Experten streiten: Tierversuche verbieten?
Von Niklas Kleinwächter
Die Bilder aus dem privaten Tierversuchslabor in Mienenbüttel im Landkreis Harburg haben im vergangenen Jahr für Entsetzen gesorgt. Die Filmaufnahmen der Soko Tierschutz zeigten zum Beispiel Hunde, die in ihrem eigenen Blut lagen, oder Affen, deren Kopf und Arme in Rückhaltevorrichtungen festgeschraubt waren. Sofort nach Veröffentlichung der Aufnahmen entzogen die zuständigen Behörden der verantwortlichen Firma LPT die Zulassung.
Durch den Aufschrei nach Bekanntwerden der Tierschutzverstöße ist die Praxis der Versuche an Tieren nun erneut in den Fokus gerückt. Dabei finden in Deutschland jährlich knapp 2,8 Millionen solcher Experimente statt. Die Grünen fordern nun, zumindest die Zahl der Versuche runterzufahren und die Kontrollen zu erhöhen, die AfD will Tierversuche gleich ganz verbieten. Sind Experimente an Mäusen, Affen, Hunden und Katzen notwendig? Gestern beschäftigte sich der Agrarausschuss des Landtags mit dieser Frage.
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In der Expertenanhörung des Ausschusses rief Katy Taylor, Tierschützerin der britischen Organisation „Cruelty Free International“, den Landtagsabgeordneten die Bilder aus dem Tierversuchslabor noch einmal in Erinnerung. Die Käfige waren zu eng, der Tod wurde billigend in Kauf genommen und Affen mussten sogar mit ansehen, wie ihre Artgenossen Behandlungen unterzogen wurden. Zudem seien die Mitarbeiter schlecht geschult gewesen, so dass beispielsweise die Blutentnahme für die Tiere unverhältnismäßig schmerzhaft ausgefallen sein muss.
Taylor stellte in ihrem Vortrag klar, dass der Fall in Mienenbüttel keine Ausnahme sei und dass es solche Fälle in ganz Europa und der ganzen Welt gebe. „Seien Sie sicher, dass das kein Einzelfall war. Es ist jetzt wichtig, sicherzugehen, dass sich solche Fälle nicht wiederholen.“
Tierversuche werden solange notwendig sein, bis es Alternativen gibt, damit es weiterhin medizinischen Fortschritt geben kann.
Prof. André Bleich vom Institut für Versuchstierkunde der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), mahnte jedoch, jetzt nicht voreilig vom Einzelfall zu verallgemeinern. Dem Mediziner war daran gelegen, deutlich zu machen, dass Tierversuche unerlässlich seien. „Tierversuche werden solange notwendig sein, bis es Alternativen gibt, damit es weiterhin medizinischen Fortschritt geben kann. Dass dieser weiter notwendig ist, sehen Sie, wenn Sie auf die Intensivstation der MHH kommen.“
Als Beleg führte Prof. Bleich eine Liste von medizinischen Errungenschaften an, die ohne Tests an Tieren nicht möglich gewesen wären. So konnten an der MHH durch Tierversuche an Mäusen und Schafen etwa mitwachsende Herzklappen für Kinder entwickelt werden. Auch die Entwicklung von Cochlea-Implantaten, also Prothesen, die es gehörlosen Kindern ermöglichen etwas zu hören, sei nur dank Experimenten an Tieren möglich gewesen. „Die Liste der tierversuchsbasierten Erfolge ist lang und ließe sich weiter fortsetzen“, sagte Prof. Bleich. Tierversuche seien demnach bis auf weiteres unumgänglich, und Deutschland solle weiter daran partizipieren. Eine Verlegung in das Nicht-EU-Ausland sei aus wissenschaftlichen und Tierschutzgesichtspunkten „nicht erstrebenswert“.
Die Ergebnisse sind so schlecht, dass man es sein lassen sollte.
Anders sieht das Julia Radzwill von der Organisation „Ärzte gegen Tierversuche“. Die Biologin hält den Nutzen der Versuche für so gering, dass er das Leid der Tiere nicht rechtfertige. „Die Ergebnisse sind so schlecht, dass man es sein lassen sollte“, sagte Radzwill gestern in der Anhörung und forderte die Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie, die Umverteilung von Fördergeldern und einen Ausstiegsplan, wie es ihn in den Niederlanden schon gebe. Sie kritisiert, dass etwa die Hälfte der Tierversuche im Bereich der Gentechnik durchgeführt werde, obwohl die Relevanz für den Menschen hier besonders gering sei. Die Übertragbarkeit liege nur bei 0,3 Prozent, erklärte Radzwill. „Hier wird die Wissenschaft zum Selbstzweck.“
Auch in der Medikamentenentwicklung sei der Nutzen extrem gering. Von 200.000 Substanzen, die im Labor untersucht wurden, würden noch knapp 5000 an Tieren getestet, davon schafften es nur 100 zur Erprobung am Menschen und wiederum nur fünf gelangten schließlich auf den Markt, rechnete sie vor. Ebenso kritisch betrachtete Radzwill den Mehrwert von Tierversuchen in der Regulatorik, also bei der Überprüfung der Giftigkeit von Stoffen. Tiere reagierten schließlich anders als Menschen und könnten manche Erkrankungen wie Alzheimer oder Multiple Sklerose gar nicht bekommen.
Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ setzt deshalb auf alternative Methoden. So könnten beispielsweise Computerprogramme, die einmal mit Daten aus bereits gemachten Tierversuchen gefüttert wurden, die Wechselwirkung bestimmter Stoffe ebenso gut errechnen. Es sei zudem mittlerweile möglich, Organ-Imitate aus Stammzellen zu züchten und sogar ganze menschliche Kreislauf- und Immunsysteme könnten so künstlich nachgebaut und bestimmten Wirkstoffen ausgesetzt werden, erläuterte Radzwill. Sogar der dreidimensionale Druck von Leber, Lunge und Herz sei technisch inzwischen möglich und in ihren Augen der bessere Weg, um medizinischen Fortschritt zu erzielen.
Wissenschaftler sollten „alternativen Fakten“ vehementer widersprechen
Die Bedeutung dieser Methoden möchte Prof. Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen, gar nicht in Abrede stellen. Für den Biopsychologie-Forscher, der gestern im Namen der Initiative „Tierversuche verstehen“ sprach, sind diese vermeintlichen Alternativen aber eher Ergänzungen. „Unsere Forschungsstärke kommt durch den Methodenmix“, sagte Prof. Treue und erklärte, dass die moderne Forschung zwar Tierversuche brauche, aber niemand ausschließlich Tierversuche nutze. Niemand mache das gerne, versicherte er, aber noch seien diese Experimente unerlässlich.
Prof. Treue sprach von einem breiten gesellschaftlichen Konsens, wonach Tierversuche in bestimmten Ausnahmen und wegen ihres Nutzens ethisch vertretbar und sogar geboten seien. Ein Problem sei aber, dass die Wissenschaft „alternativen Fakten“ nicht vehement genug wiederspreche. Außerdem forderte er, die zuständigen Behörden personell besser auszustatten – damit die Genehmigung der Anträge zügiger vonstattengehe.
Teil dieser behördlichen Antragsprüfung sei es im Übrigen auch, die alternativen Methoden abzuwägen. Vielleicht könne hier ein Zugewinn an fachkundigem Personal also auch ein Zugewinn an Tierwohl bedeuten.