31. Aug. 2017 · 
Kommentar

Warum der Fall Rundt kaum die Schlagzeilen bestimmt

Darum geht es: Sozialministerin Cornelia Rundt steckt, nach allen bisher bekannten Unterlagen, tief in einem Skandal um eine manipulierte Auftragsvergabe. Trotzdem bleibt der öffentliche Widerhall in Grenzen. Umgekehrt steht Innenminister Boris Pistorius im Kreuzfeuer der Kritik für einen Vorschlag, den Fachleute für unspektakulär halten. Woran das liegt, versucht Klaus Wallbaum in einem Kommentar zu ergründen. Gut sechs Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl, und plötzlich hat sich die Art und Weise geändert, wie über bestimmte Themen diskutiert und gestritten wird. Der Eindruck drängt sich auf, dass in Wahlkampfzeiten eigene Gesetze gelten. Hier wird auf einmal wichtig und bedeutsam, was in „normalen“ Zeiten kaum eine Randnotiz Wert ist. Auf der anderen Seite finden hochpolitische Vorgänge, die sonst eine echte Krise auslösen können, nur eingeschränkt Aufmerksamkeit. Man dringt damit kaum durch. Woran liegt das? Das erste Beispiel: Innenminister Boris Pistorius dachte vor wenigen Tagen laut darüber nach, ob man nicht den Ultras in den Fußballstadien erlauben solle, Pyrotechnik in bestimmten, eng begrenzten Räumen zu verwenden. Dahinter stand die Überlegung, dass man ein Verhalten von Fußballfans, gegen das die Polizei seit vielen Jahren machtlos ist, über eine freiwillige Vereinbarung steuern und damit auch über einen Dialog einschränken könnte. Für Polizeitaktiker ist das ein sachlicher, die Debatte belebender Vorschlag. Weil aber Wahlkampf ist, bot Pistorius mit dieser bloßen Andeutung eine riesige Angriffsfläche für seine Gegner. Wenige Tage darauf erntete CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann in einer Großveranstaltung mit der Kanzlerin tosenden Beifall, als er sich von dieser Idee abgrenzte. Das zeigt: Wahlkampfzeiten sind schlecht für differenzierte Debatten, es herrschen die Schlagworte und Vereinfachungen. Aus Pistorius‘ Vorschlag für eine veränderte Polizeitaktik wurde ein angeblicher Plan der SPD, das Zünden von Feuerwerkskörpern in Stadien erlauben zu wollen. Lesen Sie auch:   Das zweite Beispiel belegt einen gegenläufigen Trend: In Wahlkampfzeiten verlieren manche Fälle auch an Gewicht und politischer Durchschlagskraft. So ist es mit der jüngsten Vergabeaffäre, in die Sozialministerin Cornelia Rundt verstrickt ist. Aus den bisher bekannten Akten kann man herauslesen, dass sich die Politikerin frühzeitig zugunsten der Auftragsvergabe für eine bestimmte Firma, die von einem früheren SPD-Politiker geführt wird, eingesetzt hat. In „normalen“ Zeiten würde die Opposition Sondersitzungen beantragen und den Rücktritt der Ministerin fordern, der ganze parlamentarische Betrieb würde sich auf diesen Fall ausrichten. Hier ist es anders, die Reaktionen von CDU und FDP bleiben verhalten, die Berichterstattung in den Medien ist zurückhaltend. Warum?

Wahlkampfzeiten sind Zeiten von knappen Botschaften

Zwei Erklärungen liegen nahe. Erstens findet eine Ministerin, die politisch in schwere See gerät, vor allem dann Aufmerksamkeit, wenn ihr Verhalten die Regierung destabilisiert. Das ist hier – merkwürdigerweise – nicht der Fall. Denn die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil hat bereits viele Stützpfeiler verloren, sie befindet sich in einem Übergangszustand bis zur Neuwahl. Die Mehrheit im Parlament ist verloren gegangen, eine Fülle an aktuellen Problemen lastet auf dem Kabinett. Ein möglicher Rücktritt einer Ministerin würde an dieser misslichen Lage nicht mehr viel ändern. Zweitens haben CDU und FDP ihre Botschaft, dass in der rot-grünen Landesregierung bestimmte Firmen mit Auftragsvergaben begünstigt worden seien, bereits gesetzt. Zwei Staatssekretäre mussten aus diesem Grunde gehen, eine dritte muss sich im Untersuchungsausschuss rechtfertigen. Da ändert die Sozialministerium, die mit einem ähnlich gelagerten Vorwurf konfrontiert wird, an der Qualität der politischen Kritik nichts mehr – höchstens an der Quantität. Aber diese ist am Ende unerheblich, denn Wahlkampfzeiten sind Zeiten von knappen Botschaften. Zu lange Aufzählungen oder Schilderungen von Einzelfällen schwächen eine zugespitzte Botschaft eher, als dass sie sie noch verschärfen könnten. Außerdem gilt: Jede Partei, die in den Wochen vor einer Wahl den Gegner angreift, setzt sich immer dem Vorwurf aus, sie verzerre und dramatisiere die Lage. Ihre Glaubwürdigkeit ist in Wahlkampfzeiten automatisch geringer – ganz unabhängig davon, wie berechtigt oder unberechtigt die Kritik in der Sache auch sein mag.
Die Gesetze des Wahlkampfs – sie sind sonderbar und stellen oft auch die Logik auf den Kopf
Cornelia Rundt könnte am Ende diese Affäre politisch überstehen, jedenfalls bis zur Landtagswahl, weil ihr Fall wegen der Gesetze des Wahlkampfs nicht die gebotene Aufmerksamkeit finden kann. Noch ein anderer Gesichtspunkt kommt hinzu. Welchen Grund sollten CDU und FDP gegenwärtig haben, den Rücktritt dieser Ministerin zu erreichen? Eine geschwächte Cornelia Rundt kann in der gegenwärtigen Krise von Rot-Grün in Niedersachsen den Christ- und Freidemokraten sehr viel mehr nützen – zumal sie dann auch behaupten können, dass dem Ministerpräsidenten die Kraft zur Entlassung einer eigentlich untragbaren Ministerin fehle. Die Gesetze des Wahlkampfs – sie sind sonderbar und stellen oft auch die Logik auf den Kopf. Das ist wie Karneval in Köln: Alles ist irgendwie ein bisschen verrückt. Und Aschermittwoch ist erst am Abend des 15. Oktober.   Mail an den Autor dieses Kommentars
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #151.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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