
Bewährungsprobe bestanden: Umweltminister Christian Meyer hat in einem regelrechten „Kreuzverhör“ viele Vorbehalte in der niedersächsischen Wirtschaft gegen seine Klima- und Energiepolitik abbauen können. Beim ersten gemeinsamen energiepolitischen Jahresauftakt von EWE und UVN in Hannover äußerte sich der Grünen-Politiker unter anderem zu seinen Ausbauzielen, seinen Plänen zum Bürokratieabbau und zu seinem Verhältnis zur Grundstoffindustrie. Meyer bekräftigte dabei immer wieder seinen Anspruch, die Energiewende als „Turbominister“ voranbringen zu wollen. Dabei will der Holzmindener offenbar nicht als linker Hardliner, sondern als Grünen-Realpolitiker im Stil eines Robert Habeck auftreten. „Wir haben viele Unternehmen in Niedersachsen, die nur darauf warten, klimaneutral werden zu können“, sagte Meyer.
Auch aus der Bevölkerung spüre er großen Rückenwind für den Windkraftausbau, der jetzt nicht an Einzelinteressen scheitern soll. „Wir dürfen nicht auf das letzte bisschen Einigkeit warten“, meinte der Minister und kündigte etwa an: „Der Offshore-Ausbau wird nicht zur Freude eines jeden Umweltverbands ablaufen.“ Er plädierte beim Energieausbau auch für „ein bisschen weniger Planwirtschaft von oben, die dann eh nicht klappt“. An grünen Kernforderungen wie dem Atomausstieg und dem Nein zum Fracking will Meyer allerdings nicht rütteln. Und auch die Waldbesitzer musste der 47-Jährige enttäuschen. „Wir haben viele hundert Millionen Euro verloren durch Hitze, Stürme und Trockenheit. Wir brauchen Geld und wir brauchen Vorranggebiete für die Windkraft im Wald“, appellierte Heiner Beermann, Vizepräsident des Waldbesitzerverbands Niedersachsen, an den Grünen-Politiker. „Wald wird auch Potenzialfläche sein“, räumte Meyer ein. Dass Windräder hier vorrangig vor anderen Flächen gebaut werden, ist für ihn aber kein Thema. Einer Förderung von Holzhackschnitzelanlagen erteilte er ebenfalls eine Absage: „Das Ziel ist es, die Erneuerbaren aufzubauen. Große Holzkraftwerke wollen wir nicht.“

Niedersachsen hat sich zum Ziel gesetzt, 65 Gigawatt Photovoltaik bis 2035 zu installieren. Bisher liegt die installierte Leistung allerdings nur im einstelligen Gigawatt-Bereich. „Sie werden diese Ziele meilenweit verfehlen“, unkte Vattenfall-Manager Kai Debus und kritisierte: „Gerade bei großen Freiflächen-PV-Anlagen geht es überhaupt nicht voran.“ Dem Energieminister warf er vor, sich in weniger effizienten Projekten wie der Solarstromgewinnung aus wiedervernässten Mooren oder der Agri-Photovoltaik zu verzetteln. Meyer verwies jedoch darauf, dass 50 von 65 Gigawatt auf Dachflächen installiert werden sollen, wo es noch riesige Potenziale gebe. „Andere Länder sind bei der Solarpflicht schon viel weiter als Niedersachsen“, sagte der Grünen-Politiker und nannte als Beispiel Baden-Württemberg. Meyer ließ durchblicken, dass er die Solarpflicht gerne auch auf öffentlichen Gebäuden ausweiten würde. „Dass der Staat da langsamer ist als die Wirtschaft, fand ich schon immer ein bisschen komisch“, sagte er.
Der Umweltminister bekräftigte auch sein Vorhaben, in Niedersachsen wieder eine Solarindustrie aufbauen zu wollen. Die dazugehörige Spitzenforschung sei mit dem Institut für Solarenergieforschung in Hameln (ISFH) bereits vorhanden. „Mein Ziel ist, dass wir dafür auch wieder eine industrielle Fertigung haben“, sagte Meyer. Auf Nachfrage von Holger Bär, Chef des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) Nord, bekannte sich Meyer zum Industriestandort Niedersachsen: „Alles, was wir selber machen, schafft Unabhängigkeit. Wir müssen auch stärker die Grundstoffindustrie in den Blick nehmen.“ UVN-Hauptgeschäftsführer Volker Müller gab jedoch zu bedenken: „Investitionen werden da gemacht, wo die Rahmenbedingungen stimmen. Die sind in Norddeutschland grundsätzlich gut, aber wir brauchen jetzt auch langfristige Investitionssicherheit.“ Dazu würden neben der Sicherheit der Energieversorgung auch Schnelligkeit bei Genehmigungsverfahren und Stabilität bei den Energiepreisen gehören.
Der EWE-Vorstandsvorsitzende Stefan Dohler forderte drei Dinge: Flächen, Genehmigungen und den richtigen Finanzierungsrahmen. „Nur wenn das alles zusammenkommt, kann die Energiewende gelingen“, sagte der CEO des größten Energieunternehmens in Niedersachsen. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren spüre man bei EWE allerdings noch nicht. Für die Wasserstoff-Projekte des Unternehmens seien zwar bereits eine Milliarde Euro an Fördermitteln von Bund und Land freigegeben worden. „Wir warten aber seit über einem Jahr auf die Freigabe aus Brüssel“, berichtete Dohler. Darüber ärgerte sich auch Meyer. „Das Problem ist, dass die EU bei Genehmigungen zu langsam ist“, bestätigte er. Auf Landesebene stellte er jedoch einen deutlichen Bürokratieabbau in Aussicht. „Wir müssen manche Regeln auch mal weglassen. Wir müssen keine Doppelt- und Dreifachprüfung machen“, sagte Meyer. Zudem will er Genehmigungsprozesse effizienter gestalten. „Man muss nicht fünf Jahre prüfen, ob da ein Rotmilan ist. Das kann man auch direkt am Anfang eines Antragsverfahrens machen“, so der Umweltminister. Mehr Tempo erhofft sich Meyer auch durch mehr Personal in den Genehmigungsbehörden und eine bessere Datenbasis.

Dass Meyer und die neue „Task-Force Energiewende“ einen spürbaren Bürokratieabbau erreichen, stößt beim EWE-Chef auf Skepsis. „Ich glaube das erst, wenn sich die Windmühlen drehen“, sagte Dohler. Er sieht die Landesregierung hier unter Zugzwang, denn noch habe Niedersachsen einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. „Wir sind der Ruhrpott von morgen – nur in sauber. Wir haben das Potenzial, alles was wir für die Transformation brauchen, zehn Jahre schneller zu bauen als der Rest von Deutschland“, sagte Dohler. Man dürfe jetzt nur nicht den Fehler machen, Niedersachsen als reines Export- und Transitland für grüne Energie aufzubauen.
Meyer versicherte aber, den Standortwettbewerb nicht aus dem Blick zu verlieren. „Wir sind das Energieland Nr. 1. Wir müssen eigentlich weniger Netzentgelte zahlen, wir zahlen aber mehr. Das ist nicht gerecht“, ärgerte sich der Energieminister. Grund dafür ist vor allem der Windstromausbau in Norddeutschland, der vor allem an die Stromkunden in der Region weitergereicht wird. Diesen Wettbewerbsnachteil will Meyer angehen. Dazu machte er folgende Kampfansage: „Wenn die Bayern den Strom haben wollen, müssen sie den Südlink bauen und den gerechten Preis zahlen – ansonsten behalten wir die Energie.“
