TagesKolumne: Pech beim Denken
Liebe Leserinnen und Leser,
sind Sie schon einmal beim Bummeln durch die Innenstadt auf große „Sonderangebot! Nur heute“ oder „Nur solange der Vorrat reicht“-Schilder hereingefallen? Herzlichen Glückwunsch, ich auch, regelmäßig. Oder haben Sie das Gefühl, im Supermarkt immer an der falschen Kassenschlange zu stehen, an der Kunden vor Ihnen ihren Einkauf mit kleinstmöglichem Klimpergeld bezahlen, während Sie Ihre Wut darüber auf den Nacken der Person vor Ihnen projizieren? Ich kann Sie trösten: Es handelt sich bei diesen Alltagssituationen weder um Schicksal, Karma, gemeine Vorbestimmung oder um sonstige Geduldsproben höherer Art. Nein, wir haben lediglich falsch gedacht.
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In „Die Kunst des klaren Denkens – 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen“ von Rolf Dobelli (Deutscher Taschenbuch Verlag, 245 Seiten) beschreibt der Autor gleich 52 solcher Situationen, in denen uns unsere Denkmurmel manchmal täuscht. Als „Self-Selection-Bias“ (Denkfehler Nummer 48) beschreibt er die oben beschriebene Supermarktkassensituation. Diese „Warum immer ich?“-Situationen – an langen Schlangen, im Stau auf der Autobahn, mit komplizierten Chefs – sind jedoch nichts anderes als Zufall, da wir immer Teil einer großen Stichprobe sind. Und komischerweise ärgern wir uns nur dann, wenn wir – na, wer auch sonst? – im Stau stehen. Wir wundern uns jedoch nicht, wenn wir problemlos von A nach B kommen, also meistens. Dabei ist beides vom Zufall gesteuert.
Auch der „Overconfidence-Effect“ (Denkfehler Nummer 3) ist sehr spannend. Wir Menschen neigen allesamt dazu, unsere Kenntnisse und Fähigkeiten selbst zu überschätzen. In einer Befragung unter französischen Männern gaben 84 Prozent der Befragten an, überdurchschnittlich gute Liebhaber zu sein. Statistisch betrachtet müssten es genau 50 Prozent sein. „Tja, die Franzosen“, könnte man jetzt sagen. Oder einfach einsehen, dass wir uns regelmäßig und gerne selbst überschätzen.
Mögen Sie Geschenke? Fehler! Und zwar Denkfehler Nummer 6 – Reziprozität. Wenn wir etwas geschenkt bekommen, klopft meistens zügig das schlechte Gewissen an, das uns zu einer Gegenhandlung zwingt. Lassen Sie sich nie wieder Drinks in der Bar spendieren! Und wenn Sie dieses befreundete Ehepaar haben, welches jedoch fürchterlich langweilig ist und für zähe Abende sorgt, fangen Sie gar nicht erst an mit gegenseitigen Einladungen zum Pärchen-Dinner. Sie werden mir noch danken. Apropos Geschenk: Haben Sie schon unseren kostenlosen Sonntagsnewsletter abonniert?
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Auch die Kollegen hier beim Rundblick haben heute viel nachgedacht, aber auch geschrieben: Christian Wilhelm Link schildert, wie eine bundesweit bekannte Wirtschaftswissenschaftlerin mit Vehemenz von einer Kraftwerksplanung im Kreis Peine abrät. Das Umweltministerium in Hannover, die Genehmigungsbehörde, äußert vorsichtig Verständnis für die Kritik. Anne Beelte-Altwig hat sich mit Menschen unterhalten, die eine neue Veranstaltung der christlich-jüdischen Verständigung beleben wollen. Und Niklas Kleinwächter war beim Bildungskongress der Stiftung Niedersachsen-Metall. Dort hat er viele Akteure vernommen, die von den ewigen Klein-Klein-Reformen nicht mehr viel wissen wollen und sich stattdessen eine „Revolution im Bildungssystem“ wünschen.
Zurück zu unserem ersten Beispiel. Rolf Dobelli beschreibt den Effekt als „Knappheitsirrtum“ (Denkfehler Nummer 28). Aussagen wie „Nur solange der Vorrat reicht“ verführen uns immer wieder zum Kauf und lassen uns denken, dass wir schnell zugreifen müssen, bevor das Objekt unserer Begierde vergriffen ist. Im Marketing auch als „Künstliche Verknappung“ bekannt. Die Angst davor, etwas nicht zu besitzen, versetzt uns in Panik und das Objekt der Begierde gewinnt schlagartig an Attraktivität, führt mitunter zu irrationalem Handeln. Sammelobjekte, ob nun Oldtimer, die Blaue Mauritius, Ming-Vasen oder Ü-Ei-Figuren gewinnen an Wert, je knapper das Gut ist. Trotz alledem handelt es sich hierbei nüchtern betrachtet um ein Automobil, eine Briefmarke, ein Blumengefäß und Kinderspielzeug.
Wie auch immer: Nur solange der Vorrat reicht!! Der Rundblick – NUR HIER UND HEUTE – für Sie zum Download! (Natürlich nur für Abonnenten)
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und viel Erfolg beim Denken!
Tomas Lada
Dieser Artikel erschien am 08.09.2023 in der Ausgabe #154.
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