Bayerns neuer Ministerpräsident Markus Söder will in den Eingangsbereichen der Behörden seines Freistaates Kreuze aufhängen. Er hat damit eine heftige Debatte ausgelöst – und sogar hohe Kirchenvertreter gegen sich aufgebracht. Wie kann man Söders Verhalten bewerten? In einem Pro und Contra beleuchten Klaus Wallbaum und Isabel Christian dieses Thema.

Klaus und Isabel. Foto: Christian

PRO: Der Reflex auf alles, was aus der CSU kommt, klingt oft ähnlich – rückwärtsgewandt, populistisch und nur deshalb geäußert, weil man der AfD Wind aus den Segeln nehmen wolle. So sind sie, die von der CSU, merkwürdige Bayern eben. Dabei machen es sich viele Kommentatoren mit ihrer Abwertung von CSU-Vorschlägen zu einfach, meint Klaus Wallbaum.

Zeichen kultureller Desorientierung

Der Versuch, mit der verstärkten Präsentation von typischen Symbolen der christlich-abendländischen Kultur auf die wachsende Verunsicherung vieler Menschen zu reagieren, ist zunächst nicht töricht – sondern überaus verständlich. Das Erstarken der AfD am rechten Rand des Parteienspektrums ist ein Zeichen für eine kulturelle Desorientierung. Viele Menschen sind nicht akut bedroht in ihrem Wohlstand, ihrer sozialen Absicherung und in ihren gewohnten Kontakten im engeren Lebensumfeld, sie fühlen sich nur so. Sie lesen in ausgewählten, die Lage verschärft darstellenden Medien über eine angebliche Zunahme der Kriminalität von Zuwanderern – und finden deshalb in den Flüchtlingen rasch einen Schuldigen für die Veränderung der Gesellschaft, die in Wahrheit ganz viele Ursachen hat: die Digitalisierung mit der sich andeutenden Revolution in der Arbeitswelt, die Globalisierung mit offenen Grenzen und offenen Märkten, die Technisierung immer weiterer Arbeitsbereiche, für die bisher der Mensch gebraucht wurde, künftig aber nicht mehr. Viele sind dankbar, wenn sie für all das einen Sündenbock haben – die Fremden.

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Wie soll nun die Politik reagieren? Indem sie all jenen, die sich bedroht fühlen, einzureden versucht, dass diese Ängste Unsinn sind? Das geschieht ja bereits, zeigt aber meistens nicht die gewünschte Wirkung. Indem diejenigen, die die Parolen der Rechtsradikalen nachplappern, als dumm und einfältig dargestellt werden? Das geschieht auch, ist aber höchst arrogant, weil damit tatsächliche Befürchtungen großer Teile der Bevölkerung einfach negiert und abgewertet werden. Ein solches Verhalten stärkt die Rechtsextremen eher noch. Die Strategie von Markus Söder und der bayerischen Staatsregierung ist eine andere. Er will Bekenntnisse zur christlich-abendländischen Kultur präsentieren und damit symbolisch zeigen, dass er zur Verteidigung der überlieferten Werte entschlossen ist. Man mag darüber lächeln, weil ein solches Versprechen womöglich schwer einzulösen sein wird. Was, bitteschön, kann ein Ministerpräsident dafür tun, dass die christlichen Werte im Alltag der Menschen ein größeres Gewicht haben? Über Symbolpolitik kommt er kaum hinaus – aber Symbole sind eben auch ein wichtiger Bestandteil der Politik. Man kann es auch anders, sehr viel zurückhaltender sehen: Söder zeigt wenigstens, dass ihm die Sorge vieler Menschen vor Verlust ihrer kulturellen Identität, ihrer Heimat, nicht egal ist. Dass er etwas dagegen tun will – und sei es nur, dass er in öffentlichen Gebäuden Kreuze aufhängen lässt.

Kreuz ist immer beides gewesen

Das ist ein bisschen so wie in den alten Dracula-Filmen: Wenn das Kreuz gezeigt wird, hat das Böse keine Chance, sich breit zu machen – es muss zurückweichen. Typisch deutsch ist nun, dass prompt eine Debatte über die Symbolhaftigkeit des Kreuzes losgetreten wird. Wenn Kardinal Reinhard Marx dem Ministerpräsidenten „Spaltung, Unruhe und Gegeneinander“ vorwirft, weil er das Kreuz für eine politische Debatte missbrauche und es damit von seinem religiösen Gehalt entferne, dann mag er diese Meinung haben. Tatsächlich ist das Kreuz immer beides gewesen, ein religiöses und ein kulturelles Symbol. Die Männer der Kirche tun gut daran, das Kreuz nicht nur für ihren Bereich zu reservieren. Der christliche Glaube und die Kultur in Deutschland sind untrennbar miteinander verwoben, und natürlich empfiehlt es sich für seriöse Politiker, nicht mit dem Kreuz in den Wahlkampf und die politische Auseinandersetzung zu ziehen. Söder diese Absicht zu unterstellen, ist aber auch fehl am Platze. Gut möglich ist, dass es ihm gar nicht so sehr darum geht, mit seiner Ankündigung Widerspruch und Streit zu provozieren, dass er nur ein Bekenntnis abgeben wollte. Und wer sich als Nicht-Christ diffamiert oder ausgegrenzt fühlt, wenn im Eingangsbereich einer Behörde ein Kreuz hängt, der zieht die Grenzlinie sehr eng. In Klassenräumen oder Gerichten, wo sich die Menschen dauerhaft aufhalten, haben Kreuze dann nichts zu suchen, wenn sich Nicht-Christen beeinträchtigt sehen. Aber in Eingangsbereichen? Wohl weniger.

