Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag ist vorbei und in Hannover kehrt wieder Ruhe und Alltag ein. Doch die vergangenen fünf Tage herrschte in Niedersachsens Landeshauptstadt der Ausnahmezustand – im besten Sinne. Anne Beelte-Altwig, Klaus Wallbaum und ich haben das bunte Treiben für Sie – und vielleicht auch ein bisschen für uns selbst – aufmerksam verfolgt. Als teilnehmende Beobachter waren wir beim Abend der Begegnung und beim Segen zur Nacht dabei, haben bei Kundgebungen und Gottesdienste genau hingehört, haben Bibelarbeiten und Podiumsdiskussionen besucht. Auch das ist Kirchentag.

Aber beim besten Willen: Wir konnten nicht überall sein. Rund 1500 Programmpunkte haben die Veranstalter zusammengetragen. Und dann gab es noch jene Ereignisse, die nicht im Programm standen: die sich spontan ergaben, die man bei der Planung übergangen hat oder die gezielt außerhalb des Offiziellen organisiert wurden. Für mich waren das fünf Tage „fomo“ – fear of missing out. Die permanente Angst, irgendetwas zu verpassen. Da hilft nur, sich klarzumachen: Kein Teilnehmer konnte das Ganze sehen und keine Redaktion war groß genug, um überall zugleich zu sein. Das schafft wohl nur der Heilige Geist. Auch das ist Kirchentag.
Wo also hinschauen? Da gab es natürlich jene Auftritte, die alle sehen wollten. Der absolute Publikumsmagnet war die Trump-kritische US-Bischöfin Mariann Edgar Budde, aber auch Altkanzlerin Angela Merkel bewegte die Massen. Bemerkenswert sind aber natürlich auch die Hallen, die leer blieben. „Einsam ist es geworden um die, die an soziale Alternativen zur Rüstungsspirale glauben“, las ich beim Kollegen Volker Macke vom Asphalt-Magazin. Dazu ein Foto von vielen, vielen leeren Papphockern. Gleichzeitig errichtete ein Zusammenschluss von Friedensbewegten in den Verdi-Höfen ein „Christliches Friedenszentrum“ aus Protest zu angeblich unausgewogenen Podien auf der Messe. Auch das ist Kirchentag.
Man ist nicht immer einer Meinung. Tatsächlich wollte man den produktiven Zwist. „Wenn hier in den nächsten Tagen gestritten wird, dann ist das kein Grund zur Beunruhigung“, hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung noch gesagt. Am Sonntag dann lobten die Veranstalter, wie gestritten wurde, ohne dem Gegenüber das Menschsein abzusprechen. Überhaupt sind Kirchentagsbesucher ausgesprochen nett und höflich. Wenn es eng wird, drängelt man nicht. Man meckert nicht über überfüllte Stadtbahnen, man singt! Auch das ist Kirchentag.
Und dann waren da auch noch die vielen Helfer, allen voran die Pfadfinder, die überall in der Stadt die Menschenmassen durch die engen Gassen manövrierten. Stets gut gelaunt, obwohl häufig arg übermüdet und nur dank Energydrinks wachgehalten, wiesen sie den grauhaarigen Schalträgern freundlich den Weg. Zu sehen, wie die Pfadis gelassen vor der Tür stehen bleiben und ihren Dienst tun, während hinter dieser Tür die Post abgeht, hat mich berührt. Es macht was mit einem, wenn man in einer Ellenbogen-Gesellschaft plötzlich von Menschen umgeben ist, denen man getrost unterstellt, einfach nicht mit ausgefahrenen Ellenbogen unterwegs zu sein. Eine Utopie? Auch das ist Kirchentag.
Was also bleibt von diesem Kirchentag in Hannover? Vielleicht drei Dinge: Die Idee von einem anderen Miteinander. Die Hoffnung auf den guten Streit. Und mindestens ein Ohrwurm.
Für alle, die vorm Kirchentag geflohen sind, die andere Verpflichtungen hatten oder die einfach nicht überall sein konnten, haben wir ein paar politische Highlights herausgesucht und aufgeschrieben. Im heutigen Rundblick lesen Sie über die Bibelarbeiten von Stephan Weil und Angela Merkel, über die Festung Europa, den Tag der Arbeit, Julia Klöckner, Olaf Scholz, Belit Onay und vieles mehr.
Starten Sie mutig, stark und beherzt in die neue Arbeitswoche!
Ihr Niklas Kleinwächter