20. Sept. 2023 · 
Parteien

Warum der AfD-Antrag zum Kinderschutz weder Kindern noch der Streitkultur nutzt

Nicht selten geht es in der Politik auch um Show. Doch die AfD scheint diese Disziplin noch weiter perfektionieren zu wollen. So geht es ihnen bei ihren Anträgen nicht um Zustimmung, sondern um Ablehnung. Und Debatten im Landtag sollen kein Thema voranbringen, sondern gutes Filmmaterial für den dauerhaften Wahlkampf in den sozialen Netzwerken liefern. Zuletzt konnte man dieses Vorgehen etwa am vergangenen Freitag, dem letzten Tag des September-Plenums beobachten.

Die AfD-Fraktion applaudiert Vanessa Behrendt nach ihrer Rede zur „frühkindlichen Sexualisierung“ im Landtag. Die übrigen Fraktionen schweigen. | Screenshot: Plenar-TV

Auf der Tagesordnung stand der AfD-Antrag zum Kinderschutz – doch so viel vorweg: Damit hatte das Ganze nicht sonderlich viel zu tun. Und gerade ist das Beispiel dazu geeignet, eine allgemeine Taktik der Partei zu veranschaulichen, die grob vereinfacht so aussieht: Erstens setzt die AfD ein Thema auf die Tagesordnung, gegen das niemand etwas haben kann, hier: Kinderschutz. Dann vermengen sie dieses aber, zweitens, mit kruden Quellen oder anderen Forderungen, so dass keine andere Fraktion auch nur im Ansatz zustimmen könnte, nur um dann, drittens, alle anderen als Gegner des allgemein anerkannten, oberflächlichen Anliegens darzustellen, hier also des Kinderschutzes. Die Inszenierung steht, wagen wir also eine Theaterkritik im Detail:

Prolog: Der Antrag.

Kinder sollen geschützt werden. Das ist ein edles, vermutlich eines der edelsten Anliegen. Und ganz ehrlich: Wer sollte etwas dagegen haben? Allerdings: Was hat die AfD tatsächlich vor? Was steht drin im Antrag? Als der Fraktionschef das Anliegen den Medienvertretern beim Pressefrühstück ein paar Tage vorm Plenum vorstellte, fokussierte er sich auf das Thema „frühkindliche Sexualisierung“, die verboten werden sollte. Auf Nachfrage stellte er klar: „Wir sind nicht gegen Sexualerziehung, halten das aber in Kindergärten für ein No-Go.“

Doch darum geht es in dem Antragstext zunächst einmal gar nicht. Stattdessen beginnt man etwa mit der Forderung nach einer besseren technischen Ausstattung für Ermittlungsbehörden im Einsatz gegen sexuellen Missbrauch, fordert zudem eine bessere Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und Ermittlungsbehörden sowie finanzielle Hilfestellung für Opfer von Kindesmissbrauch. So weit, so gut.

Im vierten Punkt wird es dann aber schon haarig: Alle, die mit Kindern zusammenarbeiten – egal ob Sozialpädagoge oder ehrenamtliche Jugendliche –, sollen jährlich überprüft werden, inklusive polizeilichem Führungszeugnis. Im fünften von sechzehn Punkten taucht dann erstmals die „frühkindliche Sexualisierung“ auf, die als Thema in der Ausbildung von Erziehern und anderen gestrichen werden solle. Der nächste Punkt greift dann das Skandalthema „Doktorspielräume“ auf, das kürzlich durch die Medien ging und auch den Landtag bereits beschäftigt hat – jedoch als abgeräumt gelten dürfte.

Im siebten Punkt wird der Antrag dann plötzlich erweitert auf alle Kinder und Jugendlichen, die geschützt werden sollen vor „verstörenden“ Buchlesungen zum Themenfeld der sexuellen Vielfalt, die womöglich von Transpersonen oder Dragqueens durchgeführt werden könnten. Wo das geplant wird, solle es gemeldet und untersagt werden. Dieser Punkt zeigt die übliche Verquickung zweier Themen, die nichts miteinander zu tun haben: die Aufklärung über sexuelle Vielfalt und eine vermeintliche Frühsexualisierung, respektive Kindesmissbrauch. Für die AfD ist das jedoch offenbar alles eins.

