Ein Ziel ist schon mal erreicht: So voll hat man eine Kirche selten gesehen wie am Dienstag, als Hannovers zweitumstrittenste Innovation (nach Oberbürgermeister Onays autoarmer Innenstadt) eingeweiht wurde. Und auch am Tag danach strömen Schaulustige in die Marktkirche zum – ja, wie wird es wohl künftig genannt werden, das neue Fenster? „Lüpertz-Fenster“ nach seinem Schöpfer? Der Künstler, der sonst für schillernde Auftritte bekannt ist, stand bisher ein wenig im Schatten hinter dem verhinderten Spender Gerhard Schröder und dem klagenden Architekten-Nachfahren, der der Marktkirche für immer den Bauzustand der Nachkriegsjahre verordnen wollte.

Der Altkanzler, der das Fenster nicht finanzieren durfte und dessen Spende ausgerechnet in die Ukraine umgeleitet wurde, saß beim Festakt in der ersten Reihe. „Wir sind in der Kirche und da muss man ja verzeihen“, sagte er milde dem NDR. Es spricht einiges dafür, dass es doch irgendwie ein „Schröder-Fenster“ bleiben wird.
Oder bleibt es das „Fliegen-Fenster“? An den fünf dargestellten Fliegen entzündete sich diejenige Kritik, die am ehesten inhaltlich begründet war. Auf dem fertigen Fenster wirken sie überraschend dezent. Die Kolumnistin zumindest musste eine Weile suchen, bis sie die fünfte Fliege entdeckt hatte. Und die Kirche wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht auch an Fliegen etwas Nettes und Nützliches entdecken würde: Fliegen bestäuben Erd- und Brombeeren und sehen dabei noch gut aus, erklärt ein Info-Quader. Trotz dieser Sympathie-Punkte müssen sie auf dem Fenster das Böse symbolisieren, mit dem Martin Luther ringt.

Denn eigentlich ist es ja ein „Reformations-Fenster“. Luther ist hier nicht der dynamische Reformator und nicht der finstere Antisemit, als der er in den vergangenen Jahren oft kritisiert wurde, sondern ein Verängstigter mit panisch aufgerissenen Augen. Hält die Kirche diesen passiven Luther aus? Wie einen Tätigkeitsnachweis hat man gegenüber doch noch die 95 Thesen angepinnt – nebst der Einladung, eigene Thesen an die Kirchentür zu heften. Die Besucher diskutieren angeregt über das Fenster und die Fliegen, doch an der vorgesehenen Stelle pappt – Stand Mittwoch Mittag – noch keine müde These. Also, falls Sie Ideen haben, was in der Kirche zu reformieren wäre: Kommen Sie vorbei, Klebezettel sind vorhanden!
Ein paar Denkanstöße jenseits des Kirchenturms haben wir heute für Sie:
- Soll man die Vergütung von Betriebsräten per Gesetz regeln?
- Muss die Klosterkammer ein sozialer Vermieter sein?
- Gehören Handys an Grundschulen verboten?
Ich wünsche Ihnen einen diskussionsfreudigen Donnerstag!
Ihre Anne Beelte-Altwig