Blechlawinen in engen Straßen, Dauer-Staus vor roten Ampeln. Dass es mit dem Auto in Innenstädten in den kommenden Jahrzehnten nicht so weitergehen wird wie in der Vergangenheit, ist sogar Auto-Enthusiasten wie Ulrich Bez klar. Der ehemalige Auto-Manager und frühere Chef des britischen Sportwagenbauers Aston Martin stellte kürzlich fest, die Mobilität auf vier Rädern sei „unkaputtbar“, aber Veränderungen brauche es dennoch. Die Motoren seien in der Breite viel zu leistungsstark, der Fokus auf die Elektromobilität sei zu einseitig und die Autos seien viel zu groß für die Innenstädte geworden, Bez spricht von „Raumverschmutzung“ und Platzverschwendung. Und was ein SUV in der Innenstadt zu suchen hat, leuchtet dem einstigen Unternehmenslenker auch nicht ein.

Da würde ihm Professor Udo Becker von der TU Dresden sofort zustimmen. Dem Wissenschaftler, der sich seit Jahrzehnten mit dem Verkehr der Zukunft befasst und der ein Standardwerk zum Thema Verkehrsökologie verfasst hat, sind die tonnenschweren Fahrzeuge in den Städten ebenfalls ein Dorn im Auge. Aber Becker geht es nicht nur um die SUVs, er setzt generell auf eine Verkehrswende in den Städten. „Es wird sich viel mehr ändern, als Sie auch nur träumen“, sagte Becker in einer Online-Veranstaltung des Europaministeriums zum Wandel der Mobilität in den Innenstädten.
Unter den Zuhörern: Bürgermeister, Stadtplaner und Mitarbeiter der Bauverwaltung aus zahlreichen niedersächsischen Gemeinden. Becker ist überzeugt, dass es beim Verkehr eine Transformation geben wird. Die aktuellen Probleme habe man sich selbst gebaut und spielte damit auf die Theorie an, dass mehr Straßen immer auch zu mehr Verkehr führten. „Mehr wird immer ineffizient“, erklärte Becker. Das erste und zweite Auto sei immer eine gute Sache und ganz wichtig, ab dem fünften oder sechsten stelle sich aber die Frage, wer das noch brauche. „Es ist wie beim Salz: Ganz am Anfang ist es wichtig, aber zu viel ist immer schädlich.“
Mit Rad und Fuß können sie nicht verkehrt liegen, weil es sich dabei um menschenfreundliche, ökologische, gesunde und effiziente Mobilität handelt.
Veränderungen seien offensichtlich notwendig. „Mit Rad und Fuß können sie nicht verkehrt liegen, weil es sich dabei um menschenfreundliche, ökologische, gesunde und effiziente Mobilität handelt“, so Becker. Um die Transformation zu gestalten, müsse die gesamte Aufstellung der Verwaltung komplett umgebaut werden, man dürfe nicht nur „an der kleinen Schraube drehen“. Es gebe das grundsätzlich Bedürfnis der Menschen nach Mobilität, das sei ein Menschenrecht. Aber wie die Menschen sich fortbewegen, könne die Kommune steuern, sagt Becker. Es müsse zwischen Bedürfnissen und Instrumenten unterschieden werden. Ziel müsse sein, mit wenig Aufwand wenig Verkehr zu erreichen. Mit Vollgas wie bisher weiter in die Sackgasse zu fahren, sei keine zukunftsfähige Option mehr.
Ein wichtiges Steuerungsinstrument ist für Becker dabei eine CO2-Steuer, die zu mehr „Kostenwahrheit“ im Verkehr führen würde. „Wenn es die nicht gibt, bleiben alle Maßnahmen wirkungslos“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Wer weiter mit dem Auto fahren möchte, könne das dann machen – allerdings müsse er den Preis dafür bezahlen. „Zuckerbrot und Peitsche“ nennt Becker dieses Konzept. Grundsätzlich müsse aber auch immer die Frage im Vordergrund stehen, ob eine Fahrt überhaupt nötig sei. Mit der Schule und dem Laden im Ort nimmt automatisch auch die Zahl der nötigen Autofahren ins nächste Mittelzentrum ab.
Wie man Mobilität in der Praxis erfolgreich verändert, erklärte in der Veranstaltung Thimo Weitemeier, Stadtbaurat in Nordhorn. Seit 2005 haben man dort den Radverkehrsanteil von 34 auf 40 Prozent gesteigert, sogar Münster liege nur bei 39 Prozent. „Aber wir wissen auch, dass die niederländischen Nachbarn auf 50 Prozent kommen, und da wollen wir auch hin“, erklärte Weitemeier. Es gebe einen Bürgerbus, der über Grenzen fahre, das Fahrradnetz wird nach wie vor deutlich ausgebaut, man habe 500 weitere Fahrradstellplätze installiert. Auch in der Frage, ob man Auto-Parkplätze zum Teil für Fahrrad-Stellplätze opfert, habe man Ladeninhaber oft an seiner Seite. Schließlich kämen auf einen Auto-Stellplatz zehn Plätze für Fahrräder, die Zahl der Kunden könne sich dadurch also sogar vergrößern. „Wir wollen nicht das Auto verdammen, sondern eine Verlagerung von Verkehr erreichen. Das schafft Platz für beide Seiten“, sagte Weitemeier.

Auch der Ausbau von Bus und Bahn gehört zur Verkehrswende dazu. Weitemeier hat festgestellt, dass die errechneten Fahrgastzahlen vor der Reaktivierung von Bahnstrecken in der Praxis am Ende übertroffen werden. Es gehe aber nicht nur darum, bereits stillgelegte Strecken zu reaktivieren. Auch die Anschlüsse müssen stimmen. Man habe zum Beispiel die Busliniennetze mit einem 30-Minuten-Takt an die neuen Bahnstrecken angepasst und Radschnellwege, die zum Bahnhof hinführen.
Manchmal legt einem allerdings auch die Zeit selbst Steine in den Weg zu einer Verkehrswende. Matthias Wunderling-Weilbier, Staatssekretär im Europaministerium, verwies auf ein drastisch verändertes Verkehrsverhalten im ersten Corona-Lockdown. Bus und Bahn hätten plötzlich kaum noch eine Rolle gespielt, viele Menschen seien aufs Fahrrad umgestiegen – aber eben auch wieder auf das Auto. „Das könnte einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung auch im Wege stehen“, warnte Wunderling-Weilbier. Die nächste Veranstaltung des Ministeriums wird sich um die Co-Working-Spaces drehen, und auch sie haben automatisch wieder mit dem Thema Zukunft der Mobilität zu tun. Denn wer im Ort über die Straße zu einer der neuen Bürogemeinschaften laufen kann, steigt gar nicht mehr ins Auto, um damit ins Büro in die Stadt zu fahren.
Von Martin Brüning