
Mehr als 5000 Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg geflohen sind oder von den Russen vertrieben wurden, sind bereits in Niedersachsen – wenn man die offiziellen Zahlen der Landesaufnahmebehörde zugrunde legt. Die Zahl dürfte aber vermutlich noch viel höher sein, da etliche Ukrainer direkt zu Freunden und Bekannten gezogen sind, ohne sich bisher schon bei der Ausländerbehörde gemeldet zu haben. Nun erklärt der Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetags (NST), Jan Arning, dass ein Ungleichgewicht bei der Unterbringung der Flüchtlinge besteht.
„Ganz viele Menschen wollen in die größeren Städte, also nach Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Osnabrück, Göttingen, Salzgitter und Wolfsburg“, sagt Arning dem Politikjournal Rundblick. „Das Land wird bald entscheiden müssen, diese Städte besonders zu unterstützen“, fügt er hinzu. Denn der Plan des Landes, die Flüchtlinge gleichmäßig auf die Kreise und kreisfreien Städte zu verteilen, werde sich vermutlich nicht verwirklichen lassen.
Das rechtliche Gerüst, das dem Flüchtlingsstrom zugrunde liegt, ist derzeit in Teilen widersprüchlich. Zunächst genießen die Menschen aus der Ukraine nach der „EU-Massenzustrom-Richtlinie“ einen Schutz für ein Jahr, der auf bis zu drei Jahre verlängert werden kann. Sie dürfen eine Arbeit aufnehmen, genießen in der EU die Freizügigkeit und die Visafreiheit. Sobald sie staatliche Leistungen in Anspruch nehmen – für die Kinder in den Kindergärten oder Schulen beispielsweise -, greift Paragraph 24 des Ausländergesetzes. Dieser sieht nun vor, dass Auflagen verhängt werden können – etwa die, nur an einem bestimmten Ort zu wohnen und dort nicht einfach wegziehen zu dürfen. Nach den strengen rechtlichen Vorgaben des Ausländergesetzes bestünde also die Möglichkeit, Flüchtlingen bestimmte Wohngemeinden zuzuweisen.
Arning erklärt nun anhand mehrerer Fälle, wie schwierig das in der Praxis anzuwenden ist: Viele Flüchtlinge, die Bekannte ansteuern, erhalten schon gleich eine Arbeitsmöglichkeit und vielleicht auch eine Unterkunft, bevor sie dann zur Ausländerbehörde ihrer Stadt gehen und sich anmelden. In solchen Fällen haben die Ukrainer schon eine Bleibe gefunden, die Behörden können sie dann schlecht wieder zum Verteilzentrum nach Hannover-Laatzen schicken, wo ihnen dann eine Unterkunft in einer anderen Stadt angeboten werden dürfte. Außerdem gebe es Fälle, in denen es Flüchtlinge ablehnen, nach Vechta oder Northeim geschickt zu werden. „Es herrscht bei vielen eine falsche Vorstellung von ländlicher Gegend. Sie wollen in der Großstadt bleiben, weil sie denken, von dort problemlos wieder in die Ukraine zurückkehren zu können, sobald der Krieg vorüber ist“, erklärt Arning. Oftmals wolle man auf die Wünsche der Menschen eingehen. Damit ist die Verteilquote für Flüchtlinge an die Kreise und kreisfreien Städte, die es schon gibt, in der Praxis oft eine Illusion – da viele Ukrainer sich nicht daran halten wollten.
Unklar bleibt nun, wie die Politik auf die Herausforderung reagiert. Die Behörden könnten strenger vorgehen und auf Zuweisungen in bestimmte Orte bestehen, sofern die Ukrainer staatliche Hilfen beanspruchen wollen. Das könnte aber Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen, da die EU-Richtlinie eine andere Aussage trifft und Freizügigkeit betont. Eine andere Möglichkeit wäre, dass eine Stadt einen Zuzugsstopp verhängt – wie es 2017 bis 2020 für Salzgitter galt und für Delmenhorst und Wilhelmshaven anvisiert worden war. Ein solcher Schritt könnte aber als unsolidarisches Zeichen gegenüber den Kriegsopfern gewertet werden.
Die nächste Variante wäre eine Sonderhilfe des Landes für jene Regionen, die stark gefragt sind von Flüchtlingen – also vor allem die Großstädte. Sie müssen neue Angebote an Wohnraum, Schulen und Kindergärten schaffen und könnten das über eine Flüchtlingspauschale vom Land erstattet bekommen. Für die Durchsetzung der Verteilquote spräche allerdings, dass dann die Gefahr von „Flüchtlingsghettos“ geringer wäre und eine Integration besser gelingen könnte.