VW-Beschäftigte fordern: „Gebt uns endlich wieder einen Volkswagen“
Symbolträchtiger geht es kaum: 3000 Gewerkschafter stehen vor dem Schloss Herrenhausen, schwenken ihre roten Fahnen und pfeifen den Volkswagen-Vorstand aus, der hier später zur ersten Verhandlungsrunde über den VW-Haustarifvertrag eintreffen wird. „Durch die Blume gesagt: Für Managementfehler können wir nix“, steht auf einem der vielen Plakate. Die Kritik an VW-Chef Oliver Blume und seinen Vorstandskollegen ist eines der Leitmotive der Veranstaltung, bei der die IG Metall schon etliche Wochen vor Ende der Friedenspflicht ihre Kampfbereitschaft signalisiert. „Wir stehen erst am Anfang einer Auseinandersetzung mit dem Unternehmen, die sich gewaschen hat. VW wird den Widerstand ernten, der durch das Top-Management gesät worden ist“, kündigt IG-Metall-Bezirksleiter und Verhandlungsführer Thorsten Gröger an. Mit dieser Rhetorik gehört der Gewerkschaftsvertreter noch zu den moderateren Rednern auf der Bühne. „Die werden es noch bereuen, sich mit uns angelegt zu haben“, schimpft ein Vertrauensmann und verweist auf den hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der VW-Mitarbeiter. Auch ein Kollege aus dem Volkswagen-Nutzfahrzeuge-Werk in Hannover macht seiner Wut Luft: „Wir haben keine Überkapazitäten, die wurden nach Chattanooga und Polen verschenkt. Wir haben nur eineinhalb Schichten. Gebt uns die Autos! Gebt uns endlich wieder einen Volkswagen! Wo ist das Ding?“
Ganz ruhig in der Menge steht dagegen Albert Strohdiek, Vertrauenskörperleiter aus dem Werk in Emden. „Wir sind alle davon ausgegangen, dass die E-Mobilität durchschlägt, aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Es sieht im Moment nicht gut aus“, analysiert er. In seinen 35 Jahren bei Volkswagen habe er schon einige schlechte Phasen mitgemacht, vor allem in den Neunzigerjahren. Doch diese Krise sei anders. „Früher gab es auch schon mal Säbelrasseln, aber jetzt merken die Leute: Es geht ans Eingemachte. Die Belegschaft hat Angst“, sagt Strohdiek. Selbst im hochmodernen VW-Werk Emden müssten die 10.500 Beschäftigten und Zeitarbeiter um ihre Jobs bangen. Dass sich im ostfriesischen VW-Standort zuletzt die Politiker geradezu die Klinke in die Hand gegeben haben, lässt Strohdiek vorsichtig optimistisch bleiben: „Wir hoffen, dass die E-Mobilität wieder unterstützt wird und die Anreize für den Kauf von Elektroautos zurückkommen.“
Beim kleinsten niedersächsischen VW-Standort fürchten die Beschäftigten ein „Karmann 2.0“. „Die Stimmung ist sehr gedrückt, es gibt eine Mischung aus Resignation und Enttäuschung. Über die Hälfte der Mitarbeiter hat das, was gerade geschieht, schon einmal erlebt“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Jürgen Placke. Die Insolvenz des Osnabrücker Cabrio-Herstellers hat tiefe Narben hinterlassen, die auch 15 Jahre später noch präsent sind. „Wir kennen noch Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen“, ergänzt der Osnabrücker IG-Metall-Chef Stephan Soldanski. Von den ehemals 8000 Karmann-Beschäftigten hätten nur 2000 den Sprung zu Volkswagen geschafft, und diese hätten beim VW-Einstieg viele Abstriche machen müssen. Für die derzeit 2300 Werksmitarbeiter, 700 Leiharbeiter und 300 Logistiker am Standort gelte auch nicht der VW-Haustarif, sondern der Flächentarifvertrag. „Beschäftigungssicherung hat es bei VW in Osnabrück nie gegeben“, stellt Soldanski klar.
Der VW-Standort Osnabrück ist auf Kleinserien spezialisiert. Momentan laufen hier der letzte Volkswagen mit offenem Verdeck, das T-Roc Cabriolet, sowie der Porsche-Cayman und -Boxster vom Band. „Wir können auch alle anderen Fahrzeuge, die Flexibilität ist unser großer Vorteil“, sagt Placke. Auch in Zukunft werde es im Volkswagen-Konzern unterschiedliche Modellvarianten geben, für die das „Multimarkenwerk“ Osnabrück der beste Fertigungsstandort sei. Außerdem biete sich der Standort für die Produktion von auslaufenden Verbrenner-Serien an – auch ein Hybrid-Modell könnte hier produziert werden. Das Auslastungsproblem in Osnabrück, das sich durch das Auslaufen des T-Roc Cabriolet 2026 verschärfen dürfte, könne leicht behoben werden. „Wir fordern ein emotionaleres Auto, das die Leute in die Verkaufsräume lockt. Das sehen wir gerade nicht, aber genau solche Autos können wir bauen“, sagt Vize-Betriebsratschef Michael Tepe. „Eigentlich bräuchte VW den Mut, ein Elektro-Cabrio auf den Markt zu bringen“, ergänzt Soldanski.
