24. Apr. 2025 · Parteien

Warum auch ein hochmotivierter Olaf Lies die Ermüdung der SPD nicht überstrahlen kann

Es sollte gut klappen – und daher hat es länger gedauert. Olaf Lies (57), der designierte neue Ministerpräsident, wollte eigentlich vor Ostern sein neues Personaltableau präsentieren. Aber dann brauchte er doch länger dafür. Am Donnerstag hat Lies schließlich sein Kernteam vorgestellt. Wirtschaftsminister und unmittelbarer Lies-Nachfolger wird Grant Hendrik Tonne (48), bisher Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion. Dessen Posten soll Stefan Politze (59) aus Hannover übernehmen, bisher Fraktionsvize. Die bisherige Ministerin für Bundes-, Europaangelegenheiten und Regionalentwicklung, Wiebke Osigus (43), verlässt das Kabinett, ihr Ministerium wird aufgelöst. Die wesentlichen Teile davon werden künftig von einer Staatsministerin in der Staatskanzlei verantwortet, es ist Melanie Walter (51), bislang Abteilungsleiterin im Kultusministerium.

Olaf Lies erläutert seine Kabinettsumbildung. | Foto: Kleinwächter

Sieht so ein Aufbruchsignal aus? Lies trat am Donnerstag vor der Presse schwungvoll auf, sprach von den großen Herausforderungen der internationalen Politik, von Zuversicht und verlässlicher Arbeit im Team. Was er aber nicht verbergen konnte, ist die enge Personaldecke, die in der niedersächsischen SPD nach zwölf Jahren in der Regierungsverantwortung besteht. Die Partei wirkt ausgezehrt. Es gelang nicht, jemanden von außen – etwa eine Frau aus dem Management – für das Wirtschaftsministerium zu begeistern. Die Zahl der Talente im Mittelbau der SPD, in der Generation der 40-Jährigen, ist übersichtlich, manche sind in kommunalen Ämtern gebunden. Die Gruppe derjenigen niedersächsischen Sozialdemokraten, die um die 30 sind, hat zwar einige Hoffnungsträger. Aber für diese käme entweder ein Aufstieg zu früh, oder aber sie sind bisher zu oft in den Wartestand verwiesen worden, um noch ausreichend Ehrgeiz zu haben. Bestimmend ist in der Partei die Generation „50 plus“ und älter, und für viele Beobachter wird jetzt erschreckend deutlich, wie selten Diskussionsanstöße und mutige Initiativen aus der Mitte der Landtagsfraktion gekommen waren. Zu sehr hat sich die Gemeinschaft der SPD-Abgeordneten im Landtag bisher darauf beschränkt, die Mehrheiten für die Regierung zu sichern. Zu sehr hat sie sich mit einer passiven Rolle begnügt. Das ist vermutlich die normale Begleiterscheinung einer so langen Regierungszeit, die extrem stark auf die Person an der Spitze, Ministerpräsident Stephan Weil, ausgerichtet war. Und Weil selbst hat das so hingenommen. Wer widersprochen hat, so jüngst Braunschweigs OB Thorsten Kornblum in einer internen Sitzung, wurde von Weil barsch in die Schranken gewiesen.

Europaministerin ohne Ministerium: Melanie Walter. | Foto: Kleinwächter

Lies will es nun anders machen, will ein Teamplayer sein. Seine kommunikative und offene Art spricht für seinen vermutlichen Erfolg. Es gibt auch einige Pluspunkte in den ersten Personalentscheidungen. Tonne ist ein Gewinn für das Kabinett, der verlässliche, disziplinierte und loyale Stratege kann für Lies eine wichtige Stütze sein, vielleicht die wichtigste in der Regierung. Die neue Staatsministerin Walter verspricht, den Job der „Außenvertretung“ Niedersachsens in Brüssel weit besser zu machen als die damit völlig überforderte Vorgängerin Osigus. Und Lies‘ Ansage, dass seine künftige Regierung in der Verwaltungsdigitalisierung kräftig vorankommen will, ist wohl als Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, dass endlich die verschiedenen IT-Systeme der Ministerien vereinheitlicht werden sollen. Das wird auch Zeit, und jede Regierung, die darauf einen Schwerpunkt legt, verdient Unterstützung. Stephan Weil hat sich nie ernsthaft um die Reform solcher strukturierter Verwaltungsprozesse gekümmert, er wollte wohl dem damit verbundenen Ärger aus dem Weg gehen. So tat sich lange nichts.

