Suche nach Gewissheiten: Warum die Fraktionen derzeit runde Geburtstage feiern
In stürmischen Zeiten braucht man festen Halt – und die politischen Zeiten sind stürmisch. Mal kommt der Wind von rechts, mal von links, und immer bläst er kräftig. Wer ist besser geeignet, in solchen Momenten Zuversicht und Gelassenheit zu vermitteln, als die Altgedienten, die in ihrem langen Leben schon so viele Auf- und Abwärtsbewegungen erlebt haben und aus eigener Gewissheit sagen können: „Alles nicht so schlimm!“ Vielleicht ist das die Erklärung dafür, dass die drei von den vier Landtagsfraktionen, die schon vor 70 Jahren bestanden haben, in diesem Mai ihren 70. Geburtstag ausgiebig gefeiert haben. Erst war die SPD an der Reihe, danach die CDU, am gestrigen Sonntag folgte dann die FDP. Sie lud zu einem Festakt ins Luxus-Kino „Astor“ ein, 700 Gäste waren angemeldet. Unter ihnen waren auch einige Altvordere, die über politische Orkane nur milde lächeln können, etwa Walter Hirche oder Martin Hildebrandt. Was macht das Besondere an diesen Rückbesinnungen aus?
So hat die FDP gefeiert: Großes Pech für die Freien Demokraten: Am gestrigen Sonntag sitzen 700 Gäste in zwei Kinosälen und warten darauf, dass es endlich anfängt. Aber die Technik streikt, der Ton lässt sich nicht übertragen, am Ende muss die Vorführung zweier Filme entfallen, und die Redner müssen sich mit knarzenden Mikrophonen begnügen, die immer wieder ausfallen. „In Südkorea hätte das besser funktioniert, nur die Anfahrt dahin ist zu weit“, scherzt Moderator Martin Brüning (Politikjournal Rundblick). Darauf entgegnet FDP-Chef Christian Lindner, Hauptredner des Tages: „Die Techniker können jedenfalls froh sein, dass wir nicht in Nordkorea sind.“ Lindner redet viel von Eigenverantwortung, vom Erbe Ludwig Erhards, das eher der FDP als der CDU zustehe, und von der Gefahr des Bürokratismus, der sich in der Mietpreisbremse ebenso ausdrücke wie in der Subvention für erneuerbare Energien und im Klimagesetz. Was sich an die Rede anschließt, ist ein wahres Liebeswerben von Vertretern anderer Parteien an die Adresse der FDP.
[caption id="attachment_17573" align="aligncenter" width="780"] 70 Jahre FDP Niedersachsen: Christian Dürr, Christian Lindner, Stefan Birkner (v.l.n.r.) - Foto: MB.[/caption]
Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU) lobt die „hervorragende Haltung“ der Liberalen, wenn es beispielsweise um Haushaltsdisziplin und Wirtschaftlichkeit gehe. Werner M. Bahlsen vom CDU-Wirtschaftsrat erklärt, 80 Prozent seiner Mitglieder würden die FDP im Bundestag vermissen. In einer Podiumsdiskussion erklärt Anja Piel, Grünen-Fraktionschefin, in der Sicherheits- und Europapolitik sehe sie sich sehr nah bei der FDP. Reinhold Hilbers (CDU) sagt, seine Partei und die FDP würden „ganz viele Punkte verbinden“, während FDP-Landeschef Stefan Birkner sich etwas ziert und meint: „Wir haben gelernt, dass die FDP in Koalitionen erkennbarer sein muss und stärker eigene Projekte durchsetzen muss.“ Aufschlussreich tritt Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) auf, der meint, mit vielen seiner Positionen „mehr Applaus bei der FDP als bei den Grünen“ zu bekommen und „ganz viele verbindende Elemente mit den Kollegen von der FDP“ zu haben. Fazit der Veranstaltung: Irgendwie schätzen, ja mögen alle die FDP – und das ist vor wichtigen Wahlen kein schlechtes Zeichen.
