Südniedersachsenprogramm: Geniale Idee oder ein Schuss in den Ofen
Der Harz ist in der Krise. Der Kreis Goslar und der Altkreis Osterode leiden massiv unter Überalterung und Bevölkerungsverlust. Holzminden, Northeim und dem Göttinger Land geht es nicht viel besser. Die Landschaft ist wunderschön, aber der Tourismus kommt vielerorts nicht richtig in Gang. Wir blicken heute auf das „Südniedersachsenprogramm“, das von der rot-grünen Landesregierung vor zwei Jahren gestartet wurde.
Ein Verdienst kommt der Landesregierung auf jeden Fall zu, gleich, von welcher politischen Warte aus die Sache beurteilt wird. Rot-Grün allgemein und Ministerpräsident Stephan Weil im Besonderen haben das Thema Südniedersachsen immer wieder auf die Tagesordnung gebracht. Im Februar 2015 wurde das Programm „der Region übergeben“, heißt es im offiziellen Sprachgebrauch der Regierung. Damit wird klar: Das „Südniedersachsenprogramm“ ist ein Projekt aus der Staatskanzlei, das von Hannover aus als Hilfsmaßnahme in den strukturschwachen Süden des Landes gegeben wird.
Was aber verbirgt sich konkret dahinter? In den vergangenen Jahren war immer wieder von einem Manko berichtet worden. Die armen Kommunen in Südniedersachsen mit ihren hohen Defiziten in den Haushalten zählten selten zu den ersten, die begehrte EU-Förderprogramme beantragten. Das lag unter anderem daran, dass jede Kommune ihren Eigenanteil aufbringen muss, wenn Förderungen anstehen – und schon der überfordert viele Stadt- und Kreisetats. So waren die vergleichsweise reicheren Kommunen im Westen Niedersachsens oft schneller mit ihren Förderanträgen, und am Ende auch erfolgreicher. Im Süden, so der Eindruck, ist Hilfe des Landes bei solchen Projekten erforderlich. Ministerpräsident Weil hat nach dem Wahlsieg 2013 rasch gehandelt. Die Regionalpolitik wurde zur Chefsache, sie ist heute als Abteilung in Weils Staatskanzlei unter Sonder-Staatssekretärin Birgit Honé angesiedelt. Es wurden vier gut bezahlte Landesbeauftragte für die Förderung der vier Regionen des Landes (entsprechend den alten Regierungsbezirken) berufen, für Braunschweig und Südniedersachsen ist es in erster Linie Matthias Wunderling-Weilbier, einst Landrat von Helmstedt. Auch ein „Projektbüro Südniedersachsen“ wurde eingerichtet, und zwar in Göttingen. Leiterin ist Ulrike Witt, ehemals Büroleiterin des damaligen Wissenschaftsministers und heutigen SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann – eine Frau mit vielen Kontakten in der Hochschulbranche.
In der Praxis ist das Südniedersachsenprogramm nun vor allem viel Kommunikation: Ein Steuerungsausschuss aus Landesbeamten und Kommunalpolitikern wurde gebildet, im Kontakt mit Unternehmen (IHK und Verbände) und Wissenschaftlern (Uni Göttingen, Hochschule Hildesheim, TU Clausthal) wurde ausgelotet, welche Förderprojekte möglich sind und welche angepackt werden könnten. Wenn sich ein Landkreis früher nicht getraut hätte, weil der notwendige kommunalen Eigenanteil abschreckend hoch wirkte, so öffnet die enge Abstimmung in den verschiedenen Gesprächskreisen nun neue Möglichkeiten. Projekte können mit anderen in Nachbarkommunen abgestimmt werden, das Land kann helfend eingreifen oder Überzeugungsarbeit leisten. Zunächst hatte man 140 Ideen gesammelt, daraus wurden 67 mögliche regionale Projekte geformt. 25 Projekte, so teilen Wunderling-Weilbier und Witt mit, sind inzwischen beantragt worden, 17 davon wurden ganz oder teilweise bewilligt – das ist ein Umfang von 68 Millionen Euro.
Die Harz-Serie im Rundblick:
Ein „Gesundheits-Campus“ für Göttingen zählt dazu – also die Verknüpfung von Wissenschaft, Hochschulmedizin und kommunalen Krankenhäusern. Die Bahnstrecke von Einbeck in Richtung Northeim soll reaktiviert werden, wobei das Land den finanziellen Anteil übernimmt, den normalerweise die beiden Städte hätten leisten müssen. Es geht um den Breitbandausbau, um ein Sekundärrohstoffzentrum. Vor ein paar Wochen erst wurde entschieden, dass eine Million Euro des Landes in ein Informationszentrum zu den Unesco-Welterbestätten fließen: Immerhin sind der Rammelsberg, die Altstadt von Goslar und das Oberharzer Wasserregal mit den vielen Teichen und Gräben vorbildlich für diese Region.
Zu den Projekten, über die diskutiert wird, zählt auch die bessere Verbindung von Tourismus und Naturschutz in Torfhaus. Auch die Unterstützung historischer Fachwerkstädte, die teilweise stark unter Abwanderung leiden, gehört zu den Themen, die in den Gremien des Programms erörtert werden. Die Städte Einbeck, Northeim, Hann. Münden, Osterode und Duderstadt haben sich dafür schon zusammengetan – und Aufgabe des Südniedersachsenprogramms soll es sein, diese Kooperation zu stärken. Das alles geschieht unter schwierigeren Bedingungen, denn die neuen EU-Förderrichtlinien lassen es nicht mehr so zu wie früher, Geld in den Ausbau der Infrastruktur zu stecken. Deshalb ist bei der Definition von Förderprogrammen auch viel Phantasie gefragt.
Ist also alles auf einem guten Weg? Der frühere Innenminister Uwe Schünemann (CDU) räumt ein, dass über die Südniedersachsenförderung heute viel mehr gesprochen werde als früher. Dabei habe Schwarz-Gelb aber schon bis 2013 die entscheidenden Weichen gestellt, indem etwa das kommunale Entschuldungsprogramm dazu führte, dass sich die Lage der Städte und Kreise in Südniedersachsen deutlich entspannt habe. Schünemann empfiehlt den Aufbau eines „Zukunftsfonds“ für die Region – verbunden mit der N-Bank. Strukturschwache Landkreise sollten in den kommenden fünf Jahren jeweils bis zu fünf Millionen Euro erhalten, um damit kleine und mittelständische Betriebe zu unterstützen. Der Fonds könne einen Umfang von 500 Millionen Euro haben – und das Land könne das Geld aufbringen, indem es eine großzügige Verwaltungsreform auf den Weg bringt und „500 Stellen einspart“, meint Schünemann. Die Stellen der vier Landesbeauftragten und ihrer Mitarbeiter würden dazu dann auch gehören. Für die Landesregierung hingegen ist das Südniedersachsenprogramm ein Erfolgsprojekt, es sei gelungen, unter schwieriger gewordenen EU-Förderbedingungen Schwerpunkte zu bilden. Dabei ist für Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) klar, dass das Programm nicht auf kurzfristige Erfolge, sondern auf Langzeitwirkungen ausgelegt ist. (kw)