23. Apr. 2023 · 
Inneres

Banken fühlen sich in die Ecke gedrängt: „Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr“

Tun die niedersächsischen Institute der Bankenwirtschaft genug, um Automatensprengungen zu verhindern? Bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Vom Innenministerium in Hannover wurde bereits ein Bundesgesetz ins Spiel gebracht, weil der Eindruck entstanden war, dass die Banken zu langsam und zögerlich die Sicherungsmaßnahmen ihrer Automaten anpassen. Die Geldinstitute fühlen sich hingegen zu Unrecht in die Ecke getrieben. „Wir sind genauso betroffen, wie die anderen. Wir wollen nicht länger als kalt und unemotional dargestellt werden und als ob uns das nicht wichtig wäre“, beschwert sich der Präsident des Sparkassenverbandes Niedersachsen (SVN) Thomas Mang. Sobald ein Automat gesprengt wird, zeige man reflexartig auf die Banken und beschuldige sie, indirekt Schuld am Vorfall zu sein. „Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr der besonderen Art“, sagt Mang dem Politikjournal Rundblick: „Kein Mensch hat gerne einen Schaden an seinem Eigentum und versucht, das dann über eine Versicherung zu lösen.“

SVN-Präsident Thomas Mang ärgert sich über die Dauerkritik an den Banken. | Foto: Struck

Nachdem in den Niederlanden die dort rund 800 Bankautomaten umgerüstet wurden, wichen die Täter vor ein paar Jahren immer stärker auf Deutschland aus. „Die hiesigen Strafverfolgungsbehörden sind sehr spät eingestiegen“, kritisiert Mang. Die Polizei und Politik hätten sich hingegen eine schnellere Umrüstung der Automaten von Seiten der Bank gewünscht. In der Bundesrepublik stehen an die 55.000 Bankautomaten, davon werden rund 2200 Automaten in Niedersachsen alleine von den Sparkassen betrieben. Hinzu kommen weitere Automaten der Volksbanken sowie weiterer Institute. „Zu unserer kommunalen Daseinsvorsorge gehört ein möglichst flächendeckendes Netz mit Automaten“, sagt Mang. Die Entscheidung, einige Automaten zurückzubauen, fälle man deshalb nicht leichtfertig. Komplett ausbleiben werde diese Option in der weiteren Diskussion aber nicht, ist sich der SVN-Präsident sicher. 

Im September 2021 wurde ein Geldautomat auf einem Parkplatz in Riepe (Landkreis Aurich) gesprengt. Ein Jahr später hat die Polizei zwei Verdächtige aus den Niederlanden festgenommen. | Foto: Polizeiinspektion Aurich/Wittmund

Aktuell setze man auf andere Sicherheitsmaßnahmen wie Videoüberwachung oder Färbetechnik. „Erfahrungen aus benachbarten Ländern, wie beispielsweise den Niederlanden, haben gezeigt, dass nach Umsetzung der Sicherungs- und Präventionsmaßnahmen ein deutlicher Rückgang der Fallzahlen eingesetzt hat“, heißt es dazu vom niedersächsischen Innenministerium. Nachdem die Zusammenarbeit mit den Bankenvertretern ab Frühjahr 2022 erneut intensiviert worden sei, habe man bei einem Gespräch im Juni mit Vertretern der Bankenverbände „insbesondere mögliche Präventionsmaßnahmen erörtert und die Vereinbarung einer Sicherheitskooperation vorbereitet“. Ergebnis dieser Gespräche sollte eigentlich eine Sicherheitskooperation sein, die alle Parteien unterschreiben wollten. Aber es kam bisher nicht dazu. Stattdessen wurde nach einem „Runden Tisch“ eine gemeinsame Erklärung auf Bundesebene unterschrieben, in der sich die Banken zu mehr Sicherungs- und Schutzmaßnahmen verpflichten.

Auf Landesebene traf sich in der vergangenen Woche Innenministerin Daniela Behrens (SPD) mit Vertretern der niedersächsischen Banken- und Sparkassenverbände. Ein nächstes Treffen soll im Juni folgen. Anders als in den Wintermonaten wirkte die Kommunikation sachlicher, gegenseitige Schuldzuweisungen blieben aus. Auch SVN-Präsident Mang bezeichnet die Gesprächsrunde als „ordentlich“ und hofft nun auf eine Versachlichung der Diskussion. „Wir haben einen exzellenten Austausch mit den Polizeibehörden. Mit der Ministerin hat es sich verbessert“, sagt Mang und spielt damit auf die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Innenminister Boris Pistorius vor seinem Wechsel ins Bundeskabinett an. 