Der achte Punkt wird später gemeinsam mit Punkt 13 relevant, sie sind quasi die einzigen, die bei der Einbringung eine wichtige Rolle spielen soll. Im Weiteren geht es der AfD dann um die Sexualaufklärung insgesamt in der Schule: Das Material solle auf Angemessenheit überprüft werden, und dann solle es nicht nur um Verhütung und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten gehen – sondern auch um die Bereicherung, die eine Geburt bringen könne. Im elften Punkt springt die AfD dann zurück zum Kindesmissbrauch, den zu verhindern alle Einrichtungen, die etwas mit Kindern zu tun haben, unterstützt werden sollen.

Im zwölften Punkt springt die AfD dann wieder zurück zur Sexualaufklärung, die in Krippen und Kindergärten gar nicht mehr stattfinden solle. Zuletzt fordert die AfD dann noch, einen Kinderschutzbeauftragten zu installieren, ein Register jener Einrichtungen zu führen, in denen „frühkindliche Sexualisierung“ praktiziert werde sowie alle Fördermittel zu streichen, die entweder „frühkindliche Sexualisierung“ oder die „Propagierung von anderen LGBTQ-Themen in Bezug auf Kinder- und Jugendliche“ befördern. Wie man sieht also: Ein bunter Blumenstrauß zu „irgendwas mit Sex“.

Akt 1: Die Einbringung.

Nach der Lektüre eines so umfassenden Antragstexts hätte man nun auch eine ebenso umfassende Einbringung desselben erwarten können. Doch wie bereits angedeutet, fiel vieles von dem, was im Skript steht, im Plenarsaal dann unter das Rednerpult. Die AfD-Abgeordnete Vanessa Behrendt nutzte ihre knapp achtminütige Rede stattdessen dazu, sich selbst als sorgende Mutter zu präsentieren, die im Landtag die Anwältin aller sich sorgenden Eltern sei. „Ich bin in die Politik gegangen, um Kinder zu schützen!“

Vanessa Behrendt (AfD) | Screenshot: Plenar-TV

Weiter listete sie zweifellos schlimme Fälle sexuellen Missbrauchs auf und thematisierte auch den AWO-Kindergarten aus Hannover mit seinem Körpererkundungsraum. Schwerpunkt ihrer Ausführungen war allerdings eine Handreichung der Weltgesundheitsorganisation und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, in der „Standards für Sexualaufklärung“ für Null- bis Vierjährige ausformuliert würden. Von dieser Broschüre, so das Kernanliegen der AfD-Politikerin, solle sich die Landesregierung und der übrige Landtag distanzieren – denn sonst unterstütze die Regierung „den Versuch, die Pädophilie in einem schleichenden Prozess salonfähig zu machen“, so Behrendt. Das ist des Pudels Kern, wie sich im Epilog zeigen wird.

Akt 2: Auftritt der Antagonisten.

Nach Vanessa Behrendt traten nacheinander Marten Gäde (SPD), Sophie Ramdor (CDU) und Swantje Schendel (Grüne) in die Arena und mimten die todgeweihten Gladiatoren, die in einen aussichtslosen Kampf geschickt werden. Denn: Um eine inhaltliche Auseinandersetzung schien es bei dieser Plenardebatte ja ohnehin nicht zu gehen. Was erwidert man da also?

Marten Gäde wählte zunächst die Strategie: Angriff und Entlarvung. „Sie wollen mit ihrem Framing nicht Kinder schützen!“, sagte er und verwies etwa auf die unzulässige Assoziation von LGBT-Buchlesungen mit Kindesmissbrauch. Anschließend listete der Sozialdemokrat auf, was dennoch bereits für den Kinderschutz getan werde, etwa in dem interministeriellen Arbeitskreis von Sozial-, Innen-, Kultus-, Justiz- und Wissenschaftsministerium sowie dem Landesjugendamt, in dem die Ergebnisse der „Enquetekommission Kinderschutz“ aus der 18. Wahlperiode weiterbearbeitet würden.

