5. Juli 2021 · 
Wirtschaft

Stahlherstellung bald in Wilhelmshaven? Landesregierung brütet über „Kohlehilfen“

Es kann sich nur noch um Wochen handeln: Wenn Nordrhein-Westfalen als besonders betroffenes Bundesland die Verwaltungsvereinbarung für die Kohle-Strukturhilfen abgesegnet hat, werden die Zahlen offiziell. Dann dürfte endgültig feststehen, dass Niedersachsen einen Betrag von knapp 250 Millionen Euro zu erwarten hat – wobei 157 Millionen Euro in die Stadt Wilhelmshaven fließen sollen und 90 Millionen in den Kreis Helmstedt. Das ist, gemessen an bundesweit insgesamt 40 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2038, ein vergleichsweise geringer Anteil. Es werden hier und dort auch Fragen gestellt, warum Niedersachsens Regierung damals beim Kohlegipfel nicht besser verhandelt hat – und warum ausgerechnet Wilhelmshaven und Helmstedt herausgepickt werden und nicht gleichzeitig auch andere niedersächsische Kreise, in denen bisher Kohlekraftwerke stehen. Doch in der Landesregierung versucht man unabhängig davon gerade, diese finanziellen Perspektiven in eine strategische Planung münden zu lassen. Formal wird der Zuschuss für Wilhelmshaven damit begründet, dass hier zwei Steinkohlekraftwerke mit zusammen 500 Arbeitsplätzen ihre Tätigkeit beenden. Tatsächlich aber reifen hier Visionen, die viel weiter gehen.

Was Wilhelmshaven angeht, ist von einer kombinierten Stahlproduktion die Rede, Details bleiben bisher noch vertraulich. Eine Machbarkeitsstudie wurde erstellt, sie liegt auch vor, wie die Salzgitter AG auf Anfrage des Politikjournals Rundblick mitteilte. Eine „Bewertung“ schließe sich an, dabei ist auch von der Einbeziehung der Fraunhofer-Gesellschaft die Rede. In der Küstenstadt ist die Windkraftproduktion nah, außerdem sind hier freie Kavernen vorhanden, die vorübergehend für das LNG-Flüssiggas vorgesehen waren, solange ein LNG-Terminal noch geplant war. Aktuell wäre der Gedankengang so: In Wilhelmshaven wird mit Windstrom Wasserstoff produziert und in den Kavernen gelagert, gleichzeitig kommt das Import-Eisenerz im Jade-Weser-Port an. Ein Weg scheint zu sein, den Wasserstoff und auch den mit Windkraft produzierten Strom nach Salzgitter zu bringen und dort in den vorhandenen Stahlwerken zu verarbeiten. Eine Alternative dazu, die zumindest vergangenen Februar laut „Tagesspiegel“ im Rennen war, geht anders: Der sogenannte „Eisenschwamm“, ein Vorprodukt für die Stahlproduktion, könnte schon direkt in Wilhelmshaven hergestellt werden, der „Eisenschwamm“ könnte anschließend zur weiteren Produktion mit Güterzügen nach Salzgitter gebracht werden. Eine Anlage für diesen Produktionsschritt könnte direkt auf dem Gelände des bisherigen Kohlekraftwerkes entstehen – und denkbar ist wohl auch, für einen solchen Weg nicht nur die Kohle-Strukturhilfe des Bundes zu nutzen, sondern womöglich noch weitere Fördertöpfe anzuzapfen. Wilhelmshaven könnte so seine Renaissance als starker Wirtschaftsstandort erleben.

Schon im Frühjahr hieß es, die Salzgitter AG, der Wilhelmshavener Kraftwerksbetreiber Uniper und der Logistik-Dienstleister Rhenus würden gemeinsam mit dem Land Niedersachsen und der Stadt Wilhelmshaven die Möglichkeiten und Chancen ausloten. Nun verlautet, die Landesregierung arbeite mit vereinten Kräften für solche Varianten. Umweltminister Olaf Lies (SPD) soll einst in der Kohle-Kommission erfolgreich dafür gewirkt haben, dass Niedersachsen überhaupt in Betracht kommt, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) wandte sich schon im Herbst 2020 werbend an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Konkret wird das Projekt derzeit von Europa- und Regionalministerin Birgit Honé (SPD) betreut, ihr Sprecher Klaus Wieschemeyer teilt mit, bei der konkreten Ausgestaltung der Projekte würden sich die Stadt Wilhelmshaven, das Amt für regionale Landesentwicklung in Oldenburg und das Honé-Ministerium eng miteinander abstimmen. Dieser Prozess laufe gerade noch.

Was den Kreis Helmstedt angeht, für den 90 Millionen Euro an Kohle-Strukturhilfe in Aussicht gestellt wurden, ist noch nicht viel über konkrete Projekte bekannt. Der Berater des Landkreises und frühere Staatssekretär Prof. Lothar Hagebölling teilt dem Politikjournal Rundblick mit, der Kreis werde demnächst eine „Strukturkommission“ berufen, die sich über konkrete Projekte Gedanken machen soll. Über Projektanträge entscheide dann das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Einige Vorhaben nähmen schon konkrete Formen an, so die Erprobung des „digitalen Ackerbaus“, der Aufbau eines Ackerbauzentrums, die Gründung eines Start-up-Campus und der Ausbau der einstigen, 1810 geschlossenen Universität Helmstedt als Hochschulstandort.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #125.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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