20. Nov. 2022 · 
Umwelt

Vom Bauernschreck zum Umbaumeister: Das neue Profil von Christian Meyer

Der neue Umwelt- und Energieminister Christian Meyer will in seinem Amt Zeichen setzen. | Foto: Sven Brauers, Canva, Montage: Rundblick

Warum sollen auf Kirchendächern keine Solaranlagen errichtet werden? „Der Kirche geht es doch um die Bewahrung der Schöpfung – nichts anderes wollen wir auch“, sagt der neue niedersächsische Umweltminister Christian Meyer von den Grünen. Daher hält er es durchaus für sinnvoll und geboten, auf den Dächern selbst der älteren, denkmalgeschützten Gotteshäuser Photovoltaik einzubauen. Dass die Kirchen selbst aufgeschlossen reagieren, stimmt ihn zuversichtlich. Wie Meyer überhaupt mit einer gehörigen Portion Optimismus an den Start geht. Die CDU, stellt er fest, bremse ja auch nicht bei der Energiewende, sondern sei aufgeschlossen. Und die erste Forderung aus dem Arbeitgeberlager nach der Landtagswahl habe gelautet, den Turbo bei der Windkraft zu bewahren. Was will man mehr?

Das ist kein Hexenwerk: Eine Kirche mit Photovoltaik-Modulen auf dem Dach. | Foto: GettyImages/elxeneize

Wie sich die Zeiten wandeln. Es ist knapp zehn Jahre her, da hatte Meyer schon einmal eine Anfangsphase als Minister, seinerzeit im Ressort für Landwirtschaft. Er sei der „Bauernschreck“, hieß es damals, und zumindest in einigen Bereichen blieb es in der folgenden Zeit auch bei gegenseitigen Vorbehalten. Heute ist die Situation eine andere, der Schock über die erschreckende Abhängigkeit der Deutschen von russischem Gas sitzt partei- und lagerübergreifend tief, deshalb genießen Rufe nach einem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auch überall viel Zuspruch. Zumindest jetzt noch, da die Planungen noch nicht konkret werden. Während der Vorstellung seiner Ziele erwähnt Meyer, der Links-Grüne, mindestens sieben Mal lobend seinen Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, den Realo-Grünen. Im Verein von Bund und Land soll die Energiewende an Fahrt gewinnen.

Das läuft am Beispiel Windkraft-Planung so: Auf bundesgesetzlicher Ebene ist die Privilegierung schon zu Zeiten der Großen Koalition auf den Weg gebracht worden, der Bund hat sie jüngst noch einmal verstärkt. Das heißt: Außerhalb von bebauten Ortschaften genießen Windräder Vorrang, andere öffentliche Belange müssen dann im Zweifel zurückstehen, Windenergie ist nun von „überragendem öffentlichen Interesse“. In Niedersachsen sind bisher 1,1 Prozent der Landesfläche von den Kreisen und kreisfreien Städten als Vorranggebiete für Windkraft ausgewiesen worden – also jene Gebiete, auf denen neue Windräder gebaut werden können. Meyer möchte diese Fläche bis 2026 verdoppeln, daher sollen die Kommunen ihre „Regionalen Raumordnungsprogramme“ (RROP) verändern. Tatsache ist, dass viele dieser RROP-Vorgaben bisher beklagt worden sind, weil angeblich die Abwägung der Interessen nicht ausreichend gelungen sei. Häufig geht es dabei um Abstände zur Bebauung, häufig auch um Naturschutzinteressen, manchmal gar um viele andere Details, die gar nichts mit der Energieversorgung zu tun haben. Diese Rechtsstreitigkeiten blockieren den Ausbau der Windkraft oft über Jahre.

