Im Herbst 2022, gleich nach dem Regierungswechsel, war der frischernannte Finanzminister Gerald Heere von den Grünen noch voller Tatendrang. Erwartungsfroh gab er einen „Prüfauftrag“ an sein Haus: Man solle doch mal schauen, ob die fünf hannoverschen Finanzämter, die Steuerfahndung, das Amt für Großbetriebsprüfungen und vielleicht auch noch das Finanzamt Burgdorf an nur einem Ort zusammengeführt werden können. Eine Idee für den Platz gab es schon – die ehemalige Tui-Zentrale an der Karl-Wiechert-Allee 4 in Hannover. Das 1988 erbaute, repräsentative und moderne Gebäude, technisch und baulich auf dem neuesten Stand, böte sich doch hervorragend an. Tatsächlich wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, und Heere war vermutlich noch guten Mutes, als er das tat.

Anderthalb Jahre später herrscht Resignation. Denn die Arbeitsgruppe, ergänzt um einen Lenkungskreis, hat tatsächlich intensiv getagt. Im März 2023, im Juni und im Juli 2023 gab es mehrere Treffen, dann wurde im November eine Stellungnahme der Amtsleiter eingeholt. Auch ein Schreiben der Personalvertreter wurde abgegeben. Die Arbeitsgruppe sollte vier Kriterien bewerten – die Wirtschaftlichkeit, die Bürgerzufriedenheit, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Erfüllung des Auftrags der Landesregierung, bei der Unterbringung der Verwaltung auf energetische Standards zu achten und auf die Effizienz. Es gilt für alle Behörden die Vorgabe, nach einem Umzug mit rund zehn Prozent weniger Fläche als bisher auskommen zu müssen. Diese Auflage ist dem Klimaschutz und den Veränderungen des Behördenalltags – Stichwort Homeoffice – geschuldet. Nun ging es nicht vorrangig darum, bautechnische Gutachten anzufordern und zu analysieren. Die künftigen Nutzer sollten vielmehr eine Einschätzung treffen, einen Trend vermitteln. Kritisch wird nun in einem internen Schriftstück zur Auswertung dieses Prozesses vermerkt: „Für den Prüfauftrag stand nur ein Jahr zur Verfügung.“ Nur ein Jahr? Ist das nicht eigentlich schon eine recht lange Zeit?
Wichtig für die Beurteilung war der Hinweis auf den Ist-Zustand der derzeit sieben hannoverschen Finanzämter, die in Oberricklingen, in Vahrenwald, in der Calenberger Neustadt und auf der Bult liegen. Ihr Sanierungsbedarf wird intern auf zusammen mehr als 124 Millionen Euro geschätzt, mindestens drei Jahre würden Umbau und Erneuerung kosten – allerdings nur, wenn die Gebäude leer sind. Eine Sanierung im laufenden Betrieb würde den zeitlichen Aufwand „sicherlich mindestens verdoppeln“, heißt es in einer internen Bewertung. Nicht erwähnt wird, dass zuvor auch genügend Mittel bereitliegen müssten, um die Sanierung zügig und ohne Unterbrechungen durchzuziehen. Aber selbst dann müssten Teile der Mitarbeiterschaft vorübergehend in ein anderes Quartier ausweichen, das vorher erst noch hergerichtet werden müsste. In der Karl-Wiechert-Allee hingegen wäre wohl der Aufwand für die Instandsetzung des recht neuen Gebäudes verhältnismäßig überschaubar. Damit sind also eigentlich sehr günstige Voraussetzungen gegeben. Warum kommt es dennoch nicht dazu?

