Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, wünscht sich ein stärkeres deutsches Engagement zur Lösung des Konflikts in seinem Land. „Seit vier Jahren leben wir im Krieg. Jeden Tag gibt es Opfer, auch unter der Zivilbevölkerung. Aber im Westen sind diese Ereignisse fast vergessen – dabei geschieht das alles nicht weit von Deutschland entfernt, quasi direkt vor der Haustür“, sagte Melnyk gestern beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick. Die Ukraine werde von einer 409 Kilometer langen Grenze durchzogen, die das Land von der Region Donbass teilt. Hier stehen sich ukrainische Truppen und pro-russische Separatisten gegenüber. Melnyk spricht von einem „Stellungskrieg“, in dem es keine großen Offensiven, aber dauernde Kriegshandlungen gebe. 50.000 ukrainische Soldaten seien im Einsatz, eine Million Menschen würden entlang dieser Linie leben – und sie würden jeden Tag Kampfhandlungen erleben. Nur zu Weihnachten habe es keine kurze Feuerpause gegeben. „Dieser Krieg ist eine blutende Wunde für unser Volk. In jeder Familie gibt es Betroffene, viele Menschen haben am Krieg teilgenommen und sind traumatisiert zurückgekehrt.“

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk (2.v.l.) zu Besuch in der Rundblick-Redaktion – Foto: SG

Nach Ansicht des ukrainischen Botschafters haben die Sanktionen gegen Russland, die nach der Besetzung der Krim von der EU festgelegt und immer wieder verlängert wurden, durchaus Wirkung. Das betreffe vor allem russische Großunternehmen, die wegen der russischen Aggression in der Ukraine nicht mehr so leicht an günstige Kredite kommen können. Melnyk, der am Montag in Hannover auch Ministerpräsident Stephan Weil und Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (beide SPD) aufsuchte, beobachtet nicht ohne Kritik die in Deutschland geführte Debatte, ob die Sanktionen gegen Russland noch wirkungsvoll und angemessen seien. Für ihn bestehe daran kein Zweifel, hob der Botschafter hervor. So lange der Westen einen Druck gegenüber Putin aufrecht erhalte, bestehe zumindest die Chance, dass sich etwas bewege. Kanzlerin Angela Merkel habe einen großen Einfluss auf den russischen Präsidenten – „er hört ihr zu“.

Gerhard Schröder hilft nicht weiter

Allerdings bemerkt Melnyk, dass gerade im vergangenen Jahr die Aktivitäten der deutschen Regierung mit Blick auf den Ukraine-Konflikt sehr zurückhaltend gewesen seien. Er bedauere, dass Putins Ankündigung, sogar mit der Entsendung von UN-Blauhelmen an den Donbass einverstanden zu sein, bislang nicht in die Tat umgesetzt wurde – weil man ihn nicht beim Wort genommen habe. Die 700 OSZE-Mitarbeiter würden nur bedingt weiterhelfen, da sie ihre Beobachtungen auf die Zeit von 9 bis 17 Uhr täglich beschränkten. „Und oft müssen wir mit ansehen, dass dann um 18 Uhr der Beschuss beginnt.“ Zur Frage, ob auch Altkanzler Gerhard Schröder mit seinen guten Kontakten zu Putin in diesem Konflikt helfen könne, zeigte sich der Botschafter skeptisch: „Gerhard Schröder bringt uns auch nicht weiter.“

Wichtige Partner für deutsche Autoindustrie

Jenseits des Kriegsgeschehens kann die Ukraine allerdings auch einen Wirtschaftsaufschwung vermelden. Das betrifft zwar auch, aber nicht im entscheidenden Maße die landwirtschaftlichen Produkte, für die das Land als „Kornkammer Europas“ immer schon bekannt war. Es geht auch verstärkt um verarbeitete Agrarprodukte wie Sonnenblumenöl, um Düngemittel oder auch um landwirtschaftliche Maschinen. In den vergangenen drei Jahren haben sich in der Ukraine laut Melnyk auch viele Auto-Zulieferer angesiedelt, die für die Autoproduktion in Deutschland wichtige Partner geworden sind. „Wir haben keine Zölle, nur zwei Tage Lieferzeit, sind viel näher als China gelegen und haben Stundenlöhne zwischen 1,50 und 2 Euro.“ Damit hätten sich die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, gerade auch zu Niedersachsen, in den vergangenen Jahren spürbar verstärkt und ausgeweitet. Auch die IT-Branche in der Ukraine sei stark im Wachstum begriffen, mehr als 100.000 Experten hätten sich schon angesiedelt. „Wenn es demnächst um Projekte zum autonomen Fahren geht, spielt unser Land eine große Rolle.“

Melnyk besuchte Hannover am 22. Januar 2018 – genau 100 Jahre nach dem ersten Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, 1918, nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches. Die Lage sei heute „sogar etwas vergleichbar zu damals“, meinte der Botschafter. Denn der starke russische Einfluss, der sich für sein Land als Gefahr darstelle, sei heute ebenso spürbar wie seinerzeit.