TagesKolumne: Der bunte Hinweisgeber
Jede Redaktion lebt von den Hinweisen aufmerksamer Zeitzeugen, die ihr Wissen weitergeben wollen. Manche dieser Botschaften sind eher für einen begrenzten Kreis an Lesern interessant, andere sind oft sehr persönlich gefärbt – und wieder andere sind ausgesprochen brisant und können politisch einiges bewegen. Am vergangenen Mittwoch kam ein Lebewesen über die Dachterrasse in die Redaktion, das wir dort nicht erwartet hatten: ein grün-gelber Wellensittich. Als wir ihn am Abend in unserem Konferenzraum entdeckten, sagte er nur „Pieep – Piep“ und flog im Zimmer umher. Eine Minute später war er wieder draußen, und kurze Zeit darauf entschwunden.
Was wollte das Tier uns sagen? Meine Kollegen und ich sind der Vogelsprache nicht mächtig. Vielleicht könnten wir die Äußerung einer Amsel oder Kohlmeise interpretieren, aber die Laute von Wellensittichen? Hängt der Besuch vielleicht mit dem an diesem Tag von uns berichteten „Niedersächsischem Weg“ zusammen, der einen Ausgleich von Umweltschützern und Landwirten erreichen soll, damit die Natur auf den Feldern mehr Raum bekommt? Das wäre zu einfach – und außerdem interessieren sich Wellensittiche vermutlich eher weniger dafür. Oder stammt das exotische Tier aus einem Politikerhaushalt und hat etwas über die neuesten personellen Veränderungen in der Staatskanzlei gehört? „Das wäre zu intern“, meinte eine Kollegin. Wollte es die jüngst vorgestellte Studie zur Industrieentwicklung in Niedersachsen kommentieren? Das wäre zu pauschal, zu allgemein und für einen Vogel doch noch nicht Grund genug, den langen Weg in eine Redaktion anzutreten.
Daher liegt die Vermutung nahe, dass unser Hinweisgeber aus Wolfsburg kommt. Er hat vorige Woche am offenen Fenster der VW-Vorstandsetage zugehört und mitbekommen, wie es um Deutschlands größten Autobauer wirklich steht. Wo Ministerpräsident und Aufsichtsrat, Betriebsrat und IG Metall bis heute im Nebel stochern und ungeduldig werden, weiß unser Kanarienvogel schon viel mehr. Das wollte er, natürlich in seiner Sprache, uns übermitteln. Wenn das tatsächlich so war, und das wollen wir an dieser Stelle mal glauben, dann ist der Vogel im besten Glauben entschwunden, seine Nachricht bei uns gut platziert zu haben. Nur leider rätseln wir in der Redaktion noch immer, wie wir dieses „Pieep – Piep“ übersetzen sollen.
Ein paar Varianten dazu bieten wir in der heutigen Ausgabe an:
◼ IG-Metall-Chefin Christiane Benner zeigt sich kooperativ in der neuen VW-Krise. „Wir sollten nichts ungenutzt lassen an Ideen“, sagte sie in Hannover. Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen jedoch müssten vermieden werden.
◼ , Präsident der Landwirtschaftskammer, stellt der Erntebilanz eine „3 minus“ aus. Nach dem feuchten Jahresbeginn mit viel Hochwasser sei es zwar entspannter geworden – aber für „gut“ reicht das Urteil noch nicht.
◼ Wirbel um das VW-Gesetz: Wenn es jetzt um die Zukunft von VW geht, wird zunehmend auch eine heikle Frage diskutiert: Haben der Staatseinfluss und die faktische Standortgarantie für die niedersächsischen Werke dazu geführt, dass die VW-Kernmarke zu teuer und zu unflexibel geworden ist? Der Ministerpräsident sieht das nicht so.
Zum Abschluss noch eine Botschaft an unseren gefiederten Freund und Hinweisgeber: Die Tür zur Terrasse bleibt an sonnigen Tagen weiter offen, er darf gern wieder kommen. Vielleicht verstehen wir ihn dann besser.
Klaus Wallbaum
Dieser Artikel erschien am 06.09.2024 in der Ausgabe #154.
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