Die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid – kurz CCS (Carbon Capture and Storage) – war in Deutschland lange ein Tabuthema. Inzwischen ist die umstrittene Technologie zurück auf der politischen Bühne: Mit ihrer Carbon-Management-Strategie hat die Bundesregierung CCS offiziell als Teil der nationalen Klimapolitik verankert. Unterstützung kommt vor allem von Industrieverbänden und Unternehmen, die darin eine Lösung für schwer vermeidbare Emissionen sehen. Umweltverbände hingegen warnen vor hohen Kosten, unklaren Risiken und einer möglichen Verlängerung fossiler Abhängigkeiten.
Im Rundblick-Interview treffen zwei gegensätzliche Positionen aufeinander: Susanne Gerstner, Landesvorsitzende des BUND Niedersachsen, lehnt CCS aus ökologischen, ökonomischen und klimapolitischen Gründen entschieden ab. Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG), sieht das Gegenteil als zutreffend: Für ihn ist CCS gerade aus diesen Gründen eine pragmatische, sinnvolle und notwendige Ergänzung zu anderen Klimaschutzmaßnahmen, um die Klimaziele verlässlich zu erreichen.

Rundblick: Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Genügen dazu Maßnahmen wie Elektrifizierung und der Ausbau natürlicher CO2-Senken – oder ist CCS unverzichtbar?
Gerstner: Der BUND sieht in CCS ein falsches Versprechen. Es führt aus unserer Sicht in eine fossile Sackgasse und birgt erhebliche Risiken für Klima, Umwelt und Gesundheit. CCS schafft die falschen Anreize: Statt Emissionen zu vermeiden, wird die Nutzung fossiler Energieträger wirtschaftlich attraktiver gemacht – angeblich klimaneutral. Die CO2-Abscheidung ist extrem energieintensiv, es entstehen erhebliche Restemissionen, und die Speicher sind begrenzt. Teuer ist es auch. Studien gehen von einem hohen zweistelligen Milliardenbetrag allein für Deutschland aus. Dieses Geld fehlt dann für echten Klimaschutz.
Möhring: Ich verstehe die Skepsis, aber wir müssen pragmatisch bleiben. CCS ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Werkzeug. Es geht darum, CO2 dort abzuscheiden und zu speichern, wo es keine realistischen Alternativen gibt – etwa in der Zementindustrie oder Teilen der Chemie. CCS ist keine Einladung zum Weitermachen wie bisher, sondern eine Möglichkeit, um übergangsweise und unter klaren Bedingungen Emissionen zu reduzieren, wo sie nicht vermeidbar sind. Die Bundesregierung hat das erkannt und CCS in ihrer Strategie verankert.
Rundblick: CCS gilt als sehr energieintensiv. Frau Gerstner, wie bewerten Sie diesen Aspekt?
Gerstner: Richtig. CCS verbraucht riesige Mengen Energie. Wenn das flächendeckend großflächig umgesetzt wird, belastet das unser Stromnetz massiv. Selbst wenn wir den zusätzlichen Strom mit Erneuerbaren decken könnten, stellt sich doch die Frage: Warum nicht direkt mit diesem Strom Emissionen vermeiden, statt CO2 aufwendig abzuscheiden? CCS ist ineffizient, teuer und führt zu einem „Weiter so“ in der Nutzung fossiler Energieträger. Genau das brauchen wir nicht.