„Wir befinden uns voll im Soll, was wir auf Bundes- und Landesebene besprochen haben“, sagt SVN-Präsident Thomas Mang. | Foto: Struck

Für Einsätze bei Automatensprengungen gibt es allgemeine Handlungsempfehlungen für die Polizeibeamten, wobei das Landeskriminalamt (LKA) auch mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zusammenarbeitet. „Das wird mit zunehmendem Kenntnisstand angepasst und fortlaufend weiterentwickelt“, sagt Felix Keldenich, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Ein Hilfswerkszeug bei der Sicherung der Geldautomaten kann die Gefährdungsanalyse sein, in die unter anderem Aspekte wie der Standort des Automaten einfließen. Ins Detail gehen möchte Keldenich nicht, um den Tätern keine Tipps zu geben. Auf der Gefährdungsanalyse aufbauend werden die Automaten umgerüstet. Zwischen 80 und 90 Prozent ihrer Bankautomaten haben die Sparkassen bereits einer solchen Gefährdungsanalyse unterzogen, heißt es dazu vom Sparkassenverband Niedersachsen. „Unser Ziel sollte es aber sein, dass die Automaten flächendeckend so gesichert sind, dass es sich für die Täter nicht mehr lohnt“, betont Keldenich.

Felix Keldenich, Pressesprecher der Gewerkschaft der Polizei Niedersachsen | Foto: GdP

Bei den Sicherheitsmaßnahmen unterscheidet man zwischen baulichen, mechanischen, elektronischen und organisatorischen Umrüstungen. Bauliche Maßnahmen können im Prinzip nur dann durchgeführt werden, wenn die Bank Eigentümer des Gebäudes ist. Das trifft nur in rund der Hälfte aller Fälle zu. Welche baulichen Maßnahmen jeweils speziell passieren, muss geprüft werden. Die Umsetzung dürfte dann mehrere Monate dauern. Zu mechanischen Umrüstungen zählen der Aufhebelungsschutz und Rollläden, zur elektronischen Umrüstung gehören etwa der Einsatz von Videotechnik und Färbesystemen sowie die unmittelbare Alarmmeldung an die Polizei. Unter organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen versteht man das nächtliche Schließen der Automaten oder auch die Bereitstellung von weniger Geld – zwei Empfehlungen von Mang. Den Automaten für die Nacht komplett zu entleeren und morgens wieder zu befüllen sei jedoch eine Maßnahme, von der er wenig halte, sagt Mang. 

Thomas Mang spricht mit Audrey-Lynn Struck über die Probleme beim Geldautomaten-Umrüsten. | Foto: Michael Schier

„Wir befinden uns voll im Soll, was wir auf Bundes- und Landesebene besprochen haben“, erklärt der Sparkassen-Präsident. Mehr als 80 Prozent der Automaten in Niedersachsen seien mittlerweile mit Videotechnik und Alarmsicherung ausgestattet und hätten je nach Bedarf einen Nachtverschluss. Lediglich bei den Nebelsystemen und den Färbesystemen habe man noch Quoten unter 50 Prozent. „Bei der Verfärbetechnik wären wir gerne weiter“, gibt Mang zu. Doch bisher machen dem insbesondere Lieferengpässe einen Strich durch die Rechnung. „Nach heutigem Stand ist das Schutzniveau der Geldautomaten aus polizeilicher Sicht noch nicht zufriedenstellend“, sagt der Pressesprecher des Innenministeriums, Oliver Grimm. Die am 18. April vorgestellten Prognosen der niedersächsischen Banken und Sparkassen ließen aber eine neue Dynamik bei der Nachrüstung erkennen. „Die einzige Null steht bisher bei der Verklebetechnik, weil sie nicht zugelassen ist, zusätzlich muss die Verklebetechnik noch zertifiziert werden", erklärt Mang. 



Die Bundesbank hatte bisher, anders als bei verfärbten Scheinen, verklebte Scheine nicht umtauschen wollen. Das soll sich nun ändern. Damit ist die Bundesregierung am Zug, die die Verklebetechnik zertifizieren muss. Denn aktuell ist die Technik aus gesundheitlichen Bedenken verboten, insbesondere für die Mitarbeiter bei der Befüllung der Automaten. „Da in anderen europäischen Ländern bereits Verklebetechnik zum Einsatz kommt, ist eine Zertifizierung entsprechender Systeme offensichtlich möglich. Auch in Deutschland sollte diese Technik aus unserer Sicht daher schnellstmöglich zur Verfügung stehen“, betont Grimm. Auch die GdP hält die Verklebetechnik für eine sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen und macht sie mit für die schlagartige Verbesserung der Lage in den Niederlanden verantwortlich.

