Unsachliche Kritik am Polizeigesetz versperrt den Blick auf das Wesentliche
Darum geht es: Zwei Tage lang hat der Innenausschuss des Landtags intensiv über den Entwurf des neuen Polizeigesetzes beraten. Aus den Stellungnahmen der Verbände wurde rasch klar – das Thema polarisiert gewaltig. Ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Barbara Thiel, die Landesdatenschutzbeauftragte, ist sonst als abwägende und sachliche Frau bekannt. Jetzt aber ist sie über ihr Ziel hinausgeschossen, sie hat zwei gravierende Fehler begangen. Am Ende schadet die Beauftragte damit ihrem eigenen Anliegen.
Zuerst hat sie erklärt, die neuen Regeln im Polizeigesetz würden „die Freiheitsrechte der Bürger beschneiden“ – und zwar „bis zur Unkenntlichkeit“, wie sie hinzufügte. Dies geschehe „unter dem Deckmantel, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen“, sagte Barbara Thiel. Das ist starker Tobak, behauptet sie doch nichts anderes als die Absicht der Koalition, mit dem nur vorgeschobenen Argument der Terrorbekämpfung die individuellen Rechte zu beschränken. Nicht das Agieren der islamistischen Gruppierungen ist demnach also Auslöser für die Reform, sondern das Streben der Regierung nach immer stärkerer Kontrolle der Menschen. Danach hat Thiel noch zur Begründung ausgeführt, dass die Videoüberwachung nach den Gesetzesvorschlägen erheblich ausgeweitet und nicht mehr nur auf Kriminalitätsschwerpunkte begrenzt werden solle.
Mit diesen beiden Aussagen liegt die höchste Datenschützerin des Landes gleich doppelt neben der Spur. Beginnen wir mit dem zweiten Teil, der Videoüberwachung. Welche Einschränkung von Freiheitsrechten soll damit verbunden sein, dass in Großstädten, an Verkehrsknotenpunkten, auf Bahnsteigen oder in U-Bahnen mehr Videokameras als bisher das Geschehen aufzeichnen und mehr Material gespeichert wird? Glaubt Frau Thiel im Ernst, dass mit diesen Massenaufzeichnungen eine staatliche Überwachung der Bevölkerung einhergeht? Dass diese Kameras nicht die Privatsphäre der Bürger ausleuchten dürfen, ist klar und durch die grundgesetzlich geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert. Eine Überschreitung ist auch mit dem neuen Polizeigesetz nicht bezweckt. Aber der auch vor Gerichten mit Vehemenz ausgetragene Dauerstreit über die Frage, wie viele Kameras auf Marktplätzen angebracht werden dürfen und welche abgeschaltet werden müssen, mutet anachronistisch an. Wenn heute das Handy, das jeder bei sich trägt, eine ständige Kontrolle ermöglicht, wenn US-Großkonzerne wie Facebook oder Google über fast jeden Deutschen eine Unmenge an – auch höchst persönlichen – Daten speichern können, dann kann sehr wohl von einer Bedrohung der Freiheitsrechte gesprochen werden. Vom deutschen Staat aber geht diese derzeit ganz offenkundig nicht aus.
Noch schlimmer ist die Ignoranz, die aus Thiels Worten zum islamischen Terrorismus spricht. Ist dieser wirklich nur „ein Deckmantel“, also ein Vorwand für eine eigentlich aus ganz anderen Motiven bezweckte Stärkung der Polizeirechte? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das besondere an islamistischen Attentätern ist, dass man ihnen viel schwerer auf die Schliche kommen kann, weil sie spontaner agieren, die Tatvorbereitungen oft nicht oder wenn, dann nur stark verdeckt (und auf internationaler Ebene) stattfinden und die erfolgversprechende Einschleusung von V-Leuten damit umso schwieriger wird. Es stimmt zwar, dass der Staat keine vollendete Sicherheit gewährleisten kann. Aber daraus zu schließen, jede weitere Vorbeugung sei entbehrlich, kann nicht die richtige Antwort sein. Der internationale Terrorismus, vor allem der islamistisch begründete, dürfte auf Dauer zu unserem Leben dazugehören – und für die Sicherheitsbehörden bedeutet dies, Konsequenzen zu ziehen. Mehr Schutz, mehr Kontrollen, mehr Überprüfung von Identitäten gehört dazu, und auch eine konsequente Überwachung derer, die verdächtigt werden, als Anhänger einer islamistisch-radikalisierten Gruppe irgendwann auch Anschläge begehen zu wollen. Wenn man, wie es Thiels Wort „Deckmantel“ nahelegt, die Terrorismus-Gefahr negiert, dann stellt man sich auf eine Stufe mit denen, die aus Prinzip gegen jede Verschärfung des Polizeirechts sind und die Polizei am liebsten schwächen statt stärken wollen. Das ist dann eine Verweigerungshaltung.
Hätte die Datenschutzbeauftragte aber klug agiert, so wäre ihr aufgefallen, dass es tatsächlich einigen Anlass für kritische Hinweise gibt. Auch mit dem Entwurf des neuen Polizeigesetzes wird nämlich eine bedenkliche Entwicklung eingeschlagen – die Polizei senkt mit der Definition des „Gefahr“-Begriffes ihre Eingriffsschwelle. Das heißt, die Sicherheitsbeamten werden künftig schon bei sehr viel geringeren Anlässen aktiv werden, sie warten künftig nicht mehr, bis sich eine Gefahr zu einer „konkreten Gefahr“ zugespitzt hat. Das ist sicher gerechtfertigt angesichts einer Bedrohungslage im islamistischen Terrorismus, die ganz spontan ohne vorherige Planung eskalieren kann. Aber wenn man das akzeptiert, müssen auf der anderen Seite jene, die als tatsächliche oder vermeintliche „Gefährder“ festgehalten und überwacht werden, hinterher auch die Chance haben, vor Gericht das Polizeihandeln überprüfen lassen zu können. Im Entwurf des Gesetzes wimmelt es von unbestimmten Rechtsbegriffen, die später eine juristische Aufarbeitung von Polizeieinsätzen erschweren können. Vielleicht steht das dort auch deshalb so, weil die Koalition ihr Gesetz sehr stark an den Bedürfnissen der Polizei ausgerichtet hat. Eine Nacharbeitung ist deshalb dringend geboten. Die Datenschutzbeauftragte hätte in diesem Prozess eine wichtige Rolle übernehmen können. Wenn sie sich nicht vorher im Ton vergriffen hätte.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #137.