Möhring: Ich will nichts schönreden: CCS ist technisch anspruchsvoll. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es Emissionen gibt, die nicht durch Strom oder Kreislaufwirtschaft ersetzt werden können – etwa in der Zementproduktion, wo sie chemisch entstehen. Genau dafür brauchen wir Lösungen. Zu den Kosten: Bei einer Einlagerung in Norwegen dürften die Gesamtkosten für CCS inklusive Abscheidung und Transport bei rund 200 Euro pro Tonne CO2 liegen. In Deutschland könnten wir das onshore für etwa die Hälfte schaffen. Das ist immer noch nicht billig, aber bezahlbar im Vergleich zu den Alternativen. Ein Beispiel ist Arcelor-Mittal: ein international aufgestellter Stahlkonzern, der trotz staatlicher Förderung Zweifel hat, ob sich die Produktion mit grünem Wasserstoff wirtschaftlich lohnt. Aber es betrifft längst nicht nur Arcelor-Mittal. Vor allem Branchen wie Zement, Chemie, Stahl und Kalk sind zunehmend unter Druck – insbesondere wenn es sich um deutsche Tochterunternehmen internationaler Konzerne handelt. Sie sind häufig die ersten, die den Standort Deutschland infrage stellen, weil sie ihren Shareholdern nicht mehr plausibel machen können, warum Investitionen hier noch gerechtfertigt sind. Wenn selbst solche Unternehmen sagen, sie können ihre Dekarbonisierungsprojekte nicht mehr stemmen – dann müssen wir reagieren. Nicht mit Subventionen, die letztlich ins Leere gehen, sondern mit realistischen Optionen.
Rundblick: Lassen Sie uns über die Speicher sprechen. Frau Gerstner, Sie haben wiederholt auf Risiken hingewiesen – was genau bereitet Ihnen dabei Sorge?
Gerstner: Das Umweltbundesamt sagt ganz klar: Die Langzeitsicherheit von CO2-Endlagern ist nicht vorhersehbar. Es kann zu Leckagen kommen, und diese wären hochproblematisch – für das Klima, das Grundwasser und für Ökosysteme. Es gibt keine Erfahrung für Lagerzeiträume von mehreren Jahrhunderten. Und die Verantwortung? Die liegt irgendwann nicht mehr bei den Unternehmen, sondern bei der Allgemeinheit. Auch sind die Speicherkapazitäten sehr begrenzt! Der Weltklimarat geht davon aus, dass bis 2030 nur 2,4 Prozent der weltweiten Emissionen deponiert werden könnten und auch für Deutschland wurden die früheren Schätzungen zu Speicherkapazitäten in der Nordsee massiv nach unten korrigiert.

Möhring: Wir haben gobal jahrzehntelange Erfahrung mit unterirdischer Speicherung in der Gas- und Ölindustrie. Wir wissen, welche geologischen Formationen geeignet sind. Und wir haben Instrumente zur Überwachung: seismische Sensoren, Druckkontrollen, Umweltverträglichkeitsprüfungen. Ich sage nicht, das ist risikolos. Aber es ist beherrschbar. Wichtig ist auch: Wir brauchen dafür knallharte Genehmigungsverfahren. Ohne diese Genehmigungen und eine starke Aufsicht durch die Behörden wird es keine Akzeptanz geben. Das nennen wir in der Branche „licence to operate“ – die gesellschaftliche und rechtliche Legitimation, überhaupt tätig sein zu können. Diese Option sollten wir nicht von vornherein ausschließen, nur weil sie herausfordernd ist. Und wir dürfen nicht vergessen: In Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden ist CCS längst Realität. In Norwegen wird bereits seit den Neunzigerjahren CO2 eingelagert, die Niederlande beginnen mit ihrem Porthos-Projekt mit der Einlagerung in 2026 – während wir in Deutschland noch darüber diskutieren, ob wir überhaupt anfangen wollen.
Rundblick: Schauen wir auf den politischen Rahmen: Wer darf CCS eigentlich nutzen?
Gerstner: Die Carbon-Management-Strategie der letzten Bundesregierung war bereits viel zu offen formuliert und der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung öffnet CCS nahezu für alle Industriebranchen. Zwar wird immer wieder behauptet, CCS solle nur für nicht vermeidbare Emissionen eingesetzt werden – die aktuellen Pläne der Politik belegen aber das Gegenteil. Auch was genau als unvermeidbar gilt, ist nicht definiert. Das öffnet die Tür für jede Branche – auch für die fossile Energiewirtschaft. Gleichzeitig soll CCS ein überragendes öffentliches Interesse bekommen, das bedeutet beschleunigte Verfahren und Reduzierung von Umweltstandards. Die Politik macht damit eine Palette auf, die aus unserer Sicht in jeder Hinsicht unverantwortlich ist. Es fehlt an klaren Regeln, verbindlicher Prüfung und sektoralen Begrenzungen. Und das führt dazu, dass selbst Unternehmen, die schon auf dem Transformationspfad sind, massiv verunsichert werden. Weil der einmal eingeschlagene Weg wieder grundsätzlich in Frage gestellt wird und es scheinbar einen bequemeren Weg gibt.
