TagesKolumne: Wo sind all die Niedersachsen hin?
Ich hoffe, diese Tageskolumne erreicht Sie bei bester Gesundheit, denn viele von Ihnen gibt es offenbar gar nicht. Wie das Landesamt für Statistik (LSN) herausgefunden hat, existieren 171.104 Niedersachsen weniger als gedacht. Diese Differenz haben die Statistiker entdeckt, nachdem sie die Ergebnisse des Zensus 2022 mit der Bevölkerungsfortschreibung mit Stand zum 30. Juni 2022 verglichen haben.
Die meisten Niedersachsen gibt es in der Landeshauptstadt nicht: 513.341 Hannoveraner sollten es eigentlich sein, es sind aber nur 506.416. Das mag zunächst überraschend klingen, ergibt aber Sinn, denn wenn man irgendwo wirklich nicht sein möchte, sind das der Mühlenberg, der Roderbruch oder Sahlkamp-Mitte in Hannover.
Oberbürgermeister Belit Onay muss jetzt erklären, wie er 7000 Bürger verbummeln konnte und die Wohnungskrise in der Landeshauptstadt dennoch noch nicht gelöst hat. Andererseits spielt diese Entwicklung dem Grünen-Politiker auch in die Karten, denn nun wollen deutlich weniger Großstädter mit dem Auto in die Innenstadt fahren. Rein statistisch dürften sich viele Verkehrsprobleme in Hannover von selbst lösen.
Ernsthafte Konsequenzen könnte das Zensus-Ergebnis auch für den Hildesheimer Oberbürgermeister Ingo Meyer (parteilos) haben. „Hildesheim ist eine besonders grüne Großstadt, die vielerorts zum Verweilen einlädt“, behauptet er in seinem Grußwort auf der offiziellen Internetseite der Stadt. Was für ein verlockendes Versprechen!
Abertausende Touristen haben daraufhin andere Weltmetropolen wie New York, Rio oder Tokio links liegen lassen, um den Großstadttrubel unter Zweigen an der Innerste zu erleben. Nun kam aber heraus: Zum Zensus-Stichtag zählte Hildesheim gerade mal 97.716 Menschen (minus 3,7 Prozent) und ist gar keine Großstadt. Das ganze Stadtmarketing ist also nur ein riesiger Schwindel. Pfui!
Ganz andere Sorgen hat Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD). Ihre Universitätsstadt ist sprichwörtlich „the place to be“ in Niedersachsen: Göttingen ist nicht nur zu 100 Prozent bewohnt, sondern zu 105,5 Prozent. Mehrere Tausend Bewohner sind quasi über Nacht dazu gekommen und irren jetzt vermutlich orientierungslos durch die Straßen. Womöglich stammen sie aus den Landkreisen Holzminden, Celle und Lüneburg, die laut der Zensus-Berechnung ein dickes Bevölkerungsminus zu verzeichnen haben.
Wenn auch Sie abends in einer ländlichen Region zu Bett gegangen sind und am nächsten Morgen in einer vollmöblierten Innenstadtwohnung aufgewacht sind, dann melden Sie sich gerne beim Landesamt für Statistik. Dort hat man Erfahrung mit solchen Fällen.
„Wo bin ich denn hier gelandet?“ werden Sie auch bei der Lektüre des heutigen Rundblick fragen. Wir haben folgende Themen für Sie:
◼ Der Berg schmilzt: Mit dem „Integrationsfonds“ unterstützt Niedersachsen die Kommunen, die einen besonders starken Zuzug von Asylbewerbern meistern müssen. Doch der bislang jährliche 10-Millionen-Euro-Eisberg schmilzt langsam ab und wird immer kleiner.
◼ Verschwundene Kollegen: Bis auf Katrin Langensiepen gibt es bei den Grünen keine Europaabgeordnete aus Niedersachsen mehr, der Schock über den Verlust wichtiger Kollegen sitzt tief. Aber auch die anderen Fraktionen müssen sich nach der Europawahl neu sortieren.
◼ Der Geist der kommenden Landtagswahl: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer zieht sich mitten in der Legislaturperiode aus der Politik zurück. Könnte es der zwei Jahre ältere Stephan Weil seiner SPD-Genossin gleichtun? Nein, glaubt Rundblick-Chefredakteur Klaus Wallbaum, wirft aber einen Blick auf die möglichen Weil-Nachfolger, die sich bereits in Stellung bringen.
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Ihr Christian Wilhelm Link
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
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