https://soundcloud.com/user-385595761/lindner-liberale-parteien-profitieren-von-autoritaren-bewegungen
So hat die SPD gefeiert: Als die Sozialdemokraten am 8. Mai zusammenkamen, und zwar im historischen Alten Rathaus neben der Marktkirche, war ein klarer Bezugspunkt erkennbar: Das Land Niedersachsen, in dem die Sozialdemokraten immer stärker, geschickter und erfolgreicher waren als in anderen Teilen Deutschlands. Ganz offen drückte das der Hauptreferent des Tages aus, der zugleich der bekanntestes niedersächsische SPD-Politiker weltweit ist – Gerhard Schröder. Schröder schwärmte darüber, wie effektiv niedersächsische Sozialdemokraten als Wahlkämpfer sind, wie gut das Miteinander im niedersächsischen Landtag – auch über Parteigrenzen hinweg – funktioniert, wie stolz die Genossen auf die Geschichte sein können. Denn sieben der elf Ministerpräsidenten, die es in Niedersachsen gab und gibt, waren Sozialdemokraten. Die längste Zeit in der Landesgeschichte wurde unter SPD-Regierungsführung gestaltet. Besinnung auf die Erfolge in Niedersachsen kann Zuversicht bringen für den Landtagswahlkampf – steht es doch im Kontrast zu der krassen Talfahrt der Bundes-SPD nach dem anfänglichen Höhenflug rund um die Nominierung von Martin Schulz.
Möchten Sie den Inhalt von www.facebook.com laden?
Noch etwas ist auffällig bei der SPD: In dem historischen Büchlein, das von der Landtagsfraktion herausgegeben wurde, kommt ein früherer Fraktionschef und späterer Ministerpräsident nicht besonders gut weg – Sigmar Gabriel, der heutige Bundesaußenminister. Er gehörte auch nicht zu denen, die gekommen waren. Ein anderer dagegen, der früher nicht zu den besten Gabriel-Freunden zählte, wird gefeiert: Walter Meinhold, früherer Landtagsabgeordneter aus Hannover, der nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt und nach langer Abwesenheit erstmals wieder in der Öffentlichkeit erscheint. Familienfest-Stimmung also bei der SPD.
So hat die CDU gefeiert: Während die SPD gegenwärtig moralische Aufrüstung braucht, ist es bei der CDU eher umgekehrt – in der Partei müssen die Altvorderen Demut vermitteln, damit die Jungen nicht angesichts des bundesweiten Booms abheben und arrogant werden. Der Saal im Dormero-Hotel in Hannover ist voll, die Stimmung ist prächtig – und Fraktionschef Björn Thümler spricht vor allem über den guten Zusammenhalt der Abgeordneten untereinander. Er beschreibt anschaulich die Kameradschaft unter den Mandatsträgern, die vor allem zwischen 2003 und 2013 besonders ausgeprägt war, zu einer Zeit, als CDU und FDP das Land regierten. Kurz danach redet der Spitzenkandidat Bernd Althusmann über seine Vorstellungen nach der Landtagswahl im Januar. Das heißt: Dieses Familienfest christdemokratischer Prägung ist stärker auf die kommende Landtagswahl ausgerichtet, es soll das Wir-Gefühl heben verbunden mit der Erwartung, die CDU könne bald wieder in die begehrte Regierungsverantwortung auf Landesebene hinüberwechseln.
Möchten Sie den Inhalt von www.facebook.com laden?
Auch die CDU hat ein historisches Büchlein schreiben lassen von einem ihr eng verbundenen Historiker, und darin fällt schon auf, wie viel Platz für die Erklärung der Wahlniederlage von 2013 eingeräumt wird. Es wirkt fast so, als sehe man den Machtverlust wie einen Betriebsunfall an, der eigentlich nicht hätte passieren dürfen und für den unglückliche Umstände maßgeblich seien. Eine wichtige Person fehlt bei der CDU-Feier, sie ist wegen „anderer wichtiger Termine“ entschuldigt: Christian Wulff, der für den riesigen Wahlsieg von 2003 steht – und dem die CDU mindestens so viel zu verdanken hat wie er ihr.
Die Grünen haben übrigens nicht gefeiert, sie sind noch keine 70. Die erste Grünen-Fraktion kam 1982 in den Landtag, das war vor 35 Jahren – also sind sie halb so alt wie die anderen. Pünktlich zum FDP-Festakt beteuerte die Grünen-Landesvorsitzende noch einmal, in Treue fest zur SPD zu stehen. Warum tut sie das? Um linke Positionen in der eigenen Partei zu markieren – oder in der Hoffnung auf einen Lagerwahlkampf, der den Linken nützen könne? Die FDP jedenfalls, das ist das Signal von diesem Sonntag, ist für einen Lager-Wahlkampf wohl nicht zu haben. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #99.