Möhring: Ja, wir brauchen klare Kriterien. Aber wir dürfen uns nicht so eng aufstellen, dass wir keine Handlungsoptionen mehr haben. Es geht um Industrieunternehmen, die seit Jahrzehnten hier produzieren. Wenn sie keine Perspektive sehen, dann gehen sie. Und die Emissionen entstehen dann eben woanders – ohne Kontrolle, ohne Standards. Wir sollten Optionen nicht leichtfertig ausschließen.
Rundblick: Wie gehen wir angesichts knapper öffentlicher Mittel mit der Konkurrenz der Technologien um? Sollte CCS wirklich Priorität haben?

Gerstner: Aufgabe der Politik ist es, zu lenken – gerade in einem sich zuspitzenden Themenfeld wie der Klimakrise. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Wenn wir Milliarden in CCS-Infrastruktur stecken, fehlt dieses Geld an anderer Stelle – beim natürlichen Klimaschutz, bei der energetischen Sanierung, beim Ausbau der Erneuerbaren und bei der echten Dekarbonisierung von Industrieunternehmen. Wer heute in CCS investiert, entscheidet sich gegen Alternativen, die längst bereitstehen. CCS ist eine Hochrisikotechnologie. Statt auf Endlagertechnik zu setzen, sollten wir natürliche CO2-Senken ausbauen – Moore, Wälder, Böden, Meere. Sie bringen Mehrfachnutzen: Sie binden CO2, schützen Biodiversität, verbessern die Wasserverfügbarkeit und helfen bei der Klimafolgenanpassung. Das alles kann CCS nicht. Und nicht zuletzt: Die Speicher sind endlich. Was passiert, wenn sie in 15 oder 30 Jahren mit vermeidbaren Emissionen gefüllt sind? Dann stehen wir als Gesellschaft wieder ohne Lösung da. Deshalb müssen wir jetzt tragfähige Strukturen aufbauen – für Klima, Umwelt und kommende Generationen.
Möhring: Ich sage nicht, Vermeidung sei unwichtig – im Gegenteil. Aber wenn es aktuell keine wirtschaftlich tragfähige Alternative gibt, dann muss CCS möglich sein. Ich halte nichts davon, auf PowerPoint-Lösungen zu hoffen, während die Realität weiterläuft. Dem Klima ist es egal, ob CO2 vermieden oder eingelagert wird – Hauptsache, es gelangt nicht in die Atmosphäre.
Rundblick: Zum Schluss: Einig sind Sie sich offenbar in einem Punkt – dem Bedarf an gesellschaftlicher Debatte. Was schlagen Sie konkret vor?
Gerstner: Wir brauchen echte Beteiligung. Kein Durchdrücken von Gesetzen, keine Beteiligungsverfahren, die nur auf dem Papier stehen. Was beim LNG-Gesetz passiert ist, darf sich bei CCS nicht wiederholen. Ich denke an das "Net Zero Valley" in Niedersachsen: Dort soll CCS eine zentrale Rolle spielen, gleichzeitig sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt und Beteiligungen reduziert werden. Das führt nicht zu Akzeptanz, sondern zu Ablehnung. Es braucht transparente und vor allem ergebnisoffene Prozesse.
Möhring: Ich sehe das ähnlich. Beteiligung ist zentral. CCS braucht Vertrauen – und das entsteht nicht durch Schnelligkeit, sondern durch Transparenz. Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Diese Diskussion muss jetzt geführt werden, nicht erst in ein paar Jahren. Wir brauchen eine ehrliche gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber, wie wir unseren industriellen Kern erhalten, Klimaziele erreichen und gleichzeitig Versorgungssicherheit gewährleisten. CCS gehört ganz klar dazu. Wer sich dieser Option von vornherein verweigert, weil sie nicht perfekt ist, lässt viele Unternehmen ohne realistische Perspektive zurück.