Bayerns neuer Ministerpräsident Markus Söder will in den Eingangsbereichen der Behörden seines Freistaates Kreuze aufhängen. Er hat damit eine heftige Debatte ausgelöst – und sogar hohe Kirchenvertreter gegen sich aufgebracht. Wie kann man Söders Verhalten bewerten? In einem Pro und Contra beleuchten Klaus Wallbaum und Isabel Christian dieses Thema.
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Zeichen kultureller Desorientierung
Der Versuch, mit der verstärkten Präsentation von typischen Symbolen der christlich-abendländischen Kultur auf die wachsende Verunsicherung vieler Menschen zu reagieren, ist zunächst nicht töricht – sondern überaus verständlich. Das Erstarken der AfD am rechten Rand des Parteienspektrums ist ein Zeichen für eine kulturelle Desorientierung. Viele Menschen sind nicht akut bedroht in ihrem Wohlstand, ihrer sozialen Absicherung und in ihren gewohnten Kontakten im engeren Lebensumfeld, sie fühlen sich nur so. Sie lesen in ausgewählten, die Lage verschärft darstellenden Medien über eine angebliche Zunahme der Kriminalität von Zuwanderern – und finden deshalb in den Flüchtlingen rasch einen Schuldigen für die Veränderung der Gesellschaft, die in Wahrheit ganz viele Ursachen hat: die Digitalisierung mit der sich andeutenden Revolution in der Arbeitswelt, die Globalisierung mit offenen Grenzen und offenen Märkten, die Technisierung immer weiterer Arbeitsbereiche, für die bisher der Mensch gebraucht wurde, künftig aber nicht mehr. Viele sind dankbar, wenn sie für all das einen Sündenbock haben – die Fremden.Möchten Sie den Inhalt von www.facebook.com laden?
Wie soll nun die Politik reagieren? Indem sie all jenen, die sich bedroht fühlen, einzureden versucht, dass diese Ängste Unsinn sind? Das geschieht ja bereits, zeigt aber meistens nicht die gewünschte Wirkung. Indem diejenigen, die die Parolen der Rechtsradikalen nachplappern, als dumm und einfältig dargestellt werden? Das geschieht auch, ist aber höchst arrogant, weil damit tatsächliche Befürchtungen großer Teile der Bevölkerung einfach negiert und abgewertet werden. Ein solches Verhalten stärkt die Rechtsextremen eher noch. Die Strategie von Markus Söder und der bayerischen Staatsregierung ist eine andere. Er will Bekenntnisse zur christlich-abendländischen Kultur präsentieren und damit symbolisch zeigen, dass er zur Verteidigung der überlieferten Werte entschlossen ist. Man mag darüber lächeln, weil ein solches Versprechen womöglich schwer einzulösen sein wird. Was, bitteschön, kann ein Ministerpräsident dafür tun, dass die christlichen Werte im Alltag der Menschen ein größeres Gewicht haben? Über Symbolpolitik kommt er kaum hinaus – aber Symbole sind eben auch ein wichtiger Bestandteil der Politik. Man kann es auch anders, sehr viel zurückhaltender sehen: Söder zeigt wenigstens, dass ihm die Sorge vieler Menschen vor Verlust ihrer kulturellen Identität, ihrer Heimat, nicht egal ist. Dass er etwas dagegen tun will – und sei es nur, dass er in öffentlichen Gebäuden Kreuze aufhängen lässt.
Kreuz ist immer beides gewesen
Das ist ein bisschen so wie in den alten Dracula-Filmen: Wenn das Kreuz gezeigt wird, hat das Böse keine Chance, sich breit zu machen – es muss zurückweichen. Typisch deutsch ist nun, dass prompt eine Debatte über die Symbolhaftigkeit des Kreuzes losgetreten wird. Wenn Kardinal Reinhard Marx dem Ministerpräsidenten „Spaltung, Unruhe und Gegeneinander“ vorwirft, weil er das Kreuz für eine politische Debatte missbrauche und es damit von seinem religiösen Gehalt entferne, dann mag er diese Meinung haben. Tatsächlich ist das Kreuz immer beides gewesen, ein religiöses und ein kulturelles Symbol. Die Männer der Kirche tun gut daran, das Kreuz nicht nur für ihren Bereich zu reservieren. Der christliche Glaube und die Kultur in Deutschland sind untrennbar miteinander verwoben, und natürlich empfiehlt es sich für seriöse Politiker, nicht mit dem Kreuz in den Wahlkampf und die politische Auseinandersetzung zu ziehen. Söder diese Absicht zu unterstellen, ist aber auch fehl am Platze. Gut möglich ist, dass es ihm gar nicht so sehr darum geht, mit seiner Ankündigung Widerspruch und Streit zu provozieren, dass er nur ein Bekenntnis abgeben wollte. Und wer sich als Nicht-Christ diffamiert oder ausgegrenzt fühlt, wenn im Eingangsbereich einer Behörde ein Kreuz hängt, der zieht die Grenzlinie sehr eng. In Klassenräumen oder Gerichten, wo sich die Menschen dauerhaft aufhalten, haben Kreuze dann nichts zu suchen, wenn sich Nicht-Christen beeinträchtigt sehen. Aber in Eingangsbereichen? Wohl weniger.Die da in Bayern ticken ganz anders
Manchmal hat man den Eindruck, die öffentlich zur Schau getragene Empörung über den neuen Vorschlag des neuen bayerischen Ministerpräsidenten folgt einem altbekannten Muster der politischen Debatte: Mindestens einmal in zwei Wochen muss man sich über etwas, was von CSU-Politikern geäußert wird, heftig erregen – schon zur Selbstvergewisserung, dass „die da in Bayern“ ganz anders ticken als wir, die angeblich so normal sind. Ganz im Ernst: Etwas mehr Gelassenheit in der Diskussion über Söder-Vorschläge sind angebracht. Oder Seehofer-Vorschläge, oder auch Dobrindt-Vorschläge… Mail an den Autor dieses KommentarsCONTRA: Der Staat hat nicht die Aufgabe, an christliche Traditionen zu erinnern, meint Isabel Christian. Sie ist gegen Kreuze in öffentlichen Behörden.