VW-Musterklage: Kein schneller Weg für die Kläger
Von Martin Brüning
Vor der Braunschweiger Stadthalle gibt es eine Schlange, allerdings deutlich kürzer als erwartet. Ein Sturmtief zieht über den Norden hinweg, die Bahn hat den Verkehr eingestellt. Möglicherweise ein Grund dafür, dass nur etwa 50 Besucher zum ersten Prozesstag der Musterfeststellungsklage gegen den Volkswagen-Konzern gekommen sind, obwohl deutlich mehr als 200 auf den Besucherstühlen Platz finden würden. Schließlich hatte man den Prozessauftakt aus Platzgründen extra in die Stadthalle verlegt.
Die meisten Besucher des ersten Prozesstags fahren auch keinen Diesel, wollen nur beim Start des Mammutverfahrens dabei sein. Dem Richter Michael Neef ist die Nervosität anzumerken. Immer wieder muss er während seiner einleitenden Worte schlucken. Der nicht nur für den VW-Konzern wegweisende Prozess beginnt im holzvertäfelten Raum der Braunschweiger Stadthalle leicht stockend.
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Von 469.000 Klägern ist an diesem Montag die Rede. Ob die Klagen alle wirksam seien, könne man kaum überprüfen, sagt Neef. Schließlich könne man nicht einordnen, wie und wann die Fahrzeuge der Kläger gekauft worden seien. Aber für ein Musterfeststellungsverfahren braucht es ohnehin nur 50 reguläre Kläger, die sich zusammenschließen, und die wird es unter der fast halben Million Menschen wohl geben. „Der Sachverhalt bietet eine Vielzahl von Problemen, aber dass sich 50 Verbraucher angemeldet haben, scheint uns nicht das Problem zu sein“, sagt Neef leicht scherzhaft.
Weil es für Verbraucher an diesem Montag die letzte Möglichkeit sei, sich „von dem Verfahren zu verabschieden“, wolle er zu Beginn eine erste knappe rechtliche Bewertung abgeben, kündigt der Vorsitzende Richter an. Es erscheine ihm sinnvoll zu Beginn des Prozesses zu sagen, „was wir so denken und wo die Reise wohl hingehen könnte“.
Ist wirklich ein Schaden entstanden?
Neef geht auf ein Vielzahl von Verfahren ein, die deutlich machen, wie lange der VW-Skandal schon viele deutsche Gerichte beschäftigt. Die Urteile werde man sorgfältig prüfen, sichert er zu, gibt sich zugleich vorsichtig. Es erscheine noch nicht sicher, ob wirklich ein Schaden entstanden sei. Immerhin wurden die meisten Autos auch nach Bekanntwerden des Dieselskandals weitergefahren. Dabei geht es auch um die Frage, ob die verbaute Software zu einem Wertverlust der betroffenen Fahrzeuge geführt hat oder, wie Volkswagen argumentiert, erst die Diskussion um Diesel-Fahrverbote in Innenstädten zwei Jahre später. Ebenfalls erörtert werden müsse, ob allein durch eine drohende Stilllegung eines Fahrzeugs schon eine Vermögensgefährdung eingetreten sei.
Auch in der Frage der Nutzungsentschädigung hat Neef keinen Freibrief für die Kläger. Wenn es zu einer Verurteilung käme, hielte das Gericht es für richtig, dass sich die Geschädigten die Nutzung anrechnen lassen müssten. „Uns will nicht einleuchtend, dass die Wagen jahrelang kostenfrei genutzt werden dürften“, so Neef, weist allerdings auch darauf hin, dass es in die Frage auch anderslautende Urteile gebe.
Die Thematik der Nutzungsentschädigung beurteile man naturgemäß etwas anders, heißt es im Prozess von den Vertretern der Musterklage. VW habe mit dem Kraftfahrtbundesamt praktisch zusammengearbeitet, um die Fahrzeuge auf der Straße zu halten. Es dürfe nicht sein, dass so jemand belohnt werde und am Ende von der höhere Laufleistung der Fahrzeuge profitiere, die den Verbrauchern im Falle eines Urteils negativ gegengerechnet würden. VW-Anwalt Patrick Schroeder meint dagegen, es gehe nicht ums Belohnen oder Bestrafen. Kunden hätten mit einem anderen Fahrzeug einer anderen Marke den gleichen Wertverlust erlitten.
„Eines unserer wesentliche Ziel ist, deutlich zu machen, dass Verbraucher keinen Schaden erlitten haben. Genauso scheint es der Senat zumindest ansatzweise zu sehen“, sagt VW-Anwältin Martina de Lind van Wijndgaarden. Bei den Musterklägern bleibt man dennoch optimistisch. Der Richter haben dem Vorwurf der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung viel Raum gegeben, sagt deren Anwalt Ralf Sauer. Der entsprechende Paragraph sei die wichtigste Grundlage für Ansprüche.
Ein schnelles Ende ist eher unwahrscheinlich
Dass der Prozess mit einem schnellen Vergleich zu Ende gehen könnte, zeichnet sich am ersten Prozesstag in Braunschweig nicht ab. Das sieht auch Richter Michael Neef. Ein Vergleich sei schwierig, weil für VW nicht klar sei, wie hoch das wirtschaftliche Risiko sei. Die VW-Anwälte sehen dafür nach eigenen Worten keine Tatsachengrundlage. Man könne nicht überschauen, ob alle Anmeldungen der rund 470.000 VW-Fahrer wirksam seien, auch nicht einordnen, wie und wann die Fahrzeuge gekauft worden sind.
Also doch kein schnelles Ende des Mammutprozesses? „Es kommt darauf an, wie man schnell interpretiert“, antwortet Andrea Tietze, Sprecherin des Oberlandesgerichts Braunschweig. „Die Richter werden alles dafür tun, zügig zu entscheiden, damit die Verbraucher wissen, woran sie sind.“