Laut Bundeskriminalamt sind im vergangenen Jahr mehr als 240.000 Menschen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt geworden, mehr als 157.000 wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt. Diese Zahlen zeigen dabei nur die Spitze des Eisberges. Experten gehen von einer großen Dunkelziffer aus, da Scham und Angst die Betroffenen davor zurückschrecken ließen, sich an die Polizei zu wenden. Doch ohne offizielle Strafanzeige gibt es auch keine Möglichkeit der rechtssicheren Beweissicherung. Eine spätere Nachverfolgung der Taten wird damit nahezu unmöglich. Das Netzwerk „Pro Beweis“ schließt diese Lücke, indem Belege für häusliche oder sexuelle Gewalt vertraulich so dokumentiert werden, dass sie auch Jahre später noch vor Gericht verwertet werden können.

Präsentieren den Vertrag zur Kostenübernahme (von links): Prof. Anette S. Debertin, Sozialminister Andreas Philippi, Prof. Michael Manns und VdEK-Chef Hanno Kummer. | Foto: Karin Kaiser/MHH

Ob Hämatome oder Spuren von Sperma – alles, was einer späteren strafrechtlichen Nachverfolgung dient, kann so erfasst werden. Bereits seit 2012 wird diese Arbeit in Niedersachsen vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) aus koordiniert. Das Angebot ist für die Betroffenen kostenlos und geschieht unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht. In Niedersachsen gibt es derzeit 45 Untersuchungsstellen und 39 Partnerkliniken. Das Angebot erstreckt sich auf 36 Städte, 25 Landkreise und sieben kreisfreie Städte.

In Niedersachsen geht man bei der Finanzierung dieses Angebots nun noch einen Schritt weiter: Ab dem kommenden Jahr wird die forensische Spurensicherung durch das Netzwerk „Pro Beweis“ eine kassenfinanzierte Leistung nach dem Sozialgesetzbuch V. Mit einer offiziellen Vertragsunterzeichnung hat Sozialminister Andreas Philippi (SPD) am Mittwoch im Beisein von MHH-Präsident Professor Michael Manns und Hanno Kummer vom Verband der Ersatzkassen (VdEK) die Neuregelung besiegelt. Die Vertragsvereinbarung zwischen den Krankenkassen, der MHH, dem Netzwerk „Pro Beweis“ und dem Land Niedersachsen sieht vor, dass für jede behandelte Person oder geschehene Spurensicherung 421 Euro netto pauschal dem Netzwerk „Pro Beweis“ erstattet werden. Hiervon werde das Netzwerk 200 Euro netto an die jeweilige leistungserbringende Klinik aus dem Netzwerk überweisen. Bisher konnte aus den Mitteln des Gesundheitsministeriums lediglich eine Fallpauschale von 50 Euro netto an die Kliniken ausgezahlt werden.



Philippi lobte bei der Gelegenheit die Arbeit des Vereins in den vergangenen zehn Jahren: „Dass dieses Konzept seit über zehn Jahren sehr überzeugend umgesetzt wird – bisher aus den Landesmitteln in Höhe von 310 000 Euro jährlich -, ist der entscheidende Punkt bei der Einführung als gesetzliche Kassenleistung.“ Kummer betonte, dass die Vertraulichkeit zum Schutz der Opfer bei diesem heiklen Thema an vorderster Stelle stehe: „Personenbezogene Daten werden nicht an die Krankenkassen weitergeleitet. Die Kassen teilen sich die Kosten nach Marktanteil, nicht nach Inanspruchnahme durch die eigenen Versicherten.“



Die AOK Niedersachsen hat die vertrauliche Spurensicherung bereits in der Pilotphase unterstützt. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK, erklärte zur Bedeutung der neuen Finanzierungsmodalitäten: „Opferschutz steht an oberster Stelle. Wenn rechtsmedizinische Leistungen anonym übernommen und abgerechnet werden, hilft das, die Betroffenen nicht zusätzlich zu belasten oder zu gefährden. Dieser Vertrag ist ein Beitrag, Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt zum wichtigen Schritt der Beweissicherung zu ermutigen.“