Meyers Ansatz ist nun, dass die Landkreise (und der Großraumverband Braunschweig) neue Ziele entwickeln, nämlich so, dass landesweit bis 2026 schon 2,2 Prozent der Landesfläche für Windkraft reserviert werden. Dazu sollen die Kommunen aber nicht ihre gesamten RROP überarbeiten und neu auflegen, sondern nur jeweils Teil-Pläne für Energie entwickeln. Dies soll möglich werden, sobald der Bundesrat der Änderung eines Details im Bundes-Raumordnungsgesetz zugestimmt hat. Für die Windkraft ist das von hoher Bedeutung – denn die Teil-RROP sind weniger klageanfällig, könnten damit rascher rechtsverbindlich werden. Meyer hofft, dann ziemlich schnell klare kommunale Konzepte über Windkraft-Vorranggebiete zu haben. Das könne am Ende bedeuten, dass in einem großflächigen Landkreis mehr als 3 Prozent für diesen Zweck bestimmt werden, in einem kleineren vielleicht nur 1,5 Prozent. Überall dort, wo die Kreise ihre RROP nicht entsprechend zuschneiden, dürfen Anträge für neue Windräder auf sämtlichen Flächen in nötigem Abstand zur Bebauung errichtet werden. „Dort kann dann Wildwuchs herrschen“, meint der Umweltminister.

Laut dem Startup Nefino aus Hannover gibt es in Niedersachsen große Potenziale für den Windenergieausbau. | Grafik: Nefino

Dieser Planungs-Turbo ist aber nur ein Baustein der neuen Strategie. Weitere kommen hinzu, auch jeweils begleitet durch entsprechende gesetzliche Änderungen des Bundes oder Richtlinien der EU. Genehmigungen von Windkraftanlagen sollen zügiger möglich sein, wenn dazu Gutachten und Prüfungen herangezogen werden, die schon bei der RROP-Flächenausweisung vorgelegen haben. Gleichzeitig ist der Bund schon dabei, die Artenschutz-Vorschriften zu lockern. Nicht mehr ein einzelner Rotmilan im Einzugsgebiet eines Windrades soll dessen Genehmigung verhindern können, vielmehr soll maßgeblich die Frage sein, ob der „günstige Erhaltungszustand“ dieser Vogelart landesweit gesichert ist. Zu diesem Zweck plant Meyer eine enge Kooperation mit Nabu und BUND. Die Landesbehörden sollen schnell, gebündelt und stets aktualisiert die Bestandsdaten seltener Vogelarten parat haben – für den Fall, dass man beim Streit zwischen Windkraftplanung und Artenschutz vor Ort rasch die notwendigen Daten parat hat und nicht erst ein zeitraubendes Gutachten anfordern muss. Außerdem sagt der Minister: „Wenn in einem bestimmten Gebiet einmal festgestellt wurde, dass dort keine seltene Tierart die Windkraft verhindern kann, dann ist das so – und das ändert sich nicht, wenn später ein seltenes Tier sich dorthin verirrt.“

Rot-Grün will Zahl der Windräder bis 2026 verdoppeln

Das Ziel der rot-grünen Landesregierung ist nun ehrgeizig: Die derzeit 6000 Windräder an Land in Niedersachsen sollen auf bis zu 12.000 verdoppelt werden bis zum Jahr 2026, das hieße dann täglich umgerechnet 3,2 neue Windräder. Meyer will dazu eine „Task-Force“ einrichten, er verweist auf 1600 neue Stellen, die eigentlich dafür nötig wären. „Das ist illusorisch“, räumt er selbst ein, will aber aus allen Bereichen (Gewerbeaufsicht, Umweltämter, Planungsbehörden) Kräfte für diese Aufgaben projektartig zusammenziehen. Die Task-Force soll die „roten Listen“ der gefährdeten Arten aktualisieren und Servicedienste für kommunale Planer anbieten. Unter mangelnder Beschäftigung dürften diese Einheiten wohl nicht leiden, denn auch neben der Windkraft ist der Aufgabenkatalog des neuen Umweltministers lang. Er denkt an einen Innovationsschub für die Ertüchtigung der Solaranlagen-Produktion in Niedersachsen (vielleicht über Landesbürgschaften), an eine Solardach-Offensive für die 7000 landeseigenen Gebäude (über eine Anstalt öffentlichen Rechts, an die der Landesbesitz übertragen werden könnte) und an die vielen Projekte zur Förderung von „grünem Wasserstoff“. Der einstige „Bauernschreck“ will ein Umbaumeister werden.

Erst seit vergangener Woche offiziell in Betrieb: Der Windpark Höfen der Firma WPD Onshore im Landkreis Nienburg/Weser an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Die
vier neuen Windräder sollen rund 33 Millionen Kilowattstunden pro Jahr erzeugen. | Foto: WPD AG
Dieser Artikel erschien am 21.11.2022 in Ausgabe #206.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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