Der Titel der Studie, die heute in den Gremien der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) vorgestellt wird, klingt nüchtern und sachlich: „Niedersächsische Arbeitgeberverbände nach 1945 – UVN und INW“. Der Untertitel – „Führende Köpfe – Kontinuitäten und ein Neubeginn“ – ist auch eher fade. Was sich dahinter verbirgt, hat es allerdings in sich.
An die Spitze des Instituts der Norddeutschen Wirtschaft (INW) in Hannover wurde 1952 ein gewisser Wilhelm Stuckart berufen, der als guter Verwaltungsexperte galt. Nur: Dieser Mann war im NS-System ein einflussreicher Täter und hochgradig belastet. Er hatte als Staatssekretär im Erziehungs- und später im Innenministerium gewirkt, gehört zu den Hauptakteuren der „Wannsee-Konferenz“, in der 1942 hohe SS-Funktionäre über die „Endlösung der Judenfrage“ berieten. Nun mag man sagen: Anfang der fünfziger ahre war die Entnazifizierung gescheitert, es herrschte der Kalte Krieg und die Bewältigung der Vergangenheit interessierte kaum jemanden. Richtig. Nur: War das ein Freibrief, einen Mann wie Stuckart an die Spitze einer wichtigen Arbeitgeberinstitution zu berufen? Zumal Stuckart zu jener Zeit verzweifelt bemüht war, seine braune Vergangenheit loszuwerden und in bürgerlichen Kreisen akzeptiert zu werden.

Noch mehr Fragen tauchen auf: Angeblich soll Stuckart empfohlen worden sein von Otto Fricke, einem der mächtigsten Politiker der Niedersachsen-CDU in den fünfziger und sechziger Jahren. Ein CDU-Spitzenpolitiker als Wegbereiter für den Wiederaufstieg eines der wichtigsten NS-Verwaltungsexperten? Über das Wirken von Stuckart in den Arbeitgeberorganisationen ist offenbar nur wenig bekannt, was auch daran lag, dass er schon wenige Monate später, im November 1953, bei einem Autounfall ums Leben kam. Aber die Merkwürdigkeiten gehen noch weiter. In der Studie, über die die UVN-Gremien heute beraten, wird auch die fragwürdige Rolle des von Stuckart geleiteten INW in jener Zeit berichtet: Das INW soll in den Fünfzigerjahren vor allem dazu gedient haben, Wirtschaftsspenden aufzunehmen – und so zu tarnen, dass sie als monatliche Mitgliedsbeiträge an die CDU, die DP und die FDP in den Büchern auftauchten. Inwieweit das schon damals illegal war, zu einer Zeit, als die Parteienfinanzierung gesetzlich längst nicht so detailliert geregelt war wie heute, ist offen. Ein findiges, verschleierndes und moralisch verwerfliches Geschäft war es auf jeden Fall. Und als Stuckart von Fricke an die INW-Spitze gerufen wurde, profitierte zusätzlich noch eine weitere Partei von dem System – der „Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE), in dem Stuckart aktiv war. Der BHE war in Teilen ein Sammelbecken alter Nazis gewesen – und er war zeitweise Koalitionspartner der SPD, die nun gar nicht zu den Profiteuren des INW zählte.
Das alles ist zwar nicht neu, gerät aber jetzt durch die aktuelle Untersuchung des UVN wieder ins Blickfeld. Dank an die UVN, dass sie diesen Schritt gegangen sind und sich den braunen Flecken auf der weißen Weste stellen. Die CDU sollte die Untersuchung des UVN zum Anlass nehmen, die Rolle von Fricke (der „Kaiser Otto“ genannt wurde) selbst noch einmal aufzubereiten – womöglich in Kooperation mit Wissenschaftlern. Das Agieren ihres einstigen Spitzenmannes ist für die Christdemokraten alles andere als ein Ruhmesblatt, deshalb sollte die Partei daraus lernen und in weitestgehender Transparenz das Wirken ihres einstigen Anführers beleuchten. Die SPD hatte vor einigen Jahren ein ähnliches Thema zu bewältigen, als es um die Rolle des ersten Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf in der Zeit des Zweiten Weltkriegs ging. Eine Historikerin schrieb eine ausführliche Biographie und legte den Finger in die Wunde. Leider endete das bei den Sozialdemokraten damit, dass die Büste des ersten Regierungschefs aus dem Landtag verbannt und der Platz vor dem Parlament, der bis dahin seinen Namen trug, umbenannt wurde. Mehr passierte nicht. Aufarbeitung sollte besser aber nicht zur Verdrängung der Geschichte führen, sondern im Gegenteil zur Vertiefung der Diskussion über das Geschehene. Das Auslöschen von Namen dient dem Vergessen, nicht dem Bewusstwerden.
Neben der UVN-Studie befassen wir uns in der heutigen Ausgabe mit diesen Themen:
Der neue Landespflegebericht schlägt Alarm: Stationäre Angebote reichen bald nicht mehr aus – und in den Regionen Niedersachsens wird die Entwicklung unterschiedlich sein.
Neuer Trend für Politiker: Immer mehr Abgeordnete wählen die Form des Podcasts, um ihre Botschaften zu vermitteln.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Dienstag,
Klaus Wallbaum