Verfassungsschutz-Chef: „Wir dürfen nicht hinterherhinken“
Wie hat sich der Salafismus verändert? Welche Gefahr geht von Rechtsextremisten aus – und was tut sich im linksradikalen Lager? Der Präsident des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Bernhard Witthaut, äußert sich zu den veränderten Arbeitsbedingungen seiner Behörde beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick.
Rundblick: Herr Witthaut, der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Politiker aufgeschreckt. Der Täter wird der rechtsextremen Szene zugeordnet – und er war dort offenbar auch vernetzt. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesem Fall?
Witthaut: Das Erschreckende an diesem Fall ist, dass er eine erhebliche Veränderung des Rechtsextremismus deutlich werden lässt. Früher, da hatten wir die NPD als klassische Organisation, in der sich die Anhänger dieser Gesinnung versammelt hatten. Die NPD gibt es immer noch, aber sie spielt keine zentrale Rolle mehr. Die heutigen Akteure agieren verstärkt in losen Zusammenschlüssen, treffen sich bei bestimmten Veranstaltungen und halten im Netz Kontakt. Es ist für uns schwerer als früher, die Entwicklungen zu beobachten und herauszufinden, welche Strukturen in solchen Organisationen bestehen, wer beispielsweise die Wortführer sind.
Einsatz von V-Personen bleibt sensibles Thema
Rundblick: Spielen V-Leute noch die entscheidende Rolle?
Witthaut: Nach wie vor arbeiten wir auch mit Vertrauenspersonen. Der Einsatz von V-Personen ist ein sensibles Thema. Deshalb ist der Einsatz von Vertrauenspersonen an hohe rechtliche Hürden und faktische Bedingungen geknüpft. Es findet eine ständige parlamentarische Kontrolle statt. Da inzwischen ganz viel von der Radikalisierung über das Internet abläuft, müssen wir auch diesen Bereich viel stärker ins Blickfeld nehmen. Zum 1. November erhalten wir 50 zusätzliche neue Stellen, 14 Mitarbeiter betreuen das Internet. Wir wollen versuchen, dort Entwicklungen zu erkennen – und womöglich auch gegensteuern, wenn über die sich gegenseitig verstärkenden Echokammern eine Entwicklung zur Gewaltbereitschaft stattfindet.
Wenn wir die neuesten technischen Möglichkeiten zur Beobachtung der Szene nicht nutzen können, laufen wir immer hinterher und uns entgeht immer mehr.
Rundblick: Das gilt sicher nicht nur für den Rechtsextremismus…
Witthaut: Nein, diese Entwicklung gilt phänomenübergreifend. Wir haben mit der internen Umorganisation darauf reagiert. In jedem Extremismusbereich wird die Internetbeobachtung verstärkt und nach denselben Standards umgesetzt.
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Rundblick: Welche Veränderungen erleben wir beim Salafismus und beim Linksextremismus?
Witthaut: Vor ein paar Jahren war die Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim ein zentraler Anlaufpunkt, dort wurden Salafisten – teilweise sogar aus dem gesamten Bundesgebiet – jihadistisch radikalisiert. Inzwischen haben sich die vielen Aktivitäten der Wortführer in Hinterzimmer und in Wohnungen verlagert. Die Jihadisten bewegen sich nicht mehr so offen wie bisher, aber sie sind nach wie vor aktiv. Es gibt auch immer noch Aufrufe, den Krieg „in den Westen zu tragen“. Und beim Linksextremismus sind es die auf Bündnisse mit dem bürgerlichen Lager schielenden Postautonomen. In der Hauptsache geht es dabei um die bedeutendste postautonome Gruppierung, die „Interventionistischen Linken“ (IL). Im Gegensatz zu den „klassischen“ Autonomen, die etwa für Anschläge auf Bahnlinien die Verantwortung übernehmen, wenden sie eher keine Gewalt an, tolerieren sie aber.
Bessere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz
Rundblick: Nochmal zum Salafismus – haben Polizei und Verfassungsschutz aus den Versäumnissen beim Fall Safia S. gelernt?
Witthaut: Die Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz ist wesentlich verbessert worden. Wir tauschen uns wesentlich besser untereinander aus – auch auf Bundesebene und mit anderen Behörden und Organisationen. Das führt dazu, dass beispielsweise immer dann, wenn es Hinweise etwa auf die Radikalisierung von Jugendlichen gibt, direkte Maßnahmen von verschiedensten staatlichen und nichtstaatlichen Verantwortungsträgern eingeleitet werden, natürlich nur nach den rechtlichen Möglichkeiten. Die so wichtige Präventionsarbeit setzt also viel früher an.
Rundblick: Die technischen Möglichkeiten der Kriminellen ändern sich – und im neuen Polizeigesetz wurden daraus die Schlüsse gezogen, es gibt Rechte zur Online-Durchsuchung und zum Einsatz von Trojanern für die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Brauchen wir solche Mittel nicht auch für den Verfassungsschutz, da die Extremisten ebenfalls ihre technischen Spielräume erweitern?
Witthaut: Wenn wir die neuesten technischen Möglichkeiten zur Beobachtung der Szene nicht nutzen können, laufen wir immer hinterher und uns entgeht immer mehr, je größer die technischen Spielräume der Extremisten sind. Wie dürfen wir zum Beispiel Daten aus Fahrzeugen rechtssicher verwenden? Und wenn der 5-G-Standard erst verbindlich ist, darf der Verfassungsschutz nicht hilflos danebenstehen. Ich hoffe, dass im Bundesrecht die Möglichkeiten für die Quellen-TKÜ geschaffen werden. Wenn dies im Artikel-10-Gesetz geregelt wird, wäre diese Regelung auch auf Landesebene direkt für uns anwendbar – dies würde reichen, damit auch wir bessere Arbeitsbedingungen haben.
Es ist für uns schwerer als früher, die Entwicklungen zu beobachten und herauszufinden, welche Strukturen in solchen Organisationen bestehen.
Rundblick: Das Landes-Verfassungsschutzgesetz muss nicht angepasst werden?
Witthaut: Was die Quellen-TKÜ angeht, wäre das dann nicht erforderlich. Für die Online-Durchsuchung müsste in Niedersachsen eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen werden. Insoweit beobachten wir mit Spannung, wie es sich mit der Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes verhält. Aber wir müssen unser Gesetz unabhängig davon überarbeiten, auch mit Blick etwa auf die Vereinfachung der Voraussetzung der Speicherung von Jugendlichen, ohne dabei die besonderen Schutzbedürfnisse von Personen dieser Altersgruppe zu vernachlässigen.