Warum die Krankenhausreform den Bundesrat jetzt passieren sollte – trotz all der Kritik
Dieser Text ist ein Appell, und der Adressat ist die niedersächsische Landesregierung, die sich am heutigen Dienstag zur wöchentlichen Sitzung in ihrem Gästehaus in Hannover trifft. Die Ministerrunde von SPD und Grünen wird sich verständigen, wie sie am Freitag im Bundesrat abstimmen soll, wenn die umstrittene Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf dem Programm steht. Wir erinnern uns: Um das Reformwerk, das die wirre Krankenhauslandschaft in Deutschland bereinigen soll, hat es länger als ein Jahr heftige Debatten gegeben. Gleichwohl hat der Bundestag das Konzept am 17. Oktober beschlossen – und nun muss noch der Bundesrat nachziehen, damit es in Kraft treten kann. Die Entscheidung fällt am 22. November.
Die Bitte an die Landesregierung lautet, dem Entwurf zuzustimmen – damit möglichst keine Mehrheit im Bundesrat zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zustande kommt. Warum soll das so sein? Man hört schon die Einwände der Kommunalvertreter aus Niedersachsen, die das Gesetz für überbürokratisiert, viel zu kompliziert und für unterfinanziert halten. Man hört die Klage, dass der Bund bisher nicht vorgesorgt hat für die finanzielle Schieflage, in die viele Kliniken bei der Einführung der neuen „Leistungsgruppen“ geraten werden und schon jetzt geraten sind. Sollte das Gesetz nicht etwa nachgebessert werden? Tatsächlich sind diese Einwände berechtigt, tatsächlich ist es sinnvoll, das Lauterbach-Gesetz in vielen Details nachzuschärfen. Und die Klinik-Finanzierung ist so, wie sie gegenwärtig vorgesehen ist, auch absolut unzureichend. Da haben die Kommunalvertreter recht.
Und trotzdem wäre es falsch, wegen dieser Mängel das Gesetz jetzt in den Vermittlungsausschuss zu schicken. Denn das hieße, es gleich in den Mülleimer zu befördern. Niemand glaubt im Ernst daran, dass ein eiliges Vermittlungsverfahren so zügig abgeschlossen werden kann, dass der Bundestag dann noch einmal darüber entscheiden und die Nachbesserung durchsetzen kann. Dies wäre nämlich der formal naheliegende Weg: Man lotet die verschiedenen Veränderungen aus – und am Ende muss der Bundestag noch einmal zusammenkommen, um über das Ergebnis der Vermittlung zu befinden. In normalen Zeiten ist das richtig und sinnvoll, es wäre auch das bewährte Verfahren, inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Bundestag und Länderkammer auszuräumen. In dieser konkreten Situation jedoch spiegelt dieser Weg nur eine Kompromissmöglichkeit vor, die praktisch unrealistisch ist. Denn wie soll ein Vermittlungsverfahren bei einem so hochsensiblen Thema wie diesem in einer politisch aufgeregten Wahlkampfzeit gelingen können? Selbst wenn man die theoretische Variante einer fixen Verständigung unterstellen würde, müsste danach noch einmal der Bundestag entscheiden. Wann soll das sein – etwa zwischen Weihnachten und Neujahr oder im Januar? Spätestens Anfang Januar befindet sich Deutschland in der Hochphase des Wahlkampfes, da sind breite Mehrheiten für Konsens-Entscheidungen im Bundestag fraglich – Bundestagssitzungen sind dann ohnehin fraglich, da sich die Abgeordneten auf Wahlkampfterminen befinden. In dieser Zeit betonen alle Parteien ihre Unterschiede und dürften kaum erpicht sein, gerade in der Gesundheitspolitik eine neue Gemeinsamkeit zu demonstrieren.
Die Lauterbach-Reform mag lückenhaft sein, sie hat möglicherweise noch zu wenige Ausnahmen und wirkt deshalb zu radikal für die Klinik-Reform. Es geht konkret um die Vorgaben, die ein Krankenhaus erfüllen muss, um weiterhin bestehen zu bleiben und von den Krankenkassen finanziert zu werden. Es geht um personelle Mindestanforderungen und um Mindestausstattungen. Wenn Lauterbachs Konzept in Kraft tritt, werden das viele kleine und unwirtschaftliche Kliniken als Bedrohung empfinden. Es wäre dann aber an den Bundesländern, die für die Krankenhausplanung zuständig sind, die Härten zu mildern und – etwa über Kooperationsmodelle – gefährdete Standorte doch noch abzusichern. Wenn Lauterbachs Konzept aber scheitert, sind monatelange Debatten für die Katz gewesen. Dann bliebe es vorläufig beim bisherigen, höchst fragwürdigen DRG-System. Dieses bewirkt bisher, dass es viel zu viele Operationen in Krankenhäusern gibt. Der Zwang zur Schließung vieler unwirtschaftlicher Kliniken fiele weg, der Anreiz für eine Modernisierung des überteuerten deutschen Gesundheitswesens bliebe aus. Der nächste Gesundheitsminister müsste die Debatte völlig von vorn beginnen – und die Prügel einstecken, die Lauterbach mit seiner Gradlinigkeit, manche meinen Sturheit, zu erdulden bereit gewesen ist.
Wenn die Lauterbach-Reform scheitert, wäre die Gefahr groß, dass der nächste Entwurf einer Krankenhausreform verwässert und weichgespült wird. Die vielen Besitzstandswahrer, die am Status quo festhalten wollen und Veränderungen scheuen, hätten gesiegt. Das hieße auch, dass ein wichtiger Beitrag zur Dämpfung der Ausgaben im Gesundheitswesen wegfiele – und der Kurs der stetig steigenden Krankenkassenbeiträge fortgesetzt würde.
Noch einmal: Vieles an der Lauterbachschen Krankenhausreform ist unausgegoren, vieles muss nachgebessert werden. Doch das sollte man später klären, wenn das Regelwerk erst einmal beschlossen ist. Das Gesetz von Lauterbach ist radikal und drastisch. Aber jeder, der einen über Jahrzehnte entstandenen und immer wieder gepflegten strukturellen Missstand beseitigen will, braucht zum Auftakt ein mutiges Konzept, das er gegen Widerstände durchsetzen muss. Das ist vergleichbar mit der Verwaltungsreform in Niedersachsen, die vor 20 Jahren mit der bis heute umstrittenen Abschaffung der Bezirksregierungen eingeleitet wurde. Hätte man damals nicht so rigoros agiert, wäre die damalige Reform – die durchaus ansehnlich war – wohl gar nicht richtig in Gang gekommen. Wenn Lauterbachs Konzept scheitert, wäre das die Kapitulation vor den vielen, die eine Reform an sich scheuen, weil sie es sich in den gegenwärtigen Verhältnissen gemütlich eingerichtet haben.
Daher die Bitte an die Landesregierung: Ein Ja zum Reformwerk wäre richtig – verbunden mit der Hoffnung, dass keine Mehrheit im Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen wird.
Dieser Artikel erschien am 19.11.2024 in der Ausgabe #204.
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