Zusätzlich zu einer Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen setzen die Sparkassen auf eine weitere Strategie im Kampf gegen die Automatensprenger: Kooperationen. „Wir beschaffen mit den Genossenschaftsbanken Automaten, die wir gemeinsam betreiben wollen“, sagt Mang. Damit knüpfen die Sparkassen an ein Vorgehen an, das teilweise schon im ländlichen Raum zum Einsatz kommt. Ein gemeinsamer Automat halbiert nicht nur die Kosten für die Anschaffung eines Automaten, der zwischen 30.000 bis 50.000 Euro kostet – in der Standardausführung ohne besondere Sicherheitsmaßnahmen. Auch an Kosten für eine mögliche spätere Umrüstung, die Miete und zusätzliches Personal wird so gespart.

Anfang Februar 2023 haben Unbekannte einen Geldautomaten in Bad Sachsa (Kreis Göttingen) gesprengt. | Foto: Polizeidirektion Göttingen

Sollten die Sicherheitsmaßnahmen nicht konsequent oder schnell genug umgesetzt werden, droht eine Bundesratsinitiative aus Niedersachsen. Das hatte Innenministerin Behrens angedeutet. Nach der vergangenen Gesprächsrunde mit den Banken hatte Behrens jedoch den Druck wieder etwas rausgenommen und betont, dass man noch nicht an diesem Punkt sei. „Die Landesregierung behält sich auch weiter eine entsprechende Bundesratsinitiative vor“, heißt es vom Innenministerium in Hannover. Der Präsident des Sparkassenverbandes Niedersachsen sieht ähnlich wie seine Berufskollegen ein bundesweites Gesetz kritisch. „Wir sind keine Freunde von einem Gesetz. Gesetzliche Vorschriften müssen gut durchdacht werden. Eine faktische Nicht-Umsetzbarkeit führt zu Schließungen“, warnt Mang. Bis sämtliche bevorstehenden Sicherungsmaßnahmen erfolgt sind, dürfte es noch eine Weile dauern. Erschwerend zu personellen Engpässen bei den handwerklichen Dienstleistern kommen Lieferengpässe hinzu. Alleine die Lieferzeit für den Farbstoff betrage aktuell 15 in etwa Wochen, berichtet Mang.

Die Polizei hat mittlerweile einige Male bereits die hauptsächlich aus den Niederlanden stammenden Täter schnappen können. Die Täter zeichnen sich durch hohe Professionalität und Skrupellosigkeit aus, wie Keldenich schildert. „Es ist pures Glück, dass es bisher nicht noch mehr Verletzungen gab“, sagt Keldenich. In Melle waren im Februar zwei Polizisten und eine Polizistin im Rahmen einer Verfolgung verletzt worden. Die Täter kümmert es nicht, ob darüberliegende Wohnungen bei einer Explosion in Mitleidenschaft gezogen werden könnten oder es zu Unfällen auf den Landstraßen kommen kann, wenn sie bei Verfolgungsjagden das Fahrzeuglicht ausschalten. „Es gibt Trainingszentren, die in den Niederlanden gefunden wurden, wo die Täter das Sprengen von Automaten üben“, weiß der GdP-Pressesprecher. 

Im Juni 2021 haben unbekannte Täter diesen Geldautomaten in Kalefeld (Kreis Northeim) gesprengt. | Foto: Polizeiinspektion Northeim

Ein wichtiger Faktor bei bisherigen Festnahmen war die Ausstattung der Polizeifahrzeuge mit Stop-Sticks. Stop-Sticks sind vergleichbar mit einem Nagelgurt, der vor das Fahrzeug der Täter geworfen werden kann, um ein Luftentweichen aus den Reifen zu ermöglichen und das Fahrzeug so kontrolliert zu stoppen. In einigen Fällen würden Kollegen auch mit Stop-Sticks positioniert, wenn sich ein Fluchtweg schon abzeichnet. „Noch sind die aber nicht in jedem Fahrzeug standardmäßig vorhanden“, sagt Keldenich. Sein Wunsch: die Ausrüstung der Polizei muss weiter verbessert werden – auch personell. „In der niedersächsischen Polizei wurden in der vergangenen Legislaturperiode so viele neue Stellen geschaffen, wie nie zuvor. Aber auch der Aufwand ist gestiegen. Darum ist leider in den Einsatz- und Streifendiensten in der Fläche nicht so viel davon angekommen."

Dieser Artikel erschien am 24.4.2023 in Ausgabe #074.
Audrey-Lynn Struck
AutorAudrey-Lynn Struck

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