Soviel nun auf der Sonnenseite. Aber es gibt auch jede Menge Schatten zum Start von Olaf Lies. Den neuen starken Wirtschaftsminister kann der künftige Ministerpräsident nur installieren, indem er ihn von der Spitze der SPD-Fraktion entfernt. Das ist hoch riskant. Tonnes natürliche Autorität reichte noch, den Unmut aus der Mitte der SPD-Abgeordneten auszubremsen. Unmut deshalb, weil viele Abgeordnete unterfordert sind und das Gefühl haben, dass sie bisher nur die Linie des Ministerpräsidenten Stephan Weil abnicken sollten. Der äußerlich immer so joviale und bescheidene Weil hatte intern durchaus einen autoritären Stil, er wollte alles unter Kontrolle halten. Das ließ für die Abgeordneten wenig Freiraum und förderte die, die freiwillig gekuscht haben.

Grant Hendrik Tonne wird wieder Minister. Seinen jetzigen Job soll dann Stefan Politze machen. | Foto: Kleinwächter

Wenn nun Stefan Politze neuer Chef der SPD-Fraktion werden soll, kann es gut sein, dass sich der aufgestaute Zorn gegen ihn entlädt – vielleicht schon bei der geplanten Neuwahl des Fraktionschefs am 19. Mai. Viel wird davon abhängen, ob es Lies und Politze, gestützt von Tonne, gelingen wird, die Landtagsfraktion zufriedener zu machen. Das kann am besten gelingen, wenn man sie teilhaben lässt an der Politikgestaltung – etwa an der Entwicklung von Reformen und Projekten. In den bisherigen zweieinhalb Jahren der Legislaturperiode fiel die rot-grüne Koalition indes vor allem durch Initiativen zu Nebensächlichkeiten und Kleinigkeiten auf, wirklich wichtige Neuerungen blieben eher selten. Die neue Bauordnung ist vielleicht eine Ausnahme. Diese rot-grüne Flucht in Belanglosigkeiten müsste Lies ändern, wenn seine Botschaft vom „Aufbruch“ nicht nur eine nette Redewendung sein soll.

Aber wie steht es überhaupt um die Möglichkeiten von Lies? Der in seiner kurzfristigen Konsequenz überraschende Abschied von Weil offenbarte einmal mehr die Machtgewichte in der SPD, also das extreme Übergewicht der bisherigen Nummer eins. Der jetzt vom designierten Ministerpräsidenten vollzogene Aufstieg vieler Weil-Vertrauter war offenbar ein Preis für Lies‘ Sprung an die Regierungsspitze. Die neue Staatsministerin Melanie Walter war früher Büroleiterin von Weil, als dieser noch Oberbürgermeister in Hannover war. Die zur Staatssekretärin aufsteigende Veronika Dicke, künftig Bevollmächtigte des Landes in Berlin, war Weils Chef-Koordinatorin in der Staatskanzlei. Nur Regierungssprecherin Anke Pörksen, bisher wohl engste Zuarbeiterin von Weil, geht leer aus. Dabei ist gerade das - Ironie des Schicksals - sehr schade, denn Pörksen brennt für sachliche Arbeit, könnte noch viel Positives für das Land leisten. Aber sie war wohl nicht unter denen, die von Weil zu dessen Abschied noch eine freundliche Empfehlung zur Weiterverwendung bekommen haben.

Dass die Umstände des Übergangs von Stephan Weil zu Olaf Lies für die SPD nicht gerade einfach sind, wurde in den vergangenen Tagen mehrfach deutlich. Es gab verärgerte Stellungnahmen einzelner in verschiedenen Sitzungen. So war es auch am 24. April, als Lies und Tonne die SPD-Landtagsfraktion informierten. Zwei Abgeordnete aus dem Bezirk Braunschweig und einer aus Weser-Ems empörten sich über die "schlechte Vorbereitung" und darüber, nicht frühzeitig genug in die Personalpläne von Lies und Tonne einbezogen worden zu sein. Früher, meinten sie, sei das viel besser gelungen. Teilnehmer der Sitzung berichteten später über eine "gereizte Stimmung". Hinter solchen Beschwerden steckt vermutlich immer ein tieferer Hintergrund, nämlich das Gefühl, mit den eigenen Positionen von denen an der Spitze nicht ernst genug genommen zu werden. Lies hat hier noch viel Arbeit vor sich. Was für ihn spricht: Er kann mitreißend sein, motivieren und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Auf diese Fähigkeiten kommt es in nächster Zeit wohl vor allem an.

Dieser Artikel erschien am 25.4.2025 in Ausgabe #078.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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