Städtetag fordert vom Land: Flüchtlinge aus Ukraine müssen verteilt werden
Der Niedersächsische Städtetag (NST) erwartet von der Landesregierung eine gezielte Verteilung der Flüchtlinge und Vertriebenen aus der Ukraine auf einzelne Städte und Regionen in Niedersachsen. „Mittelfristig benötigen wir eine zentrale Steuerung“, sagte der neue Verbandspräsident Frank Klingebiel, Oberbürgermeister von Salzgitter, in der NST-Städteversammlung am Mittwoch.
Die Betroffenen haben zunächst ein 90 Tage dauerndes Touristenvisum, das noch einmal um 90 Tage verlängert werden kann. Anschließend ist ein Aufenthalt möglich von einem Jahr, der auf maximal drei Jahre ausgeweitet werden kann. Klingebiel betont aber, dass die Betroffenen einen vorübergehenden Schutzstatus nach Aufenthaltsgesetz nutzen sollen und auch müssten, wenn sie Unterstützung beanspruchen wollten. Sie müssen sich dazu registrieren lassen und könnten danach nach Paragraph 24 des Aufenthaltsgesetzes auch verpflichtet werden, an einem bestimmten Ort zu bleiben. Die Länder dürfen ihnen einen Wohnort zuweisen. Laut Klingebiel haben die Kommunen mit dem Land vereinbart, dass die lokalen Ausländerbehörden die Menschen zunächst registrieren sollen. Die Bürgermeister sollten sich auch an die Landesaufnahmebehörde wenden und um Verteilung bitten können, falls eine Kommune überlaufen wird und an die Grenzen ihrer Kräfte kommt.
„Wir müssen die Menschen hier willkommen heißen und ihnen Teilhabe ermöglichen – also auch Schul- und Kindergartenplätze schaffen.“
Frank Klingebiel
In diesem Zusammenhang verwies Klingebiel auf die Situation in seiner eigenen Stadt. In Salzgitter leben 6000 Flüchtlinge, viele aus Syrien. Das Land verfügte einen Aufnahmestopp, da die Kommune mit dem Zustrom überfordert war. Jetzt sei die Situation etwas anders. „Es kommen vorwiegend Frauen, Kinder und Ältere an, da die Männer in der Ukraine das Land verteidigen. Wir müssen die Menschen hier willkommen heißen und ihnen Teilhabe ermöglichen – also auch Schul- und Kindergartenplätze schaffen“, betonte Klingebiel.
Wenn nicht umgehend reagiert werde, könnten einige Städte überrollt werden. „Es könnte bald viele Salzgitters in Niedersachsen geben.“ Klingebiel betonte zudem, die auf Asylbewerber zugeschnittene Aufnahmepauschale von 12.000 Euro jährlich, die das Land den Kommunen in der vergangenen Flüchtlingskrise überwiesen hatte, könne „womöglich nicht reichen“. Der NST rechne jetzt nach und werde womöglich beim Land um eine Aufstockung bitten. Ministerpräsident Stephan Weil sagte in seiner Reaktion auf den NST-Präsidenten, dass die Ukraine-Flüchtlinge ja zunächst „ein Recht auf die freie Wahl ihres Aufenthaltsortes“ hätten. Niedersachsen müsse auf jeden Fall „ein guter Gastgeber sein“.
Förderprogramme und Vergaberecht: NST-Präsident Klingebiel sieht die Notwendigkeit zu einem „gemeinsamen Aufbruch wie in den fünfziger Jahren“ wegen der dramatischen aktuellen Krise. Die Vergabe-Richtlinien würden es bisher den Kommunen verbieten, Bauaufträge zügig oder in einem Stück zu vergeben – man müsse jedes Gewerk europaweit ausschreiben, das koste viel Zeit. Eine Schule in Salzgitter, die eigentlich 2023 fertig werden sollte, könne nun erst 2026 fertig sein. „Dann sind die Kinder, die dort hingehen sollten, längst herausgewachsen.“ Schnelle Antworten seien nötig, das Land solle den Kommunen Aufgaben übertragen und sich nicht weiter einmischen in die Frage, wie diese umgesetzt werden.
Krankenhäuser: Die in der Finanzplanung des Landes enthaltene Absicht, von 2024 an jährlich 230 Millionen Euro in die Investitionsförderung der Kliniken zu stecken, komme zu spät. „Wir brauchen diese Unterstützung sofort“, sagte Klingebiel. Ministerpräsident Weil sagte, das werde ein Wahlkampfthema – er persönlich wolle dazu „einen Schwerpunkt in der nächsten Legislaturperiode setzen“.
Innenstadtförderung: Klingebiel setzt auf die Landes-Unterstützung für Bundesprogramme, mit denen die Innenstädte nach den Corona-Folgen fit für neue Nutzungen gemacht werden sollen. „Ich hoffe auch, dass die anderen Kommunalverbände das in der Solidarität mittragen, in der wir bisher die Förderung des ländlichen Raumes unterstützt haben“, sagte der NST-Präsident mit Blick auf den Landkreistag und den Städte- und Gemeindebund, ohne diese direkt zu erwähnen.
Ganztagsschulbetreuung: Der vom Bund festgelegte Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschüler ab 2026 müsse bedeuten, dass das Land die kommunalen Ausgaben dafür mitträgt, sagte Klingebiel. Kultus- und Finanzminister seien sich aber offenbar nicht einig. „Für uns tut sich eine Lücke von 70 Prozent der Betriebskosten auf“, betonte er. „Dieses dicke Brett müssen Land und Kommunen gemeinsam bohren“, sagte der Ministerpräsident dazu.
Digitalpakt Schule: Der NST-Präsident sieht in den bisherigen Mitteln nur „eine Anschubfinanzierung“. Unverständlich sei, dass das Land bisher die digitalen Endgeräte noch nicht als Lernmittel anerkannt habe. „Hier sollte das Schulgesetz angepasst werden.“ Weil entgegnete, nach seiner Kenntnis hätten viele Kommunen die vom Land bereitgestellten Mittel bisher gar nicht abgerufen – was ein Fehler sei.
Kindergartenfinanzierung: Die geltenden Kindergarten-Vorschriften sind laut Klingebiel unbefriedigend, da die Kommunen de facto zwei Drittel der Betriebskosten tragen müssten. Im Gesetz solle festgelegt werden, dass das Land zwei Drittel übernehmen muss – und die Hälfte der Investitionskosten.
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