Die da in Bayern ticken ganz anders

Manchmal hat man den Eindruck, die öffentlich zur Schau getragene Empörung über den neuen Vorschlag des neuen bayerischen Ministerpräsidenten folgt einem altbekannten Muster der politischen Debatte: Mindestens einmal in zwei Wochen muss man sich über etwas, was von CSU-Politikern geäußert wird, heftig erregen – schon zur Selbstvergewisserung, dass „die da in Bayern“ ganz anders ticken als wir, die angeblich so normal sind. Ganz im Ernst: Etwas mehr Gelassenheit in der Diskussion über Söder-Vorschläge sind angebracht. Oder Seehofer-Vorschläge, oder auch Dobrindt-Vorschläge…

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CONTRA: Der Staat hat nicht die Aufgabe, an christliche Traditionen zu erinnern, meint Isabel Christian. Sie ist gegen Kreuze in öffentlichen Behörden.

Es gibt keine Staatskirche

Vermutlich wären es ausgerechnet die Muslime, die es gar nicht so schlimm fänden, wenn in jeder Behörde ein Kreuz an der Wand hinge. Denn in den meisten arabischen Ländern kommt erst die Religion und dann der Staat. Ein Ehevertrag ist dort wertlos, wenn zwei Menschen nicht nach islamischem Ritus geheiratet haben. Und auch die Scheidung ist zunächst im Koran geregelt und erst danach greift das Gesetzbuch. In Deutschland dagegen dürfte es wohl nur wenigen einfallen, die Lebensregeln der Bibel vor die allgemeinen Gesetze zu stellen. Denn hier ist die Säkularisierung, also die Trennung von Staat und Kirche, zu einem Teil des Grundverständnisses über das gesellschaftliche Zusammenleben geworden. Es gibt keine Staatskirche und der Staat hat kein Recht, sich in die Weltanschauungen seiner Bürger einzumischen. Was ich glaube, ist meine Sache. Und niemand darf mich in diesem Glauben einschränken. So muss man den Artikel 4 des Grundgesetzes verstehen. Warum sollte ein Land, das dieses Recht ganz weit vorn in der Verfassung platziert hat, also Kreuze in seine staatlichen Einrichtungen hängen?

Staat geht von monotheistischem Weltbild aus

Das stärkste Argument, mit dem die Kreuz-Befürworter aufwarten, ist die Kultur. Wir sind ein christlich geprägtes Land mit christlichen Wurzeln und daran sollten wir erinnern, anstatt dies zu verdrängen. Es ist richtig, dass viele Grundsätze unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit auch unseres Rechtssystems ihren Ursprung im christlichen Glauben haben. So lautet denn auch die Präambel des Grundgesetzes: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen […] hat sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Das macht deutlich, dass der Staat durchaus von einem monotheistischen Weltbild ausgeht. Doch diese Präambel wurde 1949 geschrieben, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zu dieser Zeit hatte Kirche für die in Deutschland lebenden Menschen noch eine ganz andere Bedeutung gehabt, als es heute der Fall ist.

Wunsch nach kultureller Identität verständlich

Fast 100 Jahre nach der Gründung der ersten demokratischen Republik lebt das deutsche Volk in einem partnerschaftlich geeinten Europa und pflegt einen regen Austausch mit nahezu allen Ländern der Welt. Waren werden um den Globus versandt, Wissen via Internet geteilt und Menschen überqueren ohne große Hürden Grenzen, um in einem anderen Land zu leben und zu arbeiten. Spätestens mit der ersten großen Einwandererwelle in den Siebzigern wurde die christlich geprägte, deutsche Gesellschaft erstmals mit einer Fülle anderer Weltanschauungen und Religionen konfrontiert. Und mit der Flüchtlingsbewegung 2015/16 sind noch einmal zahlreiche Menschen anderen Glaubens in sehr kurzer Zeit ins Land gekommen. Es ist verständlich, dass eine solche Entwicklung erst einmal den Wunsch provoziert, seine kulturelle Identität zu festigen, um sich seiner selbst zu versichern. Doch dazu bedarf es keiner Kreuze über den Türen von Amtsstuben.

Staat hat die Aufgabe, alle gleich zu behandeln

Heute ist die deutsche Gesellschaft eine bunt gemischte Menschenmenge aus Christen, Muslimen, Atheisten, Buddhisten, Hinduisten und Anhängern zahlreicher anderer Glaubensrichtungen. Der Islam gehört ebenso zu Deutschland wie die Zeugen Jehovas und die Bibeltreuen Christen. Allein deshalb, weil Menschen mit diesen Weltanschauungen in Deutschland leben, arbeiten und sich engagieren. Viele sind hier geboren, andere sind durch das Gesetz zu Deutschen geworden. Der Staat wiederum hat die Aufgabe, sie alle gleich zu behandeln, egal, woran sie glauben. Die Präambel des Grundgesetzes ist zum Zeitzeugnis geworden, der Artikel 4 zur Realität. Deshalb ist es auch nicht Aufgabe des Staates, die deutsche Gesellschaft an ihre christlichen Wurzeln zu erinnern. Dafür gibt es die Kirchen und den Geschichtsunterricht.

Bedenkliches Signal

Hängt man nun Kreuze in den Behörden aus, so ist das nicht nur der fromme Wunsch, eine frühere Zeit wiederzuerwecken, sondern es sendet auch ein bedenkliches Signal aus: Nach dem Gesetz kann zwar jeder glauben, was er will, aber wir sind ein christlich geprägtes Land und deshalb werden Christen bevorzugt. Ein Gedanke, der eines modernen Staates wie Deutschland nicht würdig ist.

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