29. Juni 2017 · 
Justiz

Verstoßen die neuen Baupläne der MHH gegen das Grundgesetz?

Bei der MHH und beim Universitätsklinikum Göttingen sollen bald die Bagger anrücken. Doch bevor die Regierung festlegt, wer das 2-Milliarden-Mammutprojekt der Generalsanierungen beider Uni-Krankenhäuser leiten soll, werden rechtliche Bedenken laut. In Karlsruhe liegt, was bislang nicht bekannt war, eine relativ neue Verfassungsbeschwerde von Ende 2016 vor. Wenn die Richter in Karlsruhe darüber befinden, könnte das erhebliche Auswirkungen auch auf die beiden riesigen Bauvorhaben haben. Im Kern geht es um die Wissenschaftsfreiheit, genauer um die Rechte und Möglichkeiten der Hochschulgremien, auf wesentliche Entscheidungen der Universität Einfluss zu nehmen. Die zentrale Figur in diesem Konflikt ist Prof. Bernd Haubitz, Radiologe bei der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und leidenschaftlicher Streiter für die Rechte des Senats, des hochrangigen Selbstverwaltungsorgans der Hochschulen. https://soundcloud.com/user-385595761/hinweise-auf-millionenschwere-fehlplanungen-bei-der-mhh Haubitz und sein Rechtsbeistand, der hannoversche Rechtsanwalt Ralph Heiermann, wollen gleich von vornherein Missverständnisse vermeiden. Nein, ihnen geht es mit ihren neuen Vorstößen nicht um die aktuellen Entwicklungen und auch nicht um die Baupläne für die MHH. Es gehe nicht um Vorwürfe, die MHH-Spitze sei seit vielen Jahren für Fehlplanungen, Verschwendungen und Missmanagement verantwortlich. Ihnen gehe es vielmehr um das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, und dieses sei momentan in Niedersachsen nicht gewährleistet. Mit anderen Worten: die Hochschulleitung der MHH, das dreiköpfige Präsidium, habe laut Gesetz zu viel Einfluss, während der Senat als hochrangiges Selbstverwaltungsgremium nicht gut genug mitbestimmen könne. Eigentlich ist dieser Streit schon Jahre alt, denn nach der Gesetzesänderung 2007 zog Heiermann in Haubitz‘ Auftrag mit einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht. Da 95 Prozent solcher Beschwerden erfolglos enden, waren sie damals nicht übertrieben optimistisch – umso größer war dann die Freude, als 2014 die Karlsruher Richter im Sinne von Haubitz entschieden und Teile des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) für verfassungswidrig erklärten. Es folgte eine Korrektur, die rot-grüne Mehrheit im Landtag beschloss Ende 2015 ein neues Gesetz, das die Schwächen im NHG heilen sollte. Doch Haubitz und Heiermann waren damit nicht zufrieden. Sie meinten, dass nach wie vor der Missstand fortbestehe: Das Präsidium der MHH habe zu viele Rechte, der Senat als Selbstverwaltungsorgan aller am Wissenschaftsbetrieb beteiligten Gruppen zu wenige. Eine neue Verfassungsbeschwerde wurde eingereicht, doch von ihr wird offenbar auch im Ministerium wenig Notiz genommen. In der Antwort auf eine Anfrage von Jörg Hillmer (CDU) geht Ministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) darauf gar nicht ein. „Eine glatte Falschaussage vor dem Parlament“, meint Haubitz. Lesen Sie auch:   Die neue Verfassungsbeschwerde wird nun ganz konkret: Der Senat, fordern die Autoren, müsse die Entwicklungsplanung der MHH maßgeblich mitbestimmen können. Dies war nach dem alten Hochschulgesetz nicht so, aber auch mit der Korrektur von Ende 2015 sei der Zustand nicht wesentlich verbessert worden. Damals sei geregelt worden, dass der Senat zwar über die Entwicklungsplanung mitbestimmen soll, das Präsidium könne aber nach wie vor allein über die Zielvereinbarungen mit einzelnen Professoren befinden. „Das reicht nicht“, sagt Haubitz, „die Vorgabe der Karlsruher Entscheidung wurde damit nicht umgesetzt“. Er fordert, dass es bei diesen Zielvereinbarungen künftig generell ein Einvernehmen zwischen MHH-Leitung und Senat geben müsse. Der Senat als „breit gefächerter akademischer Sachverstand der Hochschule“ müsse mitbestimmen können. Dies lasse die derzeitige gesetzliche Regelung nicht zu. Das Gesetz atme noch den Geist einer „Ökonomisierung der Hochschule“, bei der es nicht um breite akademische Mitbestimmung geht, sondern um möglichst effektive betriebswirtschaftliche Ergebnisse. Ein Beispiel: Wenn die Radiologie, wie zwischenzeitlich mal geplant war, kostenfrei teure Geräte bereitgestellt bekommt mit der Auflage, diese über 15 Jahre mit möglichst einträglichen Operationen abzubezahlen, dann würden die Mediziner zu Fließband-Arbeit verleitet – und die aufwendige, finanziell womöglich weniger lohnenswerte Forschung werde vernachlässigt. „Soweit darf es nicht kommen“, warnt Haubitz. Den Ursprung für die in den Hochschulgesetzen immer noch prägende „Ökonomisierung“ schreibt der MHH-Professor übrigens dem einstigen Wissenschaftsminister und heutigen SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann zu, der Ende der neunziger Jahre die Stärkung des MHH-Präsidiums auf den Weg gebracht habe. Diese Richtung habe die CDU dann später fortgesetzt und sogar in Gesetze gegossen, die – trotz der Karlsruher Entscheidung von 2014 – immer noch nicht richtig geändert worden seien. Was heißt das nun alles für die Zukunft der MHH? Während der Landesrechnungshof empfohlen hat, die MHH aus der Entscheidung über die Bauplanungen weitgehend auszublenden und eine eigene Landes-Baugesellschaft zu gründen, rät Haubitz mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum gegenteiligen Modell: Die Gremien der MHH, nicht nur ihr Präsidium, sollten umfangreich einbezogen werden. „Bei den Baufragen geht es schließlich auch um wichtige Fragen der Forschung und Krankenversorgung“, betont Haubitz und erzählt eine Anekdote aus den Anfängen der MHH. Als diese Mitte der sechziger Jahre errichtet wurde, habe der Architekt den Hubschrauber-Landeplatz zunächst vergessen. „So etwas kann passieren, wenn man die Betroffenen in die Pläne nicht einbezieht.“ (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #122.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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