In nahezu allen Branchen werden Fachkräfte mittlerweile dringend gesucht, und so mancher Betrieb wirbt mit Anreizen wie Tablet-PCs und sogar Autos um Auszubildende. Dennoch ist fast ein Drittel der niedersächsischen Auszubildenden mit ihrer Lehrzeit nicht zufrieden. Das geht aus dem jüngsten Ausbildungsreport hervor, den der Deutsche Gewerkschaftsbund Niedersachsen-Bremen gestern veröffentlicht hat. Besonders schlecht weg kommt dabei der Handel. Nur 63 Prozent der befragten Azubis bewerten ihre Ausbildung im Einzel- und Großhandel als gut. Ein Viertel bekommt nicht das beigebracht, was im Ausbildungsplan steht, dazu kommen viele ausbildungsfremde Aufgaben wie die Aushilfe an der Kasse, wenn das Personal knapp ist. „Auszubildende als billige Arbeitskräfte auszunutzen ist etwas, das überhaupt nicht in Ordnung ist“, sagt David Matrai, Landesfachsekretär für Groß- und Außenhandel bei Verdi Niedersachsen. Dazu kämen die vielen, oft unbezahlten Überstunden und die schlechten Zukunftsaussichten. Allerdings ist es kein Novum, dass gerade im Handel Azubis so schlecht behandelt würden. „Der Handel gehört zu den Branchen, die bis heute die Missstände ignoriert, die wir Jahr für Jahr anprangern“, sagt Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des DGB Niedersachsen-Bremen. Allerdings ist er sicher, dass sich das bald ändern wird.

Denn Matrai zufolge werde sich der Preiskampf zwischen den Händlern nicht mehr lange auf Kosten des Personals führen lassen. „Egal, ob Mode-, Discounter- oder Warenhausbranche, das Bild ist überall das Gleiche. Die Händler führen einen regelrechten Vernichtungswettbewerb untereinander um Kunden und Tiefpreise“, sagt Matrai. Die Kosten für Wettbewerbsvorteile sparen sie wiederum beim Personal und in der Ausbildung ein und arbeiten stattdessen mit Aushilfen wie Studenten und Leiharbeitern. „Das wird sich aber nicht mehr lange halten können, denn für die Dauer ist diese Lösung nicht gemacht“, sagt Matrai. Schon jetzt fehlten vielen Händlern die Arbeitskräfte. Im Großhandel werde deshalb seit kurzem wieder vermehrt ausgebildet. „Aber die Qualität der Ausbildung ist noch sehr verbesserungsbedürftig.“


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Rund 17.000 Ausbildungsplätze gibt es im Groß- und Einzelhandel. In der Befragung für den Ausbildungsreport gaben von 236 Handels-Azubis fast ein Viertel an, ihr Ausbildungsplan werde nur manchmal bis nie eingehalten. In den anderen Branchen dagegen antworteten nur knapp 12 Prozent der Befragten so. Auch bei den ausbildungsfremden Tätigkeiten liegt der Handel vorn. Müssen in dieser Branche 5,1 Prozent immer andere Aufgaben erledigen als in ihrem Ausbildungsplan festgeschrieben, so sind es in anderen Branchen nur 3,2 Prozent. Zudem dürfen 40,3 Prozent der Handels-Azubis ihre Hefte für die Ausbildungsnachweise nie während der Arbeitszeit führen, sondern müssen das immer in ihrer Freizeit erledigen. Unter den Azubis aus anderen Berufen sind das nur 28,2 Prozent. Für mehr als jeden sechsten Azubi ist die Ausbildung im Handel eine Notlösung gewesen. Daher ist es nicht überraschend, dass 23,2 Prozent nicht im Handel bleiben wollen. Allerdings sind die Übernahmeaussichten auch gering. 6,2 Prozent wissen, dass es definitiv nicht weiter im Handel für sie geht, fast zwei Drittel haben noch keine Perspektive.

„Wir erheben deshalb drei Kernforderungen“, sagt Matrai. Zunächst müsse der Handel massiv in die Qualität der Ausbildung investieren. Das beinhalte ausreichende Anleitung in der Praxis und sehe von ausbildungsfremden Aufgaben ab. Auch die Ausbildungsvergütung müsse sich erhöhen, denn mit 703 Euro im ersten Lehrjahr verdienten Handels-Azubis weit weniger als Auszubildende in anderen Berufen. Und zuletzt müsse der Handel seinem Fachkräftenachwuchs eine Perspektive geben. „Das bedeutet unbefristete Stellen und keine erzwungene Teilzeit aus Kostengründen. Man muss davon leben können, wenn man als Fachkraft im Handel angestellt ist“, sagt Matrai. Zudem müsse der Handel aufhören, den Druck der Branche auf seinen Nachwuchs weiterzugeben. „Das ist nicht hinnehmbar“, sagt Payandeh. Die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) erklärten, Auszubildende hätten derzeit gute Karten – 3754 unbesetzten Plätzen stünden lediglich 2635 unversorgte Bewerber gegenüber. Der DGB bemühe sich offenbar, „das Haar in der Suppe zu finden“.