Vermutlich, weil die Idee zerredet wurde. Aus internen Dokumenten, die dem Politikjournal Rundblick vorliegen, wird deutlich, wie der schöne Plan Zug um Zug an Reiz verlor – und zwar umso stärker, je mehr Gruppen sich darüber die Köpfe zerbrachen. Zunächst wurde noch berichtet, dass die baufachliche Untersuchung positiv ausfiel: Alle hannoverschen Finanzämter könnten dort locker unterkommen, und die fehlenden Lagerräume seien kein Hindernis, denn auf mittlere Sicht werde ja der Bedarf an Papierakten sinken. Irgendwann soll ja alles digital verfügbar sein. Eine Zusammenführung der Ämter biete zudem „weitreichende Potenziale, um perspektivisch strukturelle Veränderungen in der Organisation der Finanzämter herbeizuführen“, heißt es im Prüfungsergebnis der Arbeitsgruppe. Das klingt nun nach Reform, aber gleich danach kommt dann schon die Einschränkung. Zunächst sollten lediglich die zentralen Dienste zusammengefasst werden. Und weiter: „Die Empfehlung lautet: erst Umzug ohne Fusion und in den Jahren danach nähere Prüfung möglicher Veränderungen solcher Art.“
Dieser Satz deutet schon auf das hin, was womöglich mindestens mitentscheidend war für die Abwehrhaltung, die sich in den Gremien offenbar ausbreitete: Wenn es statt sieben nur noch ein Finanzamt gäbe, würden sieben gutbesoldete Stellen von Finanzamtsleitern wegfallen – das schränkt die Beförderungsmöglichkeiten in der Behörde stark ein. Vorgetragen und im Prüfergebnis niedergeschrieben wurden noch andere Gründe. Die Amtsleiter tragen kritisch vor, dass sie mit der vorgeschriebenen Verringerung von zehn Prozent der Bürofläche nicht auskommen könnten – da die Papierakte „weiterhin führend“ sei und mobiles Arbeiten nicht so gut gelingen könne. Darauf erwidert wird, dass es ja auf Dauer durchaus zumutbar sein müsse, nicht mehr jedem Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz zu garantieren. Der nächste Streitpunkt: Amtsleiter und Vertreter der Personalräte wenden ein, für die Steuerpflichtigen werde der Weg zum Finanzamt länger, wenn sie nun nicht mehr fünf verschiedene Orte in Hannover ansteuern können, sondern nur noch einen in der Karl-Wiechert-Allee.
Dass dies in Hannover zumutbar sein müsste, weil das bei einem Fortschritt von elektronischer Übermittlung immer weniger eine Rolle spielt und zudem die Karl-Wiechert-Allee mit Stadtbahnen hervorragend erreichbar ist, überzeugte sie offenbar nicht. Es fehlten Möglichkeiten der Kinderbetreuung und ein Kindergarten in der Nähe, hieß es. Außerdem wurde behauptet, der Umzug werde zu Personalabgängen führen und Mitarbeiter würden weniger als bisher bereit sein, im Finanzamt tätig zu werden. Wieso das so sein soll, wenn die Mitarbeiter aus den teilweise arg ramponierten Verwaltungsgebäuden der bisherigen Finanzämter in die schöne ehemalige Tui-Zentrale ziehen, wird allerdings nicht erläutert. Dann wurde noch vorgetragen, dass es doch mehr Sozialräume, Aufenthaltsräume und einen Fitness-Raum geben solle, der Aufbau einer Kindertagesstätte solle geprüft werden. Die Arbeitsgruppe behauptet sogar, alle derzeitigen hannoverschen Finanzämter besäßen „eine ausreichende Größe“ und es bestehe „auch aus fachlicher Sicht gar kein unmittelbarer Handlungsdruck“. Dieses Urteil steht nun im krassen Widerspruch zur Beschreibung der Ist-Situation in den bisherigen Ämtern. Auch das erklärte Ziel von Rot-Grün, die Immobilien des Landes energetisch auf Vordermann zu bringen, wurde hier nicht einmal ansatzweise gewürdigt.
Finanzminister Heere hätte womöglich die Reform durchdrücken können. Er wäre damit zum Vorreiter geworden für das große Ziel, die veraltete Behörden-Infrastruktur in Niedersachsen endlich entschlossen zu erneuern. Das hätte auch zu der jüngst von Ministerpräsident Stephan Weil verkündeten Linie gepasst, die Unterbringung der Landesverwaltung in neue, klimagerechte und kompaktere Formen anzuschieben. Der Minister entschied sich anders und ging dem Konflikt mit den Amtsleitern und den Personalräten aus dem Weg. Ob das klug war?