Heute gibt es endlich mal einen Anlass, den berühmten Soziologen und Verwaltungskenner Max Weber zu zitieren. In Hannover räumt Martina Wethkamp, die Leiterin der Haushaltsabteilung im Finanzministerium, gerade ihr Büro aus – denn sie geht in den Ruhestand, freut sich auf mehr Zeit für das Enkelkind. Im Haushaltsausschuss des Landtags tritt die Volkswirtschaftlerin am Vormittag das letzte Mal auf. Am Abend geht für sie eine Zeit von 35 Jahren im Finanzministerium zu Ende, davon elf Jahre an der Spitze der wichtigen Haushaltsabteilung. Wie viel Einfluss auf die Politik in Niedersachsen hatte Martina Wethkamp, diese strikt bescheidene, unauffällig agierende Frau, die meistens an den vielen politischen Sitzungen nur als stille Zuhörerin teilgenommen hat?

Für eine Antwort können die Kategorien von Max Weber helfen. Weber hat einst zwischen „Macht“ und „Herrschaft“ unterschieden. Macht hat demnach jemand, der es versteht, andere in seinem Sinne zu motivieren – auch dann, wenn diese anderen erst kritisch eingestellt waren. Herrschaft wird hingegen ausgeübt von Chefs, die ihre Mitarbeiter zu einem bestimmten Verhalten anweisen und dafür auch von ihnen Gehorsam erwarten können. Übertragen wir dies auf das Finanzministerium, dann sind es der Minister und die Staatssekretärin, die als „politische Spitze“ formal die Herrschaft ausüben. Sie treffen Entscheidungen – die Untergebenen folgen.
Und Martina Wethkamp? Sie taucht in der Hierarchie des Ministeriums erst in der dritten Reihe auf. Aber Martina Wethkamp kennt die Zahlen des Haushalts wie keine andere, sie weiß von verschlungenen Wegen und unentdeckten Verstecken. Vor allem: Sie behütet diesen Schatz über viele, viele Jahre. Sie weiß, was der Innenminister 2014 an Sondervorstellungen äußerte, die der damalige Finanzminister ablehnte – und wie sich die beiden seinerzeit (das ist ein hypothetisches Beispiel) in die Haare gekriegt hatten. Das geschah vertraulich, kein Protokoll wurde angefertigt, kein Wort darüber gewechselt. Aber Wethkamp saß damals neben den beiden Ministern. Diejenigen, die heute im Finanz- und Innenministerium den Ton angeben, waren damals teilweise noch gar nicht auf der politischen Bühne.
Hat Martina Wethkamp nun „die Macht“ im Finanzministerium? Das weiß man nicht, das einzige, was sich verlässlich sagen lässt, ist: Sie hätte die Macht, wenn sie diese nutzen wollte. Jeder, der diese Spitzenbeamtin in politischen Runden mal gesehen hat, diese „Frau der Zahlen“, kann das nachvollziehen: Wethkamp strahlt eine Autorität aus, da alle höchsten Respekt vor ihrem großen Wissen und ihrer Fachlichkeit haben. Gleichzeitig ist sie schlau genug, diese Rolle nicht auszunutzen.

Verwaltungsbeamte wissen: Die Politiker sind dafür gewählt, die Richtung vorzugeben – und wenn ein Politiker mal gegen den fachlichen Rat aus seinem Haus entscheidet (was vorkommen soll, sogar beim aktuellen Finanzminister Gerald Heere ist es schon vorgekommen), dann hält man sich besser zurück. Man kann intern von etwas abraten oder zu etwas anderem zuraten, doch damit hat es sich dann auch. Hält man eine politische Weisung – des Herrschers – für rechtswidrig, dann muss der Beamte – unabhängig vom Gewicht seiner Machtstellung – widersprechen und das zu Protokoll geben. Anschließend muss er aber dem Herrscher Gehorsam erweisen, denn nur so funktioniert die Verwaltung. Besonders schlau stellen es die Mächtigen an, die den Herrschern eine Idee so verkaufen, dass der Herrscher meint, es sei seine Idee gewesen – und diese dann entsprechend energisch vertritt.
Im heutigen Rundblick porträtieren wir diese einflussreiche, teilweise geheimnisumwobene Leiterin der Haushaltsabteilung. Außerdem befassen wir uns mit den aktuellen Sorgen der Biogas-Branche und mit einem aktuell bekannt gewordenen Missbrauchsfall in der evangelischen Kirche, der Zweifel am Aufklärungswillen der Kirche weckt. Und wir berichten kurz über den Fahndungserfolg zu einer früheren RAF-Terroristin.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag mit möglichst vielen herrschaftsfreien Diskursen,
Klaus Wallbaum