25. Jan. 2023 · Justiz

Staatsgerichtshof-Präsident Mestwerdt: In Israel ist die Gewaltenteilung in Gefahr

Wilhelm Mestwerdt kritisiert die Gesetzespläne der neuen israelischen Regierung. I Foto: Niklas Kleinwächter

Der neue Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs, Wilhelm Mestwerdt, hat die aktuellen Gesetzespläne der neuen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Israel scharf kritisiert. „Dort wird gerade eine Justizreform geplant, die vorsieht, dass ein Urteil des obersten Gerichts durch einen Beschluss des Parlaments mit einfacher Mehrheit wieder aufgehoben werden kann“, sagte der 61-Jährige am Mittwoch in seiner Antrittsrede vor dem Landtag. Die Begründung für das Reformvorhaben sei, dass in der Knesset, dem Parlament, der „Wille des Volkes“ ausgedrückt werde. „Wenn das so kommen sollte, ist die Gewaltenteilung Geschichte“, fügte Mestwerdt mahnend hinzu. Er nannte das Beispiel Israel, um deutlich zu machen, dass eine Gefährdung der demokratischen Grundwerte auch in Staaten drohe, in denen man das nie erwartet hätte. „Auch in vermeintlich stabilen Ländern ist eben nichts in Stein gemeißelt. Auch wir müssen uns als wehrhafte Demokratie erweisen“, betonte Mestwerdt. 

Der 61-jährige Mestwerdt arbeitet seit drei Jahren als ordentliches Mitglied des Staatsgerichtshofs, des höchsten niedersächsischen Gerichts. Das ist eine ehrenamtliche Funktion. Im Hauptberuf ist der aus Göttingen stammende und in Hannover tätige Jurist seit 2014 Präsident des Landesarbeitsgerichts. Er hatte nach dem Studium als Arbeitsrichter in Nienburg begonnen und war zwischen 2009 und 2014 auch Richter am Bundesarbeitsgericht. Der Staatsgerichtshof entscheidet vor allem über Streitigkeiten zwischen den Verfassungsorganen in Niedersachsen. In Organstreitverfahren geht es um die Frage, ob die Träger von verfassungsmäßigen Rechten ihre Aufgaben richtig erfüllen und ihre Rechte entfalten können. Daneben gibt es noch Normenkontrollverfahren, in denen Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft werden. Die kommunale Verfassungsbeschwerde ergänzt den Kanon der Zuständigkeiten des Gerichts. Der bisherige Präsident des Staatsgerichtshofs, Thomas Smollich (60), war im vergangenen November zum neuen Staatssekretär im Justizministerium berufen worden. 

Seine Rede vor dem Landtag, die traditionell den neuen Staatsgerichtshofpräsidenten nach ihrer Wahl zusteht, teilte Mestwerdt in zwei Hälften, eine überregionale und eine regionale. Vor seiner deutlichen Kritik an den Entwicklungen in Israel hatte er auf höchst bedenkliche Verletzungen der Gewaltenteilung in Russland und im Iran hingewiesen, auf Scheinverhandlungen und Schauprozesse in beiden Ländern. Es gebe auch Mitgliedsstaaten der EU, in denen die Unabhängigkeit der Justiz „systematisch beschnitten“ werde. Polen und Ungarn erwähnte er hier nicht namentlich. Auf Israel kam Mestwerdt nur deshalb ausführlicher zu sprechen, weil er hier ein Beispiel für ein Land sieht, dem man derartige Verletzungen elementarer Rechtsordnungen nicht zugetraut hätte. Im zweiten Teil ging der neue Präsident näher auf die eigentliche Arbeit des Staatsgerichtshofs ein. Das Gericht werde sich weiter intensiv seiner Hauptaufgabe widmen, den offenen Diskurs im Parlament zu schützen. Dabei achte man auf die Balance zwischen der schnellen Handlungsfähigkeit der Regierung und dem Anspruch vor allem der Opposition auf Transparenz und Nutzung ihrer Mitwirkungsrechte. „Wir brauchen eine starke, entscheidungsfreudige und durchsetzungsstarke Regierung, aber auch eine effektive Kontrolle der Oppositionsfraktionen.“ In den Verfahren in jüngster Zeit – politische Äußerungen des Ministerpräsidenten in sozialen Medien, fehlende Information zur Wolfspolitik, späte Beteiligung des Landtags an Corona-Verordnungen, Rechte der fraktionslosen Abgeordneten – ist dem Staatsgerichtshof nach Mestwerdts Einschätzung das Austarieren der Gewichte gut gelungen. 

Die beiden Vorgänger von Mestwerdt, Herwig van Nieuwland und Thomas Smollich, hatten 2013 und 2019 in ihren Antrittsreden die Einführung einer „individuellen Verfassungsbeschwerde“ gefordert. Bürger, die sich in ihren Grundrechten vom Land verletzt fühlen, beispielsweise im Bildungsbereich, könnten dann den Staatsgerichtshof anrufen. Sie müssten nicht auf die Verletzung der Grundrechte im Grundgesetz abheben und vor das Bundesverfassungsgericht gehen – zumal dort nur ein Bruchteil der Verfassungsbeschwerden überhaupt angenommen und verhandelt wird. Anders als seine beiden Vorgänger wiederholte Mestwerdt diese Forderung nicht. Er sagte nur, dass zwar 13 von 16 Bundesländern diese Landes-Verfassungsbeschwerde schon hätten. „Wir müssten aber sorgfältig prüfen, ob es sich lohnt, diese einzuführen.“ Man müsse schauen, ob es „wirklich eine Rechtsschutzlücke gibt“. Bis dahin werde der Staatsgerichtshof seine Hauptaufgabe, über das Rechtsgefüge zwischen den Staatsgewalten im Land zu wachen, „leidenschaftlich mit Herz und Verstand erfüllen“. Dabei erwähnte Mestwerdt einen früheren Freund, den 2018 verstorbenen SPD-Abgeordneten Peter Rabe, einen Vater der Landesverfassung. Er sei „stolz und glücklich, Rabes Werk jetzt in der Praxis anwenden“ zu können.

Dieser Artikel erschien am 26.1.2023 in Ausgabe #014.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail