Auch in Niedersachsen herrscht bei vielen Menschen eine ausgesprochene Skepsis gegenüber den demokratischen Einrichtungen und Prozessen. Gleichzeitig gibt es aber durchaus eine Bereitschaft, den anerkannten Institutionen zu vertrauen. Das folgt aus einer Untersuchung des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (IfD), die auf einer Befragung von 1001 Menschen in Niedersachsen basiert – durchgeführt von Forsa im November und Dezember vergangenen Jahres.

Matthias Micus und Florian Finkbeiner vom IfD erläuterten, dass fast die Hälfte der Befragten der Ansicht sei, die Politik ignoriere die drängendsten Probleme – oder blende sie aus. Ein Viertel meine gar, dass die Politiker nicht in der Lage seien, Antworten auf die wichtigen Fragen zu finden. Kurios sei besonders ein Umstand, betonte Micus: Viele von denen, die den Politikern die Kompetenz für die Arbeit absprächen, würden gleichzeitig hohe Erwartungen an die Politik formulieren – sie hätten gern möglichst weitreichende Vorschriften und Regeln.

Matthias Micus (Mitte) und Florian Finkbeiner (links) vom Institut für Demokratieforschung bei der Pressekonferenz in Hannover – Foto: kw

Besonders ausgeprägt sei das Empfinden einer Ungerechtigkeit. Nur zwei Prozent meinten, in Deutschland gehe es insgesamt „sehr gerecht“ zu, 37 Prozent meinten „eher gerecht“, während 27 Prozent der Ansicht seien, es gehe „eher ungerecht“ oder „sehr ungerecht“ zu. Näher aufgegliedert, was hier unter Gerechtigkeit verstanden wird, wurden die Angaben allerdings nicht. Gefragt wurde auch nach den Einstellungen der Menschen. 60 Prozent der befragten Niedersachsen meinten, Deutschland brauche eine starke Führung, an deren Vorgaben sich alle halten müssten. 57 Prozent meinten, man müsse für Recht und Ordnung „härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen“.

Gut jeder dritte Befragte hatte angegeben, die Politiker würden „gegen die Interessen der einfachen Bevölkerung handeln“. 80 Prozent gaben an, die Politiker sollten sich voll und ganz nach den Vorgaben ihrer Wähler richten – also ein imperatives Mandat ausüben, das laut Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Nur 49 Prozent der Befragten gaben an, Minderheitenrechte und das staatliche Gewaltmonopol gehörten unbedingt zur Demokratie. 20 Prozent erklärten, die Austragung von Konflikten gehöre nicht zu diesem System.

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In diesen Antworten erkennt das IfD eine große Vielfalt an Vorstellungen von Demokratie, die von der Befürwortung des repräsentativen Gedankens bis hin zu einer Weisungsgebundenheit der Volksvertreter und einer Stände-Ordnung reichten. Zur Debatte über eine im vergangenen Jahr von der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgelegten Studie zu rechtsextremen Einstellungen sagte Micus, das IfD übernehme die damals vertretene These nicht, dass autoritäre Haltungen automatisch auf einen Standort außerhalb des demokratischen Systems deuteten. Vielmehr müsse man bei vielen Antworten näher untersuchen, welche Motive und Vorstellungen bei den Betroffenen vorherrschen – und welche Reformen am System sie wirklich wollten.

Jeder dritte Niedersachse ist ein Verschwörungstheoretiker

Das IfD spricht von der Widersprüchlichkeit einiger Resultate der aktuellen Umfrage. So würde fast jeder Vierte angeben, die staatlichen Behörden würden die Bürger genau überwachen. Jeder Dritte stimme der Einschätzung zu, hinter vordergründig nicht zusammenhängenden Ereignissen stecke ein geheimer Plan, eine heimliche Macht. Auf der anderen Seite aber sind traditionelle Einrichtungen noch weit oben auf der Liste der Institutionen, denen die meisten Menschen vertrauen – 85 Prozent der Polizei, 76 Prozent dem Bundesverfassungsgericht, 62 Prozent der Landesregierung in Niedersachsen, 57 Prozent den öffentlich-rechtlichen Medien, 54 Prozent der täglichen Presse – aber im krassen Gegensatz dazu nur 4 Prozent den sozialen Medien. Die Politiker liegen bei 31 Prozent, die Unternehmen bei 28 Prozent und die Kirchen bei 26 Prozent.

Besorgniserregend ist für Micus und Finkbeiner, dass trotz der Stabilität des politischen Systems viele Menschen, die zur „arbeitenden Mitte“ gehören, für autoritäre Positionen anfällig seien. Dies geschehe vor dem Hintergrund eines relativ hohen Engagements vieler Niedersachsen in der Gesellschaft – auch in Parteien und Vereinigungen. Das schließe allerdings auch den Einsatz für rechtspopulistische oder demokratiefeindliche Organisationen mit ein.