Stickstoffdioxid: Wenzel sieht den Bund in der Pflicht
Eine halbe Milliarde Euro – so viel Geld sollte nach Meinung von Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel jährlich in einem neuen Fördertopf des Bundes sein, um den betroffenen Städten bei der Einhaltung der Stickstoffdioxidgrenzwerte zu helfen. Mit dem Geld könnte der Kauf von Elektrotaxen oder Bussen mit Elektromotor gefördert werden. Auch Carsharing könnte damit unterstützt werden, wünscht sich Wenzel. Er sieht den Bund in der Pflicht, jetzt zu handeln. Denn die Städte kommen mit den Maßnahmen für mehr Luftqualität nur mühsam voran. Im Sommer 2015 hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. In Düsseldorf hat ein Gericht derweil entschieden, dass die Stadt beim Luftreinhalteplan nachbessern muss und Fahrverbote angeregt.
Jetzt also Stickstoffdioxid. Vor zwanzig Jahren wurde gegen die Ozonemissionen gekämpft; 1994 rief die rot-grüne Landesregierung in Hessen zum ersten Mal einen Ozonalarm aus. Zehn Jahre später ging es um Feinstaub, inzwischen gerät Stickstoffdioxid in den Fokus der Öffentlichkeit. Laut Umweltbundeamt sind zu hohe Konzentrationen vor allem für Asthmatiker ein Problem. Die schlechte Luft geht auf die Bronchien. Auch Pflanzen können geschädigt werden. Stickstoffdioxid entsteht vor allem durch den Verkehr. Er macht zwei Drittel der Emissionen aus, vor allem die Dieselmotoren tragen Schuld daran. Zum Vergleich: Die Industrie spielt mit nur drei Prozent bei den Ursachen kaum eine Rolle.
Grenzwerte gibt es schon seit 1999 aber viele Städte tun sich schwer damit. Im Jahresmittel soll der Grenzwert für Stickstoffdioxid 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreiten. Im vergangenen Jahr wurden die Grenzwerte in Hameln, Hannover, Hildesheim, Oldenburg und Osnabrück überschritten. In Braunschweig und Göttingen lagen sie genau beim zulässigen Grenzwert. „Die Stickstoffdioxid-Konzentration sinkt, aber nicht in dem Umfang, wie man sich das wünschen würde“, sagt Andreas Hainsch, Leiter des Lufthygienischen Überwachungssystems im Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim. Er steht neben einer grauen Box, an der viele Autofahrer auf der Göttinger Straße in Hannover täglich vorbeifahren. Die Straße ist eine wichtige Pendler-Route im Südwesten der Stadt. Dass es sich bei der Box um keinen Blitzer handelt, kann man schon an den Aufbauten auf dem Dach erkennen. Die Box ist eine von 28 Messstationen des lufthygienischen Überwachungssystems in Niedersachsen. „Auf dem Dach werden Proben entnommen und dann Stundenmittelwerte errechnet. Sie werden an die Datenzentrale in Hildesheim übertragen“, erklärt Hainsch. Die Daten sind im Internet jederzeit aktuell abrufbar. Während dieser Text entsteht, liegt der Stickstoffdioxidwert an der Göttinger Straße um 12 Uhr bei 78 Mikrogramm und ist damit fast doppelt so hoch wie der Grenzwert. In der Rush-Hour am Morgen lag er bei 113 Mikrogramm.
https://soundcloud.com/user-385595761/luftqualitat-wenzel-fordert-500-millionen-euro-programm
Das Problem könnte sich von selbst lösen, zum Beispiel durch neue Motoren, aber das würde dauern. Mit dem sukzessiven Kauf neuer Autos und den aktuellen Maßnahmen der Städte könnten Grenzwerte an manchen Stellen frühestens 2020, in besonders belasteten Gebieten allerdings erst 2030 eingehalten werden. Das hat die LAI ausgerechnet, die Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz von Bund und Ländern. Dort beraten die Abteilungsleiter der obersten Behörden, die für den Immissionsschutz zuständig sind. Bis 2030 wollen die Experten nicht warten. Es „erscheint die Planung und Umsetzung zusätzlicher, auch einschneidender Maßnahmen erforderlich, um der Forderung der Luftqualitätsrichtlinie nach schnellstmöglicher Einhaltung der NO2-Grenzwerte nachzukommen“, schreiben sie in einem Papier und listen Handlungsempfehlungen auf. Diese gehen von Umweltzonen, die nur mit der sogenannten blauen Plakette zugänglich sein dürften bis zur Steuerungsidee über der abwechselnden Fahrverbote für Autos mit gerade und ungeraden Kennzeichen. Auch eine intelligente Citymaut und höhere Steuern für Diesel sind in dem Papier aufgeführt.
Landesumweltminister Stefan Wenzel befürchtet, dass irgendwann die Gerichte entscheiden, was zu tun ist. „Dann unterliegt es nicht mehr der politischen Planung und es drohen Fahrverbote auf bestimmten Straßen“, sagt er und hält das für den falschen Weg. „Wir sollten politisch planvoll dafür sorgen, dass die Werte unterschritten werden.“ Dabei zeigt er Richtung Berlin. „Der Bund darf die Kommunen nicht im Regen stehen lassen. Er verschleppt seit längerem die notwendigen Maßnahmen.“ Schließlich habe der Bund selbst die Grenzwerte erlassen und dann nicht dafür gesorgt, dass sie durch entsprechende Regulierung auch eingehalten werden. Das sieht man auch beim Niedersächsischen Städtetag so. Stefan Wittkop vom Städtetag hält deshalb die Idee eines Förderprogramms für völlig richtig. Damit könne zum Beispiel auch die nötige Ladeinfrastruktur für Elektromobilität gefördert werden. „Der Bund muss helfen, die Regeln umsetzen“, sagt Wittkop. Jetzt ist Berlin am Zug. (MB.)