hitler“. Streng genommen müsste man nun darüber nachdenken, ob man die Hansestadt Hamburg, deren Kennzeichen HH ist, umbenennen sollte. Doch darüber redet bisher noch niemand.
Im Innenausschuss des Landtags erläuterte jetzt Dirk Pejril, Leiter des Referats für Kriminalitätsbekämpfung im niedersächsischen Innenministerium, dass ja das öffentliche Zeigen von NS-Symbolen in Deutschland verboten sei, folglich suche die rechtsextreme Szene „nach Alternativen, ihre Verbundenheit auszudrücken“. Dabei kämen auch Codes und Symbole „aus dem Kraftfahrzeugbereich“ in Betracht. Zwölf Buchstaben- und 13 Zahlenkombinationen hätten Polizei und Verfassungsschutz im Visier, erklärt der Referatsleiter. Pejril berichtet weiter, dass man natürlich nicht pauschal jedem, der nun eine 88 oder 18 (für AH, also die Abkürzung für Adolf Hitler) im Kennzeichen hat, eine rechtsextreme Gesinnung unterstellen könne. Es komme auf „das Gesamtbild“ an, den Lebensweg des Fahrzeughalters und sein Verhalten, etwa sein Auftreten. Soll das nun heißen, dass man bei jedem, der eine 88 im Kennzeichen haben will oder eine andere vom Verfassungsschutz als anrüchig identifizierte Kombination, eine Gesinnungsprüfung vornehmen sollte? Diese Frage stellte im Ausschuss niemand.
AfD-Politiker zählt weitere Kombinationen auf
Die Sache ist jedenfalls noch viel komplizierter, wie aus Pejrils weiteren Ausführungen klar wurde – und das liegt am Erfindungsreichtum rechtsextremer Kreise. Statt AH würden manche gern auch BH nutzen (steht für die rechtsextreme Gruppe „Blood and Honour“), denkbar ist diesbezüglich auch die 28, weil B der zweite Buchstabe im Alphabet ist. Pejril weiß zudem zu berichten, dass manche die „1488“ begehren. Hier ist die Herleitung schwieriger. Die 88 steht für das bekannte „Heil Hitler“, die 14 steht für die Gruppe „14 Worte“, mit der ein Rassist in den USA vor vielen Jahren aufgefallen war, der eine Botschaft mit 14 Wörtern ausgegeben hatte, in der zum Schutz der „weißen Kinder“ aufgerufen wurde. Für viele im Innenausschuss war diese Information neu, Pejril trat jedoch wissend auf – und wirkte so, als ob die Polizei durchaus erwartungsvoll dem Ziel entgegensehe, derartigen Symbole künftig unterbinden zu können.
Wie schwierig das in der Praxis dann aber doch werden kann, zeigt die Wortmeldung von Jens Ahrends (AfD), der sich zunächst – wie alle anderen – eindeutig bekennt, das schon geltende Verbot von KZ, SS und anderen natürlich zu unterstützen. Wie aber sei es, fragt Ahrends, mit „420“? Als vor Jahren die Zahl in der Edeka-Werbung auftauchte, habe es eine große Aufregung gegeben, da dies eine Anspielung auf den 20.4. sein könne, also Hitlers Geburtstag. Oder die Zahl „3849“? Ahrends zitiert folgende Interpretation, die auch im Zusammenhang mit Kritik an einer Edeka-Werbung laut geworden sei: Die 84 stehe für „Heil Deutschland“, eingerahmt werde es von 3 und 9, das könne ein Code sein für „Christliche Identität“ und werde gedeutet als Ausdruck von Antisemitismus. Der AfD-Politiker geht noch weiter: Was, fragt er, ist denn mit den Quersummen, wenn beispielsweise das Kennzeichen „666“ oder „657“ vergeben wird, beides Zahlen, deren Ziffern in einer Reihe addiert die verpönte 18 ergeben.
Wir müssen aufpassen, nicht zu überziehen. Irgendwo ist die Grenze.
Der Vortrag von Ahrends war in seiner Diktion nicht ironisch gemeint, wirkte aber fast so. So war es an Marco Genthe (FDP), eine ernste Mahnung auszusprechen: „Wir müssen aufpassen, nicht zu überziehen“, forderte er. Viele Autofahrer nutzten den Brauch, um eine Wunsch-Nummer mit ihren Initialen zu bitten. „Das ist etwa für meine Landtagskollegin Susi Schütz gar nicht möglich“, meinte er. Das sei durchaus richtig so, denn eindeutige NS-Kennzeichen wie SS sollten nicht erlaubt sein. „Aber wir müssen aufpassen, nicht zu überziehen“, riet Genthe, „irgendwo ist die Grenze“. Er lehne es ab, über solche Verbote die Code-Symbolik verblendeter Rechtsextremisten anzunehmen und sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen. Bernd Lynack (SPD) widersprach: In der Abwägung könne der Wunsch von Autobesitzern, ihre Initialen zu verewigen, auch zurückstehen müssen. Dunja Kreiser (SPD) rief dazu auf, „provokative Autoschilder zu unterbinden“. Bernd-Carsten Hiebing (CDU) lobte den SPD/CDU-Antrag zunächst grundsätzlich, fügte dann aber mit leicht mahnendem Unterton hinzu: „Wir sollten nach den Verboten bestimmter Zahlen und Buchstaben noch genügend Möglichkeiten haben, unsere Autos überhaupt noch zu kennzeichnen.“
Für das Innenministerium ist dieses Thema so wichtig, dass auch eine vertrauliche Unterrichtung der Ausschussmitglieder angeschlossen wurde, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei, heißt es, wurde der Hinweis laut, dass ein Verbot zu vieler angeblich NS-lastiger Kennzeichnen kontraproduktiv sein könne – denn dann gehe der Polizei eine bislang mögliche Handhabe verloren, in dieser Hinsicht verdächtige Fahrzeuge, etwa bei einer Demonstration von Rechtsextremisten, herauszufischen. Es sei doch gar nicht so verkehrt, wenn sich überzeugte Rechtsextremisten mit eindeutigen Autokennzeichen selbst entlarvten. (kw)