Als die Koalitionsfraktionen ihr neues Modell für die Grundsteuer vor wenigen Wochen vorgestellt hatten, lobten sie einen vorbildlichen Schritt: Niedersachsen werde bei der Berechnung der neuen Steuersätze unkompliziert und effektiv vorgehen – ganz anders als das Modell des Bundesfinanzministeriums, das einen enormen Verwaltungsaufwand nach sich ziehe. Nach der Expertenanhörung im Haushaltsausschuss nun droht Ernüchterung einzutreten. Sowohl die Vertreter der Kommunalverbände, als auch der Trierer Ökonomie-Professor Dirk Löhr äußerten massive Kritik an dem niedersächsischen Modell. Löhr nannte Teile davon sogar „unhaltbar“ und empfahl dringend, die Begründung des Gesetzentwurfes nachzubessern. Man müsse sich nämlich darauf einstellen, dass die Regeln gerichtlich angefochten werden.
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Das Bundesverfassungsgericht hatte 2018 die bisherigen Grundlagen der Grundsteuer in Deutschland verworfen. Daraufhin war auf Bundesebene ein neues Gesetz entwickelt worden, das nun auch für die Länder eine „Öffnungsklausel“ vorsieht, also die Möglichkeit zu einem Sonderweg. Obwohl die SPD eigentlich zu dem von Bundesfinanzminister Olaf Scholz vertretenen Bundes-Modell steht, das eine Verkehrswertberechnung jedes der bundesweit 36 Millionen Grundstücke vorsieht, lenkte sie auf die CDU-Linie ein und erklärte sich mit dem Ausnahmeweg einverstanden. Der „niedersächsische Weg“ sieht nun vom Verkehrswert der Grundstücke ab und peilt stattdessen eine Formel aus der Flächengröße und den jeweiligen Bodenrichtwerten an, also der Gewichtung der Qualität von Grundstücken, die von den Gutachterausschüssen in den Kommunen vorgenommen werden. Damit könne man Werte der Kataster- und Vermessungsämter nutzen, das sei für die Steuerbehörden also sehr viel einfacher, als eine Verkehrswertberechnung für die Grundstücke vorzunehmen.
Wenn die Lage eines Grundstücks etwa deshalb als gut gilt, weil das Haus am Waldrand liegt, dann hängt das nicht mit einem höheren Aufwand für die kommunale Infrastruktur zusammen.
Wie Jan Arning, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages (NST), im Ausschuss erläuterte, hat die bisherige Orientierung der Steuerbemessung am Verkehrswert des Grundstücks immerhin eine juristische Gewissheit – das Bundesverfassungsgericht habe den Maßstab als vertretbar bezeichnet. Das Landes-Modell allerdings nehme nun vor allem die Flächengröße des Grundstücks als Bezugsgröße, ergänzt mit seiner Lage innerhalb der Gemeinde. Nun sei es aber fraglich, ob man daran die Höhe der Grundsteuer ausrichten könne, denn die Grundsteuer sei ja definiert als Beitrag der Bewohner zur Finanzierung der Gemeindeleistungen. „Wenn die Lage eines Grundstücks etwa deshalb als gut gilt, weil das Haus am Waldrand liegt, dann hängt das nicht mit einem höheren Aufwand für die kommunale Infrastruktur zusammen“, hebt Arning hervor. Fraglich sei auch, warum man einem Rentner-Ehepaar in einer riesigen Villa auf großem Grundstück mehr Grundsteuer abverlange als einer fünfköpfigen Familie in einer beengten Wohnung – wenn man unterstellen könne, dass die Familie mehr kommunale Leistungen in Anspruch nehmen werde als das Rentner-Ehepaar.
Vor Gericht werden Sie später eine gute Begründung brauchen.
Ähnlich argumentierte auch Prof. Löhr aus Trier. Man könne bezweifeln, ob das niedersächsische Modell dem Anspruch des Bundesverfassungsgerichts gerecht werde, „die Relation der Wirtschaftsgüter realitätsgerecht abzubilden“. Die Kombination aus Grundstücksfläche und Bebauung halte er für ungeeignet, daraus die Nutzung der kommunalen Angebote oder auch deren Kosten abzuleiten. Aus dem niedersächsischen Modell folge die Logik, größere Grundstücke in den Vorstädten müssten höher belastet werden und würden daher die kommunale Infrastruktur stärker belasten als knapp bemessene Grundstücke in den Stadtzentren. Das sei aber nicht so. Für problematisch hält Prof. Löhr auch die Einteilung in Niedersachsen, wonach die Fläche eines Grundstücks mit vier Cent je Quadratmeter und die bebaute Fläche mit 50 Cent berechnet werden solle, also 12,5mal so stark gewichtet werden müsse. „Das ist willkürlich“, sagt der Wissenschaftler. Auch Arning vom Städtetag warnte vor einem „Ritt ins Blaue“, da die SPD/CDU-Koalition Kriterien für die Berechnung ihres Modells anwende, die weder auf Erfahrungswerten beruhten noch in anderer Weise besonders begründet seien. „Vor Gericht werden Sie später eine gute Begründung brauchen“, hob Prof. Löhr hervor.

Bernhard Zentgraf vom Steuerzahlerbund lobte das niedersächsische Konzept, das weniger Verwaltungskosten verursache als das Bundesmodell. Susanne Schmitt vom Verband der Wohnungswirtschaft kritisierte, die ermittelten Bodenrichtwerte in den Gutachterausschüssen seien häufig nicht transparent und nachvollziehbar für die Steuerpflichtigen, hier gebe es „eine Rechtsschutzlücke“. Arne Reinecke von den niedersächsischen Handelskammern teilte diese Einschätzung. Nötig seien Schritte, die Arbeit der Gutachterausschüsse „justitiabel“ auszugestalten. Mieterbund-Sprecher Reinold von Thadden erklärte, seine Organisation wolle den Bodenrichtwerten eine höhere Bedeutung beimessen, dem Faktor der Grundstücksfläche einen geringeren.