Darum geht es: Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer hat ein positives Fazit nach dem ersten Jahr der Ringelschwanzprämie gezogen. Ein Kommentar von Marin Brüning:

„Unverantwortlich“ – so hatte der Zentralverband der Deutschen Schweineproduktion die Pläne des grünen Agrarministers vor dem Beginn der Ringelschwanzprämie bewertet. Ein Verzicht auf die gängige Praxis berge ein hohes Risiko sowohl hinsichtlich des Tierschutzes als auch des wirtschaftlichen Schadens. Rund anderthalb Jahre später lässt sich sagen: Das befürchtete „Blutbad“ im Schweinestall ist ausgeblieben. In fast 95 Prozent der beteiligten Betriebe waren die Kriterien der sogenannten Ringelschwanzprämie im ersten Jahr erfüllt. Diese sind allerdings schon ein Kompromiss: Denn die Quote intakter Ringelschwänze muss lediglich bei 70 Prozent liegen, um die Prämie zu erhalten. Für manchen Tierwohl-Verfechter ist Christian Meyer damit schon nur noch ein „Tierschützer light“.

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Aber was sagen uns Zahlen und Erkenntnisse nach einem Jahr eigentlich genau? Wenn man ehrlich ist: nicht allzu viel. In Niedersachsen gibt es rund achteinhalb Millionen Schweine. Nicht einmal ein Prozent des Bestandes waren Teil des Tierschutz-Vorzeigeprojektes. Im zweiten Jahr werden es – gefördert mit mehreren Millionen Euro – bis zu 2,5 Prozent der Schweine in Niedersachsen sein. Die Erkenntnis, dass die Beaufsichtigung in den Ställen ein entscheidender Schlüssel ist, wusste man bereits vor Projektbeginn. Genau hier liegt aber die Herausforderung: Ist die Zeit, die Landwirte in 2,5 Prozent des Bestandes investieren, für 100 Prozent jemals darstellbar?

Heinrich Dierkes von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands drückte es gestern so aus: „Wir haben jetzt Betriebe, die die 100 Meter in elf Sekunden laufen. Wenn das aber alle müssen, dann wissen wir, dass das noch ein ganz weiter Weg wird.“ Das ist äußerst positiv gedacht. Richtiger wäre die Frage: Wie viele schaffen denn überhaupt die 100 Meter in elf Sekunden? Wird die gesamte Agrarbranche zu einem Feld von Leistungssportlern?

Landwirte brauchen Zeit, um die Tiere angemessen zu beaufsichtigen. Und wenn wir über Zeit sprechen, dann geht es automatisch um Geld. Und dieses Geld wird nicht allein vom Staat kommen können, denn bei einer Quote von 100 Prozent läge die Fördersumme in einem astronomischen dreistelligen Millionenbereich. Am Ende geht es deshalb immer wieder um den Verbraucher. Er wird sich am Preis für mehr Tierschutz angemessen beteiligen müssen. An der Supermarktkasse wird dann entschieden, ob ihm das Ringelschwanz-Schwein aus Niedersachsen zehn oder 20 Prozent mehr Wert ist als das kupierte Schwein aus Spanien oder den osteuropäischen Ländern. Beim Fleisch ist es wie bei anderen Produkten auch: S-Klasse fahren und nur A-Klasse bezahlen, das funktioniert nicht.

Im Moment, so hat man den Eindruck, befasst sich eine sehr kleine, sehr interessierte Gruppe bestehend aus Politikern, Landwirten und Wissenschaftlern mit dem Thema Tierwohl im Schweinestall. Das ist aller Ehren wert und vielleicht ein guter Anfang. Der Weg ist allerdings noch weit, und um ihn nachhaltig zu beschreiten, müsste der Verbraucher irgendwann einmal aus seiner kommoden Kuschelecke herauskommen und seiner Verantwortung nachkommen. Wenn die große Mehrzahl der Verbraucher mehr Tierwohl möchte, ist sie sehr wohl in der Lage, selbst darüber abzustimmen – ab dem nächsten Griff in das Supermarkt-Kühlregal.

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