Marten Gäde (SPD) | Screenshot: Plenar-TV

Sophie Ramdor nutzte ihre Rede, um den AfD-Antrag zu dekonstruieren und die Alleinstellung der CDU deutlich zu machen. „Der wichtige Aspekt, Kinder vor Missbrauch zu schützen, ist in diesem Antrag leider nur vorgeschoben“, sagte sie und führte aus, dass komplett außer Acht gelassen werde, dass Kindesmissbrauch schwerpunktmäßig in der Familie stattfinde und wissenschaftlich erwiesen sei, dass es hilft, wenn sich Kinder mit ihrer Sexualität aber auch mit den Grenzen auskennen.

Die CDU, betonte Ramdor, fordere bereits ein Landes-Kinderschutzgesetz und sei mit diesem Antrag sehr viel konkreter als die AfD, der es nur darum gehe, eine Ideologie zu verbreiten und einen Lebensplan überzustülpen, was sie bei anderen Parteien doch auch ablehne. „Sie behaupten, dass alle Buchlesungen, die sich mit LGBTIQ-Themen befassen, auch für Jugendliche verstörend sind. Wenn sich ein junger Mensch, der sich gerade geoutet hat, mit diesen Themen beschäftigt, ist das nicht verstörend, sondern seine Lebensrealität“, sagte Ramdor und bilanzierte schließlich: „Sie wollen die Sexualität aus allen Bereichen des staatlichen Lebens heraushalten.“

Sophie Ramdor (CDU) | Screenshot: Plenar-TV

Swantje Schendel fügte als letzte Rednerin bald resigniert an: „Wenn wir Kinderschutz ernst nehmen, wenn wir präventiv agieren wollen, dann müssen Kinder und Jugendliche in dem Wissen um ihre Rechte und Grenzen gestärkt werden, dann müssen sie für ihr Empfinden Worte finden können, und sich im Zweifel auch Hilfe organisieren können. Eine Tabuisierung des Themas trägt dagegen zu einer höheren Gefährdung von Kindern und Jugendlichen bei. Wissen ist der wichtigste Schritt im Schutz vor Gewalt.“

Swantje Schendel (Grüne) | Screenshot: Plenar-TV

Akt 3: Intervention!

Dass kein Argument von SPD, CDU und Grünen der AfD ausreichen würde, war anzunehmen. So hatte sich Vanessa Behrendt auch bewusst dazu entschieden, auf jeden Redebeitrag mit einer Kurzintervention zu reagieren. Dieser Schritt ist zwar möglich, aber an dieser Stelle nicht sonderlich üblich. Das Ziel ihrer Interventionen war derweil, das soeben Gesagte einzuordnen in den Tenor, den die AfD gerne nach draußen transportieren wollte.

Die Botschaft dabei lautete freilich: Außer der AfD setzt sich niemand für die Kinder ein; ja die anderen reden gar Pädophilen das Wort und dienen sich als Steigbügelhalter für Kindesmissbrauch an. Allein Sophie Ramdor widersprach noch einmal und hielt Behrendt vor, den eigenen Antrag nicht gelesen zu haben: „Es geht darin um Jugendliche, zum großen Teil um Inhalte in der Schule! Sie beschäftigen sich nicht mit frühkindlicher Bildung, sondern mit Schule und Jugendlichen!“ Doch was soll’s?

Epilog: Was soll daraus werden?

Wenn der Vorhang gefallen ist, der Antrag also in den Ausschuss verwiesen wurde, geht die Post-Produktion erst los. Was Vanessa Behrendt im Plenum gesagt hat, kann man etwa auf dem Youtube-Kanal der AfD-Fraktion ansehen. Der Film trägt den reißerischen Titel: „Wir erleben die Legalisierung von Pädophilie!“ Im Rundblick-Gespräch verrieten Abgeordnete, dass sie sich auf derart inszenierte Wortgefechte bereits gesondert vorbereiteten. Nämlich insofern, als dass man versuche, die Sätze so exakt zu formulieren, dass sie einem später nicht aus dem Kontext gerissen werden können, um sie in den sozialen Netzwerken als Videoschnipsel gegen einen zu verwenden. Was also bleibt? Schweigen?


Link zum Podcast "Pro und Contra: Was bringt Onays Verkehrswende?"
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Dieser Artikel erschien am 21.9.2023 in Ausgabe #163.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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