28. Jan. 2024 · 
Gesundheit

Streit im Landtag: Wie kann man künftig den Rettungsdienst sinnvoll entlasten?

Wie soll man künftig den Rettungsdienst, der über die Rufnummer 112 alarmiert wird, sinnvoll entlasten? Ein Vorschlag kommt von SPD und Grünen. Er sieht vor, die bisherigen Angebote der Tele-Medizin aus der Pilotphase zu befreien und landesweit anzubieten. Im Kreis Goslar ist es getestet worden, dass ein Arzt nicht bei jedem Rettungseinsatz persönlich zugegen sein muss – sondern für die Diagnose per Video vom Personal des Rettungswagens zugeschaltet werden kann. Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Landtags herrschte große Einigkeit: Dieser Weg wird für richtig und angemessen gehalten, in Zeiten von Fachkräftemangel und steigenden Anforderungen an den Notdienst soll die Videotechnik verstärkt zum Einsatz kommen.

Ein Rettungswagen ist unterwegs im Einsatz. | Foto: Golda@Pixabay

Ein ergänzender Weg wird noch von der CDU beantragt: Das Modell der „Gemeindenotfallsanitäter“ (GNS), das seit bald fünf Jahren im Kreis Cloppenburg erprobt wird, solle ebenfalls aus der Probephase in einen Dauerbetrieb überführt werden. Dagegen allerdings braute sich bei den Experten Konfliktpotenzial auf. Es gibt vehemente Gegner des GNS-Modells, beispielsweise Thomas Heine vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), aber auch leidenschaftliche Befürworter wie Frank Flake, Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Oldenburg, der sich sogar als „Vater“ des Modells bezeichnet.

Was genau ist ein GNS? Der Sanitäter hat die übliche dreijährige Ausbildung, hinzu kommt eine Zusatzqualifikation. Die Idee war, dass der GNS eingesetzt wird, sobald eine Leitstelle nicht genügend Rettungswagen im Einsatz hat. Flake nannte Beispiele: Wenn jemand über Bauchschmerzen klagt, starke Erregungszustände hat – oder wenn im Altenheim ein Blasenkatheter neu gelegt werden muss. Der gängige Rettungseinsatz sieht so aus, dass ein Rettungswagen kommt, den Patienten aufnimmt, ins Krankenhaus bringt und dann nach der Behandlung wieder zurückbringt. „Das kürzen wir ab“, sagt Flake.

Frank Flake | Foto: DBRD

Der GNS lege im Altenheim selbst den Blasenkatheter neu, damit sei ein Einsatz von einer Viertelstunde erledigt. Im alten System mit Hin- und Rücktransport zur Klinik hätte das aus seiner Sicht drei Stunden gedauert. Trotz der Vorzüge teilt das GNS-Modell die Geister. So erklärte der Vorsitzende des Landesausschusses Rettungsdienst, Bernd Gerberding vom DRK: „Ich kann dazu nichts sagen, denn die Meinungen sind in unserem Gremium geteilt.“ Flake erklärt, dass der GNS in der Stadt Oldenburg 2000 bisherige Einsätze und Rettungswagen ersetze. In der Leitstelle müsse dann entschieden werden, ob der GNS reicht oder ein Rettungswagen kommen muss. Die Erfahrung in Oldenburg zeige aber, dass 70 Prozent derer, die früher ins Krankenhaus gebracht worden wären, jetzt ambulant vor Ort hätten versorgt werden können.

An dieser Stelle taucht aber das Kosten-Problem auf: Eigentlich ist für ambulante Einsätze der ärztliche Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung zuständig, der über 116117 gerufen werden kann. Tatsächlich rufen viele Leute auch für Nicht-Notfälle die Nummer 112 an. Flake hat eine pauschale Vereinbarung der Kosten zwischen KVN und Kassen vereinbart – ausgehend von der Annahme, dass etwa jeweils die Hälfte Rettungseinsätze und ambulante Versorgungseinsätze sind. In der Anhörung des Innenausschusses sagte Hanno Kummer, Landesleiter des Verbandes der Ersatzkassen (VdEK), es bestehe „die Gefahr der Doppelfinanzierung“. Die KVN-Leistung des ärztlichen Notfalldienstes sei ja schon von den Kassen finanziert, und die Kassen würden noch einmal bezahlen, wenn sie auch den GNS für die Rettungsdienste übernehmen müssten. „Ich schlage eine pauschale Aufteilung nach einer Quote vor, etwa 40 zu 60“, sagte Kummer. Ähnlich sieht es Jens Tiedemann von der AOK. Joachim Schwind vom Niedersächsischen Landkreistag (NLT) riet indes, auf eine Gesetzesinitiative des Bundes zu warten – denn Gesundheitsminister Karl Lauterbach plane genau zu diesem Punkt einen neuen Vorstoß.

Streit um Rettungsleitstellen

Sowohl Kummer vom VdEK wie auch Tiedemann von der AOK befürworteten die Idee, die Steuerung von Rettungseinsätzen verstärkt in die Hände der kommunalen Rettungsleitstellen zu legen. „Dann sind aber landesweit 29 Rettungsleitstellen zu viele“, meinte Kummer. Tiedemann ergänzte, man müsse das Recht jedes Kreises auf eine eigene Leitstelle infrage stellen. Angesichts von Personalknappheit, räumlichen Investitionen und Fachkompetenz seien größere Einheiten sinnvoll – jeweils 800.000 bis eine Million Menschen sollten von einer Leitstelle betreut werden. Mini-Einheiten für 50.000 Einwohner (Lüchow und Emden) seien nicht mehr hinnehmbar. Für die Polizei reichten etwa landesweit acht Leitstellen. Die Grünen-Abgeordnete Nadja Weippert widersprach und meinte, Größe allein sei kein Vorteil, sondern könne auch nachteilig sein – etwa wenn damit größere Ortsunkenntnis einhergehe.

Dieser Artikel erschien am 29.1.2024 in Ausgabe #016.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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