„Man kommt frisch rein und hat schon Angst, gleich wieder rausgeschmissen zu werden.“
Viele Beschäftigte erleben derzeit ihre erste Krise bei Volkswagen – gerade die Auszubildenden sind aufgrund der Kündigung der Übernahmegarantie durch den Vorstand verunsichert. „Dass die Übernahme in Gefahr ist, löst große Zukunftsängste aus. Die Sicherheit, weiterbeschäftigt zu werden, war bisher die große Bank bei VW“, sagt IG-Metall-Jugendsekretär Björn Schneider. „Es ist schon stressig, wenn man das in seinen ersten Tagen bei VW mitbekommt. Man kommt frisch rein und hat schon Angst, gleich wieder rausgeschmissen zu werden“, sagt ein Lehrling. „Wir hatten fest damit gerechnet, übernommen zu werden. Jetzt hat man schon Bedenken, ob das so ein sicherer Arbeitsplatz ist“, ergänzt ein angehender Elektroniker für Automatisierungstechnik.
Nicht nur VW-Beschäftigte demonstrieren in Hannover. Lautstarke Unterstützung kommt auch vom Automobilzulieferer ZF Wabco, der VW-Lastwagen-Tochter MAN oder von Salzgitter Flachstahl. „Wir sind hier, um uns solidarisch zu zeigen“, sagt Baki Erkoc, Betriebsratschef von Alstom in Salzgitter. Er kann die Sorgen der Kollegen bei Volkswagen gut nachvollziehen. „Wir haben auch noch einen großen Arbeitskampf vor uns“, sagt Erkoc. Der französische Eisenbahnhersteller will 1500 Arbeitsplätze abbauen, um seine Verschuldung zu senken. Die Sparpläne dürften vor allem die 9600 Beschäftigten an den 14 deutschen Standorten zu spüren bekommen. Zwar habe der Konzern derzeit ein Auftragsvolumen von zwölf Milliarden Euro. „Das reicht aber nicht, um alle Werke auszulasten“, sagt der Betriebsrat. Im Alstom-Werk Salzgitter, wo 2300 Menschen arbeiten, gebe es noch genug zu tun. Das könne sich aber schnell ändern, wenn Aufträge an andere Werke verteilt werden. Die IG Metall wirft dem Konzern vor, die Arbeit in Niedriglohnländer in Osteuropa und Asien zu verlagern. „In Polen werden sehr viele Züge mit deutschen Steuergeldern gebaut und die Politik guckt da nur zu“, ärgert sich ein Alstom-Mitarbeiter. Betriebsratschef Erkoc kann Letzteres bestätigen. Er macht das Eingreifen von Stephan Weil dafür verantwortlich, dass die Grundauslastung im Werk Salzgitter überhaupt gesichert wurde. „Stephan Weil hat der Konzernspitze klar signalisiert, dass der Standort bleiben muss“, sagt Erkoc.
Der niedersächsische Ministerpräsident hat auch in Nordhessen einen guten Ruf. „Wir fühlen uns von der Politik mitgenommen und abgeholt“, sagt Vertrauenskörperleiter Thomas Freiberg vom VW-Komponentenwerk Baunatal. Weil dort die Elektromotoren für alle Kernmarken des Konzerns gefertigt werden, macht sich Freiberg wenig Sorgen um den Standort selbst. „Die Auslastung sieht noch ganz gut aus, wir brauchen unbedingt noch Leiharbeiter“, sagt er. Doch um die Zukunft der Kollegen mit Zeitarbeitsverträgen macht er sich große Sorgen. „Die Verträge sind nur ein halbes Jahr datiert und werden immer schrittweise verlängert. Die nächsten laufen am 31. Dezember oder am 31. Januar aus“, erklärt Freiberg. Eigentlich hätten rund 700 Kollegen im September ihre Vertragsverlängerung bekommen sollen, doch dazu sei es nicht gekommen. Noch bitterer könnte die VW-Krise weitere 460 nordhessische VW-Kollegen treffen, die bislang ebenfalls als Leiharbeiter beschäftigt wurden. „Die haben jetzt fünf Jahre durch und müssten eigentlich entfristet werden, aber es passiert nix“, sagt Freiberg und fügt hinzu: „Wie es da weitergeht, steht völlig in den Sternen.“
Für Klarheit sorgte auch das erste Tarifgespräch zwischen IG Metall und VW-Vorstand nicht. „Der Verhandlungsauftakt war eine einzige Enttäuschung – denn vom Unternehmen kam nichts außer einem stundenlangen Klagelied über die harte Wettbewerbssituation“, resümierte die VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo nach dem dreistündigen Gespräch mit der Arbeitgeberseite. Diese habe nicht nur eine Null-, sondern sogar eine Minusrunde gefordert und wolle bei Verweigerung an Massenentlassungen und Werksschließungen festhalten. Die IG Metall war mit der Forderung nach 7 Prozent mehr Entgelt sowie 170 Euro mehr für Auszubildende in die Verhandlungen gestartet. Warnstreiks sind ab dem 1. Dezember möglich.
Dieser Artikel erschien am 26.09.2024 in der Ausgabe #168.
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